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Diskussion über die documenta: Kotau vor dem Antisemitismus

Diskussion über die documenta: Kotau vor dem Antisemitismus


Ein Symposium an der Hamburger Hochschule für bildende Künste zur documenta wird zum Geplauder über das Für und Wider des Antisemitismus. Der wissenschaftliche Bericht zur Kunstschau dagegen benennt den Antisemitismus in der Ausstellung deutlich – doch ob er Konsequenzen zeitigen wird, ist höchst fraglich.

Diskussion über die documenta: Kotau vor dem Antisemitismus

Zum zweitägigen Symposium mit dem Titel »Kontroverse documenta fifteen – Hintergründe, Einordnungen und  Analysen«, das Anfang Februar an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg stattfand, hatte das Hamburger Bündnis gegen Antisemitismus eine klare Einschätzung: »Diese Veranstaltung ist nicht als Treffpunkt für vom Antisemitismus bedrohte und geschädigte Menschen konzipiert«, schrieb es in einem Flugblatt, das auch an der HFBK verteilt wurde. »Es ist dort niemand vertreten, der zentral für jüdische Interessen spricht. Es gibt niemand von einer deutsch-jüdischen Institution.«

Stefan Hensel, der Antisemitismusbeauftragte der Stadt Hamburg, bestätigte das: »Auf dem Podium werden keine Vertreter der Jüdischen Gemeinde Hamburg, des Zentralrats der Juden oder der Antisemitismusbeauftragte sitzen«, erklärte er in einem Gastbeitrag für die Jüdische Allgemeine. Es werde ein Symposium stattfinden, »das eine Zeitenwende für Juden sowie jüdische Institutionen zusammenfasst, sichtbar macht und verdeutlicht, dass unsere Meinung, die Meinung von Juden, bloß stört«. Zwar gebe es auch einige jüdische Teilnehmer, doch die agierten »weit entfernt von unserer jüdischen Realität und jüdischen Institutionen«.

Sie gehörten, so schreibt das Bündnis gegen Antisemitismus, »zu jenen ›israelkritischen Israelis‹, die von den deutschen Medien gezielt als Kronzeugen gegen den ›dogmatischen‹ Zentralrat der Juden instrumentalisiert werden, der als ›moralische Instanz‹ seit Jahren systematisch delegitimiert wird«. Die Gruppe hatte sich das Tun und die Positionen der nach Hamburg eingeladenen Diskutanten genauer angesehen und kam zu dem Ergebnis: 

»Von den 22 Teilnehmern dieses für die Jüdischen Gemeinden gesperrten Symposiums sind 15 deutsche Mbembe-Fans, BDS-Versteher und documenta-Verteidiger, drei, kalkuliert von Deutschland als Kronzeugen des ›authentischen‹ Israel-Hasses, eingeladene südglobale Indonesier und vier mäßig kritische Panel-Profis, geübt in der Kunst der Differenzierung.«

Zu den Teilnehmern gehörten Reza Afisina und Iswanto Hartono, zwei Mitglieder von Ruangrupa, also jenem Künstlerkollektiv, das die documenta kuratiert und damit auch die antisemitischen Ausstellungsstücke mitzuverantworten hatte. Die beiden sind als Gastprofessoren an der HFBK tätig, wogegen es im Oktober des vergangenen Jahres vernehmliche Proteste gegeben hatte – vor allem bei der Semestereröffnung und bei einer Kundgebung von Mitgliedern der Hamburger Bornplatzsynagoge, die unter dem Motto »Wir sind keine Schweine« stand. 

Pro-und-Contra-Diskurs über Judenhass

Damit bezogen sich die Demonstranten auf das Schlachtengemälde »People’s Justice« von Taring Padi, in dem die beiden jüdischen Figuren als Nazis respektive Schweine dargestellt sind. Das Bild wurde auf der documenta ausgestellt, nach heftiger Kritik jedoch erst verhüllt und schließlich abgebaut. Mit Hestu A. Nugroho nahm gleichwohl auch ein Vertreter von Taring Padi am HFBK-Symposium teil. Das passte auch zu einer Veranstaltung, die aus der Kritik an der documenta schon im Titel euphemistisch eine »Kontroverse« machte und »Hintergründe und Zusammenhänge« sowie »unterschiedliche Standpunkte ins Gespräch bringen und eine Debatte ermöglichen« wollte, die »explizit den Antisemitismus im Kunstfeld thematisiert«.

