Warum MDR-Intendantin Karola Wille nicht nach Tutzing kam

Warum MDR-Intendantin Karola Wille nicht nach Tutzing kam


Keine Lust auf Fragen nach Amts-Versagen und antisemitischen Vorgängen? Dafür Landesvater Haseloff in Hochform – Krise von TV und Funk scharf debattiert

Warum MDR-Intendantin Karola Wille nicht nach Tutzing kam

Von Alois Grumpl, Ampfing

(freier Mitarbeiter)

Tutzing, Mitte März

Die Macher des einflußreichen „Politischen Clubs“ an der bayerischen Riviera hatten bei ihr angefragt: Aber Karola Wille, von kritischen Stimmen aus vielen Richtungen abgestrafte Ex-Intendantin des „Mitteldeutschen Rundfunks“ (MDR),  hatte den ICE nach München und weiter ins verträumte Tutzing am frühlingsstrahlenden Starnberger See nicht genommen.

„Sie fürchtete wohl unangenehme  Fragen“, vermutete einer der vielen engagierten Teilnehmer der Frühjahrstagung – meist aus der Medienszene oder den unvermeidlichen, hochbeflissenen Ex-Studienräten aus den wohlsituierten Münchener Vororten.

Sie waren, wie immer, alle zur Stelle – mit Polenta und gehaltvollen Salaten für die Vegetarier oder Lachs mit Spezialkartoffeln samt Rotwein aus bella Italia und süffigen Orts-Bieres.

Fragen? So denkt sich der Laie seinen Teil – immerhin hat sie, die SED-Juristin mit der väterlichen Bindung an Honecker-Spezi Siegfried Lorenz  aus dem ehemaligen Karl-Marx-Stadt, offenkundig einiges zu verbergen.  Die Dame, „die immer lacht“ (so seinerzeit die ZEIT im Interview-Vorwort) muß zum Beispiel verantworten, dass mit der sozialdemokratischen Jüdin Bärbel Jacob eine MDR-Mitarbeiterin – mir nichts, dir nichts – durch den gnadenlosen Polit-Redakteur Heiner Tognino (intern auch „Gauleiter von Halle“ genannt, über Jahre privater Betreiber einer Schreibwaren-Fabrikation garantiert „deutscher“ Herkunft,was will man mehr?) aus dem Dienst gemobbt wurde.

Oder wollte sie nicht nach den sich verdichtenden Gerüchten über eine szenische Darstellung von Willes Versäumnissen befragen lassen?

Wer weiß.

Neunziger Jahre? Vergeben, vergessen? Eben nicht.

Und vielleicht sorgte sich die Noch-Chefin der Anstalt mit den drei Buchstaben am Leipziger Hochhaus auch vor Hinweisen auf das noch immer flache  Sender-Programm, nach den versäumten Themen, nach der – von vielen – als solche betrachteten medialen  Mitschuld am Horror von Halle mit seinen zwei Todesopfern nahe dem jüdischen Bethaus.

Dabei wäre Willes Anwesenheit den hochengagierten Machern der Tagung des Clubs im vornehmen Tutzinger Schloß sehr gelegen gewesen: Hätte sie doch – Chefin eines über Jahrzehnte von Skandalen heimgesuchten Senders  - gewiß Antworten auf manche Themen geben können: Wie es beispielsweise in der Einladung zum Treffen hieß: Streitthemen rund um den ÖRR seien „die Finanzierung, das Programmangebot, eine angebliche Schlagseite in der Berichterstattung, die Online-Präsenz…aber auch Fehlentwicklungen bis hin zur Krise beim Rundfunk Berlin-Brandenburg“.

Reichlich Stoff, oder? Weiß Gott.

Oder Anlaß genug, aus dem grauen Leipzig dieser nachwinterlichen März-Tage ins frühlingshafte Tutzing mit dem Blick auf die vom Föhn umwehten, schneeigen Alpen in der Ferne zu werfen?

Im Park des hochherrschaftlichen Anwesens die marmornen Damen und Herren aus der Antike – überwiegend im Adams-und-Eva-Kostüm – noch eingehaust: Aber die Frühjahrs-Blüher zwängten sich bereits durch den Rasen. Und Akademie-Chef Udo Hahn, engagierter Pastor, rief  den Gästen ironisch zu:  „Gehens nach draußen und schauen Sie – der See ist noch da…“

Dreimal im Jahr also bricht in unser Land des Loden-Layouts und des Juchhei-Schuhplattler-Schreckens  die geballte Invasion der Großkopfeten aus der gesamten Republik herein – aus der führenden Intelligenz, aus den Leitmedien, von den „big players“ der Republik: Vom charmanten ZEIT-Chef Giovanni di Lorenzo bis zum schweizerischen Medien-Guru Roger de Weck, von ARD-Chef Kai Gniffke bis zu Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff.

