Bitte kandidieren Sie nicht erneut!Bitte kandidieren Sie nicht erneut!
Dipl.sc.pol. Leo Sucharewicz, Gründer und langjähriger Vorsitzender von ILI - I like Israel e.V. sowie Initiator der bundesweit stattfinden Veranstaltungen und Straßenfeste zum Israel-Tag, hat sich in einem offenen Brief an den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gewandt.
Lieber Herr Dr. Schuster,
bitte kandidieren Sie nicht wieder zum Zentralrats-Präsidenten.
Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ist von sehr ernsten,
auch physischen Anfeindungen bedroht. In ihren vergangenen
Amtsperioden haben sich diese Gefahren potenziert.
Ihre guten Absichten sind unbestritten, aber wir brauchen einen
Präsidenten, der etwas von Politischer Psychologie versteht, von
Kommunikation, Strategie und Motivation. Jemand, der auch etwas
selbstbewusster und kämpferischer auftritt und handelt.
Anders lässt sich der wachsende Antisemitismus nicht eindämmen.
Sie sind Arzt – es fehlt Ihnen an persönlicher Durchsetzungsstärke.
In der allseits zitierten Mitte der deutschen Gesellschaft wird der
Zentralrat der Juden in Deutschland mittlerweile „Zentraler Klagerat“
genannt. Dieser Begriff signalisiert milde Verachtung und macht
sichtbar, wie Sie persönlich öffentlich wahrgenommen werden.
Ihre laufend geäußerte Besorgnis ist nachvollziehbar. Aber die
Monotonie Ihrer „Sorgen-Statements“ führte schon vor Jahren zu
einer Abstumpfung in der Öffentlichkeit. Latente Larmoyanz
reicht nicht aus. Vielmehr wirkt sie gesellschaftspolitisch eher
kontraproduktiv. Ihr Mahnen und Klagen provoziert im Jahre
2022 verstärkt Widerwillen. Und es bestätigt Antisemiten in
ihrem Handeln.
Im Interview mit der „Jüdischen Allgemeinen“ bilanzieren Sie
Ihre vergangene Amtsperiode als „gelungen“. Das ist weit von
der Wirklichkeit entfernt. Schon weil immer mehr Jüdische
Familien Deutschland verlassen wollen. Auch Ihre Behauptung,
„…Aktivitäten der Zentralwohlfahrtsstelle und des Zentralrats
sind sehr erfolgreich und bringen junge Menschen auch in die
Gemeinden“ wird realiter widerlegt.
Mit Selbstillusion ist die drohende Auszehrung der Gemeinden
nicht zu verhindern. Mehr noch: Es ist diese Realitätsferne, die
Hoffnung auf Verbesserung stranguliert.
Der evidente Mitgliederschwund in den jüdischen Gemeinden
ist Tatsache. Sie wollen diese Tendenz verhindern mit dem
„Ausbau von Jugend- und Seniorenzentren,“ außerdem mit
„familienfreundlichen Gottesdiensten“ und einer nicht weiter
definierten „Umstrukturierung der Gemeindearbeit.“
Jugendzentren und Seniorentreffs gibt es seit 1960, wie ein
familienfreundlicher Gottesdienst aussehen würde bleibt unklar,
doch ob er resignierte jüdische Jugendliche und Familien von
der Auswanderung abhält, muss bezweifelt werden.
Wir leben historisch gesehen in einem demokratischen Zeitfenster.
Es bietet die Chance, Judentum in Deutschland neu und bewusst
zu positionieren. Dazu gehört Imagebuilding ebenso wie eine
Infrastruktur, die Antisemitismus professionell, mit Priorität und
den notwendigen Ressourcen bekämpft.
Mit einem Programm für jüdische Jugendliche, das sie zu einer
Bewältigung auf dem Schulhof befähigt. Ein familienfreundlicher
Gottesdienst kann in diesem Kontext nicht als ernsthafter
Vorschlag gewichtet werden. .
In Ihren vergangenen Amtsperioden wurde der Kampf gegen
Antisemitismus von privaten NGOs geführt. Vom Zentralrat
wurden sie nicht oder beschämend gering unterstützt, aber
oft von der Geschäftsführung als Bittsteller behandelt. Dabei
sind es diese NGOs, die die eigentlichen Hausaufgaben des
Zentralrats machen.
Mehr noch: eines der erfolgreichsten Projekte unserer Zeit,
die Plattform „Wir Juden“ musste sich gegen den Widerstand
des Geschäftsführers behaupten.
Dieser Geschäftsführer ist Rechtsanwalt und versteht nichts
von Imagebuilding, von der Operationalisierung gehässiger
Informationen im Gehirn oder von neuropsychologischen
Aspekten bei der Neutralisierung memetisch zementierter
antisemitischer Vorurteile.
Tausende von Zuschriften beweisen die Überzeugungswirkung
von „Wir Juden.“ Unverständlich bleibt deshalb, dass GF Botman
den evidenten Erfolg der Plattform "Wir Juden" nicht nur ignoriert,
sondern das Projekt bekämpfte. Destruktion in den eigenen
Reihen können wir uns nicht weiter erlauben.
Summa summarum: Bitte kandidieren Sie nicht wieder. Es gibt in
Deutschland ausreichend jüdische Führungskräfte mit politischem
Bewusstsein, die den Kampf gegen Antisemitismus couragiert und
professionell führen können.
Das Amt des Präsidenten des Zentralrats ist mit Prestige verbunden.
Insofern ist absolut verständlich, dass Sie dieses Amt nicht aufgeben
möchten. Ich bitte Sie aber sehr ernsthaft zu bedenken: Entweder, die
jüdische Gemeinschaft in Deutschland schafft einen evidenten Change
Process oder sie wird immer weiter marginalisiert, bedrängt und
bedeutungslos, bis sie nur noch aus Gemeindehülsen besteht.
Ich bitte Sie zu bedenken, ob Sie Ihre Person als Verantwortlicher für
an diese Entwicklung koppeln wollen.
Ich erinnere Sie an Albert Einstein und sein Zitat:
„Die reinste Form des Wahnsinns ist, alles beim Alten zu lassen und
auf Verbesserung zu hoffen.“
Sollten Sie dennoch bei Ihrem Vorsatz bleiben, bitte ich Sie, zumindest
den Geschäftsführer auszuwechseln. Seine öffentlichen Statements
sind gesellschaftspolitisch bestenfalls banal. In der Öffentlichkeit wird
er als nerdiger Funktionär wahrgenommen. Damit beraubt er die Position
des ZR-Geschäftsführers der Chance auf gesellschaftspolitische Wirkung.
Entweder der GF verfügt über Kompetenz im Public Opinion Building,
oder das hohe Gehalt ist nicht gerechtfertigt und er wird zum Bottleneck.
Auch für diese Funktion gibt es ausreichend qualifizierte Kandidaten in
Deutschland.
Weit davon entfernt, meine Hoffnung aufzugeben
verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Dipl.sc.pol. Leo Sucharewicz
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Freud, CC BY 3.0 , via Wikimedia Commons
Montag, 14 November 2022