Es geht der Hochschule also nicht um die Verurteilung und Bekämpfung des Antisemitismus, sondern um »unterschiedliche Standpunkte« dazu, also um ganz viel Raum für Zwischentöne und Differenzierungen. Ganz in diesem Sinne äußerte sich der Präsident der HFBK, Martin Köttering, dessen »größte Hoffnung« es war, »dass an diesen zwei Tagen bei uns in der Aula miteinander gesprochen, gestritten, gerungen wird und dass es den ausgewiesenen Fachleuten im Verbund mit dem Publikum gelingt, Widerspruch, Dissonanz und gegenläufige Positionierungen auszuhalten«.

Nur ging es in Hamburg eben nicht um die Vorzüge und Nachteile des Videoassistenten im Fußball oder um Ernährungsgewohnheiten, sondern um nicht weniger als Judenhass. In seinem Flugblatt schrieb das Bündnis gegen Antisemitismus dann auch, der einzige Zweck des Symposiums sei es, »Antisemitismus durch die Inszenierung eines Für-&-Wider-Diskurses als vertretbaren Teil des Meinungsspektrums zu etablieren«. Deshalb lehnte Stefan Hensel auch das Angebot von HFBK-Präsident Köttering an die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde ab, sich aus dem Publikum statt auf dem Podium zu Wort zu melden. 

»Wir wollen nicht mit Leuten diskutieren, die uns als Schweine darstellen, und auch nicht darüber, ob der einzige Staat, der Jüdinnen und Juden im schlimmsten Fall aller Fälle Sicherheit gibt, eine Existenzberechtigung hat.«

Schönrednerei von Ruangrupa und Taring Padi

Und so plauderte man beim Symposium »entspannt über die Frage, ob es richtig gewesen sei, das Bild ›People’s Justice‹ abzubauen, oder ob man es besser hätte hängen lassen sollen, und darüber, ob die Shoah ein singuläres Menschheitsverbrechen war oder doch eher in der ›Kontinuität westlicher Kolonialverbrechen‹ betrachtet werden müsse«, wie Johannes Reinhardt in Jungle World zusammenfasste. Die zweitägige Veranstaltung sei »die Simulation einer wissenschaftlichen Diskussion« gewesen, bei der »dem Publikum die Rolle zufiel, Kritik zu äußern, welche die ›ausgewiesenen Fachleute‹ weglächelten«.

Laut wurde diese Kritik demnach nicht zuletzt gegenüber den Vertretern von Ruangrupa und Taring Padi. Diese hätten sich, statt ein wirkliches Verständnis für die empörten Reaktionen auf die antisemitische Bildsprache auf dem Triptychon »People’s Justice« zu zeigen, in »halbherzige Entschuldigungen« geflüchtet und »auf die indonesische Bildkultur« verwiesen, wie Nicole Büsing und Heiko Klaas im Tagesspiegel berichteten. Man bedaure, »Gefühle verletzt« zu haben; das Banner »sei nicht gemalt worden, um antisemitisch zu sein, aber man habe jetzt gelernt, dass es so wahrgenommen wurde«. Im Publikum habe »diese Schönrednerei heftigen Protest ausgelöst«, so Büsing und Klaas. 

Das HFBK-Symposium stelle eine »weitere Radikalisierung des Antisemitismus der deutschen Kulturszene« dar, befand das Hamburger Bündnis gegen Antisemitismus und hielt fast schon resigniert fest: »Gegen die Schwerkraft [des] deutschen Willens zum ›Pro-&-Contra-Antisemitismus‹ scheint jeder Einspruch vergeblich.« Vermutlich auch jener, den soeben sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geleistet haben, die im Juli des vergangenen Jahres von den Gesellschaftern der documenta damit beauftragt worden waren, die antisemitischen Inhalte der Ausstellung aufzuarbeiten.

Abschlussbericht: »Echokammer für Antisemitismus« 

Schon bald nach seiner Berufung hatte das Gremium unter der Leitung der Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff erklärt, dass nicht nur die präsentierten antisemitischen Werke ein Problem darstellten, sondern auch »ein kuratorisches und organisationsstrukturelles Umfeld, das eine antizionistische, antisemitische und israelfeindliche Stimmung zugelassen hat«. Bereits das war eine unmissverständliche Kritik an den Verantwortlichen der documenta, doch der nun veröffentlichte Abschlussbericht wird noch deutlicher.