Der CDU-Mann und Vordenker in der „Zukunftskommission“ der Länder (nach seiner Aussage mit den Genossen und Liberalen aus anderen Landesregierungen offenbar bestens zurecht) stellte sich erstmals in Bayern vor: Glänzend vorbereitet – selbst die Krawatte zeigte blau-weiße Muster. Und die Entourage aus Magdeburg konnte sich sehen lassen – mit Regierungssprecher und Medien-Minister samt Staatsschutz-Profis ließ der Landesfürst nichts an Status-Symbolen aus. Es fehlte nur noch ein Trachter-Janker à la Markus Söder – zwei Ortsgendarmen zum Schutz des Gastes schlurften bereits durch den Kies des gepflegten Schloßareals.

Haseloff hatte die Besucher – so berichten es jedenfalls unisono Teilnehmer – gleich für sich gewonnen: Nicht nur mit dem Hinweis, einer seiner Vorfahren habe seinerzeit in Wittenberg Lucas Cranach dem Jüngeren zum Bürgermeister-Posten verholfen. „Die Familie wohnte auch ganz in der Nachbarschaft von Martin Luther“ – und das alles beim treudeutschen Katholiken Haseloff!

Man glaubt es kaum.

Den anwesenden und allenthalben geschäftig herumwieselnden ARD-Chef Kai Gniffke  (Intendant des Südwestrundfunks und Bezieher von rund 361 000 Euro Jahresinkasso aus der Zwangsgebührenzahler-Schatulle) machte er sich vermutlich nicht unbedingt zum Freund: Denn der selbstbewußte Gast Haseloff kritisierte die Macht der Intendanten und warnte vor einer durchaus drohenden „Boykott-Bewegung“ verärgerter und kritischer Bürger, was den Gebühreneinzug angesichts wachsender Programm-Entfremdung durch das Publikum angehe.

„Zur Zeit lassen wir uns die Zahlen der Intendanten-Gehälter geben…Frau Wille hat dies schon vor längerer Zeit getan. Christian Lindner hat gesagt, daß kein Intendant mehr als der Bundespräsident verdienen sollte“, so Haseloff. Weder bei Gniffke noch bei WDR-Chef Tom Buhrow (ca. 415 000 Jahreseinkommen) noch bei NDR-Chef Joachim Knuth (ca. 346 000 Euro per anno) oder ZDF-Nummer 1, Norbert Himmler (ca. 372 000 Euro) trifft diese „Bezahl-Schranke“ sonderlicher Art indessen zu.

Haseloff kam für alle diese brisanten Fragen mit breitem Rücken in die romantische Szenerie am Seeufer: Er sitzt an führender Position in der „Zukunfts-Kommission“ der CDU-geführten Länder, was die durchaus gefährdete Zukunft von ARD und ZDF angeht: „Ende März“, so kündigte Haseloff an, werde das Gremien – in Abstimmung mit den anderen Parteien – seine Reformvorschläge präsentieren.

Und da könnte manchem Nutznießer des üppigst ausgestatteten ÖRR-Systems (eine gewisse) Zukunfts-Angst überkommen: Geht es doch um Einsparungen, Zusammenlegungen, Millionen-Aufwendungen für neue Technik – schlicht darum, den schwerreichen Übersee-Konkurrenten Amazon, Netflix, Spotify oder wie immer sie heißen (endlich) die Stirn zu bieten. Gniffke beschwor dafür ungewöhnlich germanische  Töne: „Deutscher Erfindergeist“ und „deutsche Ingenieurskunst“ sollten zum Erfolg führen und redete dann, leicht verschwommen, davon, aus all dem – falls erfolgreich – könne hier noch „etwas viel Größeres“ entstehen.

Geht es nicht ein bißchen bescheidener?

