Spalten die Wähler ihre Gesellschaften?

Spalten die Wähler ihre Gesellschaften?


Weltweit bewirken Wahlen einen Links- oder Rechtsruck – Doch Deutschland bleibt starr – wie autoritäre Staaten

Spalten die Wähler ihre Gesellschaften?

Von Albrecht Künstle

Das Ergebnis der erneuten Wahl in Israel ist Anlass, die Wahlentscheidungen auch in anderen Ländern unter die Lupe zu nehmen. Es fällt auf, dass unsere Meinungsmacher in den Redaktionsstuben sowie in den Regierungspalästen in Berlin und den Bundesländern die Wahlgewinner immer dann als „Spalter“ der jeweiligen Länder brandmarken, wenn das Pendel nach konservativ/rechts ausschlägt. Geht die Macht an die vereinigte Linke, wird kommentiert, das Volk habe die Spaltung überwunden und sei zur Demokratie zurückgekehrt.

Interessant, dass die Machtwechsel in beide Richtungen stattfinden. Überall? Nein, natürlich nicht in autoritären Ländern wie China und Russland. Aber auch nicht in Deutschland. Denn hier gibt es kein konservatives Lager mehr, das an die Macht kommen könnte. Die Medien haben dafür gesorgt und verhindern das weiterhin. Aber eins nach dem andern…

Zuerst zur Wahl in Israel – ein doppeltes Dilemma für die hiesigen Medien. Denn in dem überwiegend jüdisch geprägten Land kam erneut Netanjahu mit seiner rechtskonservativen Likud-Partei an die Macht. Zusammen mit dem „rechtsextremen Bündnis religiöse Zionisten“, so das Prädikat unserer Medien, und zwei „Ultra-Orthodoxe“ Parteien werde „die wahrscheinlich rechteste Regierung, die das Land je hatte“, lamentiert die Berliner taz.

Das Problem unserer Politik-Erklärer ist nun, wie sollen sie verklickern, dass „rechts“ nicht automatisch antijüdisch ist? Netanjahu kann doch schlecht als Antisemit verunglimpft werden, wie bei uns rechts-konservativ und antisemitisch oft in einem Atemzug gleichgesetzt wird. Jedenfalls ist jüdisch sein weder rechts noch links zu verorten, weder in Israel noch anderswo. Und wer sich als „deutsch“ bekennt, muss ebenso nicht rechts oder links stehen.

Auch in Europa wenden sich die Wähler mehr konservativen Parteien zu. Vermutlich haben die Brüsseler EU-Bürokraten ihren Machtanspruch überzogen, und die Länder wollen sich nicht noch mehr unterwerfen. Linke Regierungen werden abgelöst von bisherigen Oppositionsparteien. Um einige zu nennen: 2010 Ungarn, 2019 Griechenland, 2019 Polen, 2021 Österreich, 2021 Tschechien, 2021 Slowakei, 2022 Frankreich und sogar Schweden.

Und nun auch noch Italien mit seiner „Fratelli d’Italia als postfaschistische, rechtextreme, rechtsnationale, rechtspopulistische und ‚souveränistische‘ Partei“, wie Wikipedia die Partei der Regierungschefin Meloni in der Liste der Regierungen beschreibt. Auch die Medien versäumen es in keiner Nachricht, der Gewählten das Prädikat „postfaschistisch“ anzuhängen. Einfach nur „Ministerpräsidentin“ reicht ihnen nicht. Man stelle sich umgekehrt vor, der Ländle-Chef würde in den Medien immer als „Postmaoist Kretschmann“ tituliert.

Doch in Amerika läuft der Trend andersherum. Der rechtsgerichtete Präsident Trump mit seinen Republikanern unterlag dem linken „Demokraten“ Joe Biden, wenn auch nur knapp. Dasselbe nun in Brasilien, wo ebenso knapp der rechtskonservative Jair Bolsonaro vom linken Lula da Silva abgelöst wird. Zwar liest man nach diesem Machtwechsel nichts davon, dass der korrupte Poststräfling Lula das Land gespalten habe. Der vorherrschende Ton wird durch die herrschenden Medien vorgegeben. Interessant ist, dass es in Brasilien ein wirtschaftliches Nord-Süd-Gefälle gibt, wie dieser Artikel beschreibt. Ganz Südamerika scheint eine Renaissance der Linken zu erleben.

Aber anders als in Deutschland mit seinem Ost-West-Gefälle schlug sich das brasilianische Wirtschaftsgefälle dort im Wahlverhalten nieder. Bei uns werden die Parteien in Ost und West zwar graduell unterschiedlich stark gewählt. Aber eine rechte Partei hat in keinem Bundesland eine Chance, an einer konservativen Regierung beteiligt zu werden. Das ist so illusorisch wie ein Machtwechsel in China und Russland. Eher paktieren bei uns die einst konservativen Unionsparteien mit dem politischen Gegner als mit der ebenfalls rechts-konservativen Alternative. Dies birgt aber mittelfristig die Gefahr, dass noch mehr Bürger resignieren und entweder nicht mehr wählen – oder einmal unberechenbar werden, wie das in der Geschichte schon der Fall war.

Abschließend zur Inflationierung des Begriffs „Spaltung, der zu einem geflügelten Unwort wurde. Ursprünglich ist spalten ein positiv belegter Begriff, der sich auf Brennholz bezog. Um mit Holz auch heizen zu können, muss es gespalten werden. Doch heutzutage verdammen die Medien jeden mit einer anderen Meinung als der ihren, als potenziellen „Spalter“. Hier der Versuch einer Begriffsklärung von Jochen Schimmang. Oder durch Leonie Bartel, Inflation eines reflexartigen Vorwurfs.

Dass nicht alles „Spaltung“ ist zeigen auch die Volksabstimmungen in der Schweiz. Viele von ihnen gehen äußerst knapp aus. Aber kaum ein Schweizer kommt auf die Idee, knappe Ergebnisse als eine Spaltung des Landes anzusehen. Denn Meinungsunterschiede sind ein Wesensmerkmal der Demokratie. Wer solche als Debakel betrachtet, steht offensichtlich mit der Demokratie auf Kriegsfuß. So sieht es auch die Abgeordnete Sahra Wagenknecht in ihrem Statement der Woche.


Autor: Albrecht Künstle
Bild Quelle: secretlondon123, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons


Montag, 07 November 2022

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