Auf 133 Seiten analysieren die Verfasser präzise die antisemitischen Ausstellungsstücke, den Umgang mit der Kritik daran, das kuratorische Konzept der documenta und die Verantwortungsstrukturen. Sie legen dar, wie die visuellen Codes des Antisemitismus funktionieren und zeigen jüdische Perspektiven auf. Ihr Urteil ist so klar wie ernüchternd: 

»Alle der zahlreichen Werke, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigen, waren einseitig antiisraelisch; demnach wurden alle jüdischen Figuren als Missetäter und nie als Opfer von Diskriminierung, Gewalt und Terror dargestellt.« 

Die documenta habe »als Echokammer für israelbezogenen Antisemitismus und manchmal auch für Antisemitismus pur« fungiert. Die antisemitischen Aussagen der einzelnen Werke seien dabei »in ihrer ideologischen Gesamttendenz durch den Ausstellungskontext verstärkt« worden. Detailliert und schlüssig wird im Bericht dargelegt, was an den kritisierten Werken antisemitisch ist, etwa in »People’s Justice« von Taring Padi. Die Wissenschaftler zeichnen nach, woher diese antisemitische Ikonografie kommt, in der Juden als Nazis und Schweine dargestellt werden: Sie habe sich vor allem »in den Ostblockländern sowie in sowjetisch inspirierten, linken Bewegungen und in arabischen und anderen muslimischen Ländern« verbreitet. 

Bedrohung für Juden

Das Team um Nicole Deitelhoff hebt überdies hervor, welche Folgen der Antisemitismus auf der documenta gezeitigt hat: 

»Die zögerliche Reaktion der Documenta auf Fälle von Antisemitismus war für viele jüdische Bürger und Organisationen verstörend. Antisemitische Vorfälle sind für Jüdinnen und Juden kein rein diskursives Phänomen, sondern sie bedrohen ihre gesellschaftliche Teilhabe, ihre Sicherheit und ihre Zukunft in Deutschland als Land der Shoah.« 

Die Kritik des Gremiums richtet sich vor allem gegen den Interimsgeschäftsführer der documenta, Alexander Farenholtz, dessen »selbstauferlegte Sprachlosigkeit« trotz eindeutig antisemitischer Werke die Autoren scharf rügen. Aber auch die Kuratoren von Ruangrupa werden dafür kritisiert, jeder Kritik am Antisemitismus auf der documenta pauschal mit Rassismusvorwürfen begegnet zu sein und kein Interesse an einer inhaltlichen Auseinandersetzung gehabt zu haben.

Der Abschlussbericht des fachwissenschaftlichen Gremiums um Nicole Deitelhoff zeigt in aller Deutlichkeit auf, was für ein antisemitisches Desaster die jüngste documenta war, wer es zu verantworten hatte und was sich ändern müsste. Doch es ist höchst fraglich, ob die Verantwortlichen und die Geldgeber von Stadt, Land und Bund tatsächlich die erforderlichen Konsequenzen aus dem Bericht ziehen, damit die nächste documenta nicht wieder eine »Antisemita« wird. Politische oder finanzielle Folgen für die Ausstellung zeichnen sich bislang jedenfalls nicht ab.

Äquidistanz als Kotau vor Antisemitismus

Und eigentlich hatte Ron Prosor, der israelische Botschafter in Deutschland, ja auch völlig Recht, als er der Berliner Morgenpost im Interview sagte:

»Braucht man wirklich sieben Professoren, um festzustellen, dass die Darstellung eines Juden mit einer Hakennase, der mit einer Kippa auf einem Beutel Geld sitzt, antisemitisch ist? Oder das Bild eines Schweins mit einem Judenstern? Es gab viele akademische Debatten über Kunst- und Kulturfreiheit. Aber man muss sich doch mal anschauen, wer da mit wem debattiert. Es ist, als hätte man eine Debatte über Recht und Ordnung – und die Teilnehmer wären Jack the Ripper, Charles Manson und der Kannibale von Rotenburg.«

In einer Gesellschaft, die es für fortschrittlich hält, das Für und Wider des Antisemitismus zu diskutieren, braucht man das anscheinend tatsächlich. Aber es wird wieder nur die eine Seite im »Die einen sagen so, die anderen so«-Diskurs sein, in dem die andere Seite behauptet, es sei rassistisch, die Darstellung von Juden und Schweinen durch Künstler aus dem »globalen Süden« antisemitisch zu nennen. Und dann gibt es noch diejenigen, die es schön finden, dass man überhaupt einmal darüber gesprochen hat, zumal an einer Hochschule. Äquidistanz aber ist in diesem Kontext immer zumindest der Kotau vor dem Antisemitismus.


Autor: Mena-Watch
Bild Quelle: Irland: Neue IRA im Rampenlicht wegen versuchten Mordes auf einen Polizeichefs in Nordirland Die Polizei in Nordirland hat am Donnerstag bestätigt, dass drei Verdächtige im Zusammenhang mit der Tat eines ... #Nordirland #IRA #Angriff #Terror https://haolam.de/artikel/Europa/54558/Neue-IRA-im-Rampenlicht-wegen-versuchten-Mordes-au.html


Donnerstag, 23 Februar 2023

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