Der Regierungschef aus dem kleinen, aber feinen Sachsen-Anhalt, ging auch auf häusliche Vorgänge ein. Ein offenkundig kundiger Besucher – so berichten Teilnehmer der Musiksalon-Sitzungen unter dem Riesen-Gemälde der Königin – nein, nicht Sissi – sondern Theresa von Bayern, Gemahlin von Ludwig I. – fragte Haseloff in leicht aggressivem Ton, was er denn von der nur wenige Tage zuvor stattgefundenen MDR-Intendantenwahl halte: „Mit einer Stimme Mehrheit, ohne Gegenkandidaten, bei massiven Protesten des Gesamtpersonalrats!“ (Willes Verwaltungsdirektor und Willes Spezi Ralf Ludwig war bekanntlich mit dem knappsten aller knappen Quoren gewählt worden): „Es gab eine klare Mehrheit, keine Frage. Im übrigen kenne ich den neuen Mann nicht. Er macht hoffentlich gute Arbeit.“ Und dann fügte er hinzu: „Demokratie ist manchmal nicht so einfach…“

Sympathie für diesen irritierenden Vorgang hört sich gewiß anders an, oder?

In der Traumlandschaft dieser altbayerischen Szenerie- das macht uns Bajuwaren so beliebt – geisterte allerdings eine Umfrage durch die Reihen, auf die jedoch in keiner der anspruchsvollen Debatten Bezug genommen wurde: Die jüngste Umfrage der Adenauer-Stiftung über „Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Und da sieht es verheerend aus: Danach hält jeder vierte Befragte (26 Prozent) die politischen Nachrichten im ÖRR-System nicht für vertrauenswürdig – das unsägliche Wort von der „Lügenpresse“ wird nicht mehr hinter vorgehaltener Hand, sondern laut ausgesprochen.

Im Osten zeigt sich der Befund noch dramatischer: Dort glauben nur noch 58 Prozent der Hörer und Seher, zuverlässige und vor allem zutreffende politische Nachrichten serviert zu bekommen. Im Westen sind es immerhin 73 Prozent. Wie sich leicht denken läßt, äußern 80 Prozent der AfD-Anhänger diesen negativen Befund – am systemtreuesten zeigt sich die grüne Anhängerschar mit einer Quote von 96 Prozent pro Nachrichten-Inhalt. Aber ein Drittel der FDP-Wählerschaft findet dies ganz und gar nicht…

Alarmierender geht es kaum.

Da half es wenig,wenn Staatssekretärin Heike Raab aus dem „goldenen Meenz“, einflußreiche Koordinatorin der Rundfunk-Kommission aller 16 durchweg ÖRR-kritischen Bundesländer, gegen Ende der Tagung versuchte, gut Wetter für den neuen „Zukunftsrat“ aus ARD und ZDF zu machen. Ein großer „thinktank“ sei dies, geführt vom Schweizer Top-Mann Roger de Weck – mit insgesamt fünf Frauen und drei Männern bestückt, aber fast alle im Silberhaar und weder den jüngeren noch mittleren Jahrgängen verbunden.

„Wir wollen spätestens zum Jahresende die Ergebnisse der Beratungen vorlegen“, kündigte die Staatssekretärin an.  Akademiechef Hahn zeigte sich nicht sonderlich überzeugt, sondern sprach davon, das ÖRR mache den Eindruck, „von der Politik getrieben zu sein“. Ein US-amerikanischer Besucher kritisierte in der Aussprache wiederum diese „typisch deutsche Debatte“ und sprach von einer „Über-Organisation“.

Andere Fragesteller monierten mit Verve, daß sich angesichts der Pensionen im ÖRR-System herausstelle: „Wir finanzieren mit unseren Gebühren allein 20 Prozent dieser Pensionsansprüche – wie kann das sein?“ Referentin Raab wußte darauf keine Antwort – wie auch.

Vor den goldverzierten eisernen Toren des Schlosses bereitete sich derweil weiter der Lenz aus.

Und die gute alte TAZ machte sich am Ende in ihrem Tagungsbericht sogar über die Zukunfts-Visionen des ÖRR lustig: „Zukunftsweisend ist das auch nicht. Hinter den Kulissen doktern die Länder also weiter mit alten Hüten an einem ziemlich eingebildeten Kranken herum. Schöne Zukunft!“, schrieb Autor Steffen Grimberg.

Da fällt dem heimischen Verfasser  etwas Preußisches ein: Heinrich von Kleist, der große Dichter, läßt seinen Prinzen von Homburg zum Finale ausrufen: „Ein Traum – was sonst!“

Fragt sich nur, ob die plötzlich ach so vertraute ARD-ZDF-Liaison eines Tages dramatisch endet – wenn die Granden und Halbgötter von einst aus ihren eifrig beredeten Träumen gerissen werden – durch die Wirklichkeit.

In Tutzing aber blühen jedenfalls die Krokusse.

Aber was blüht dem System der Funker und Sender?

 


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Muck, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons


Freitag, 24 März 2023

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