NDR-Framing: „Polizei schießt auf Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft“

NDR-Framing: „Polizei schießt auf Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft“


Der reißerische Titel in unserer Überschrift weist auf der Internetseite des NDR auf einen Beitrag des Senders vom Mittwochabend hin.

NDR-Framing: „Polizei schießt auf Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft“

Von Sarah Goldmann

Selbstverständlich muss eine Überschrift das Wichtigste eines Geschehens kurz zusammenfassen, aber die erwähnte vom NDR leistet noch mehr: Sie vertritt unterschwellig eine Sichtweise gegen die Polizei beziehungsweise für „Flüchtlinge“, wie auch im weiteren Verlauf des NDR-Beitrages deutlich wird. Dies soll hier im Folgenden analysiert und aufgezeigt werden.

Bei der erwähnten Überschrift wird nicht klar, wann und warum die Polizei auf den Flüchtling geschossen hat. Saß er ruhig vorm Haus beim Kaffeetrinken, als die Polizisten ihn anschossen? Hatte er die falsche Hautfarbe und wurde Opfer eines staatlichen Übergriffes?

Solche Mutmaßungen entstehen deshalb, weil die Polizei hier als Täter, der Flüchtling als Opfer dargestellt wird. Grammatisch ist „Polizei“ handelndes Subjekt und „Bewohner“ passives Objekt des Satzes. So eine grammatische Konstruktion fördert eine entsprechende inhaltliche Sichtweise und kann bereits die obigen möglichen Vermutungen beim Leser auslösen, ohne dass sie tatsächlich erwähnt worden wären. Als Gegenprobe wird in folgender möglicher Überschrift der „Flüchtling“ einmal aktiv dargestellt und die Polizei (in einer Passivkonstruktion) als nicht aktiv, ein völlig anderer Eindruck entsteht:

„Flüchtling greift Polizist mit Messer an und wird angeschossen“

Der Beitrag des NDR in „Hallo Niedersachsen“ gibt in seiner Anmoderation dieses Geschehen passend wieder (Min 0:22):

Ein Bewohner gerät mit dem Wachpersonal aneinander, die Polizei kommt und der 25-Jährige geht dann mit dem Messer auf die Beamten los. Daraufhin schießt einer der Polizisten. Der Flüchtling wird schwer verletzt, jetzt wird untersucht, was genau vorgefallen ist.

Diese knappe Beschreibung des wohl unstrittigen Tatverlaufs wird gleich darauf durch ein „Stimmungsbild“ des NDR-Reporters Johannes Koch emotionalisiert: „Spuren eines Polizeieinsatzes“ kommentiert er ein Bild, auf dem neben Unrat auch die Schuhe einer Person zu sehen sind, wie nach einem Überfall oder Kriegseinsatz. Das ist es, was der Polizeieisatz verursacht hat, so die Botschaft des NDR.

Hausordnung – Ansichtssache?

Der Anlass für das Rufen der Polizei, wie er vorweg beschrieben worden war, wird bei der Gelegenheit gleich mit in Frage gestellt. Der Bewohner habe „nach Ansicht der Sicherheitskräfte gegen die Hausordnung verstoßen“, so der NDR-Reporter. Heißt: Ob er es wirklich tat, steht noch dahin. Vielleicht gab es Streit, in welchem Abfalleimer ein Joghurtbecher entsorgt werden musste? Einem, der hier mit dem Messer auf Polizisten losgeht, wird jedenfalls unterstellt, dass er ebenfalls Recht gehabt haben könnte, mit seiner Ansicht zur Hausordnung. Dass das Wachpersonal, rechtlich richtig, unter Hinzuziehung der Polizei die Hausordnung und das Hausrecht durchsetzen wollte, kann man auch anders darstellen, etwa so:

„Der Flüchtling hielt sich nicht an Weisungen des Wachpersonals, sodass dieses zur Durchsetzung der Hausordnung die Polizei um Hilfe rufen musste.“

Nach einer erneut sachlichen Darstellung des Vorfalls durch eine Polizeibeamtin ergänzt der Reporter, dass der Flüchtling „aus nächster Nähe getroffen“ wurde und „mit lebensgefährlichen Verletzungen in ein Krankenhaus kam“.  Auch diese Darstellung kann neutral verstanden werden oder zugunsten des Flüchtlings und zuungunsten der Polizei. Denn das „Erschießen aus nächster Nähe“ wird häufig mit einer Hinrichtung assoziiert. Es gibt dazu ikonische Bilder, zum Beispiel aus dem Vietnamkrieg, die gerade die Älteren hier vor Augen haben könnten. Ob beim NDR eine Absicht dahintersteht, ob den Reportern ihre Ausdrucksweise bewusst ist oder ob die tendenzielle Sichtweise automatisch funktioniert, müssten psychologische Untersuchungen zeigen. Es gibt weitere Formulierungen, die ähnlich wirken. Jedenfalls kam diese nächste Nähe dadurch zustande, dass der Flüchtling offensichtlich schnell mit seinem Messer auf die Polizisten zulief und die Polizei im letzten Moment von der Schusswaffe Gebrauch machte. Diese Möglichkeit der Erklärung des Geschehens unterlässt der linkslastige NDR. Stattdessen, nächster Framingschritt, ordnet der NDR den Vorfall in einen größeren Zusammenhang ein (Minute 1:30):

Immer wieder Schüsse aus Flüchtlinge

„Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Vor eineinhalb Jahren hatte ein Polizist in Hasefeld im Landkreis Stade einen Bewohner dieser Geflüchtetenunterkunft erschossen. Zuvor soll dieser die Einsatzkräfte angegriffen haben.“

Das trifft zu. Man kann es aber so verstehen, dass hier eine böse Polizei – wie ein unartiger Junge – erneut bei ihrem Unrecht ertappt worden ist. Zudem werden die Handlungen der Polizei und des Flüchtlings hier unterschiedlich in ihrem Wahrheitsgehalt gewertet. Der Schuss der Polizei wird als Fakt dargestellt („hatte erschossen“), während die Tat des Bewohners als eine letztlich nicht gesicherte Tatsache hingestellt wird, dieser „soll“ auf die Polizei losgegangen sein. „Soll“, also „angeblich“.

Hier verschweigt der NDR, dass nach abschließender Prüfung das Verfahren gegen den Polizisten von damals eingestellt wurde, da er nachweislich in Notwehr handelte. Und was den Flüchtling angeht, so die HAZ, sei dieser laut Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft

[…] brüllend mit erhobenem Messer auf die Beamten zugerannt. Diese gaben 13 Schüsse ab, von denen 11 den Angreifer trafen. Er starb noch an Ort und Stelle.

Staatsanwaltschaft: Notwehr war gerechtfertigt

Die Schüsse von drei Beamten seien als Notwehr gerechtfertigt gewesen, erklärte die Staatsanwaltschaft. Der vierte Beamte habe mit seinen Schüssen aus der angrenzenden Küche sogenannte Nothilfe geleistet.

Weil der damals Erschossene ausweislich seiner dunklen Hautfarbe ein besonderer Angreifer gegen die Polizei war, hatten im Anschluss Demonstranten dafür geworben, dass die Polizei sich bei Messer-Angriffen von Schwarzen nicht mit der der Schusswaffe verteidigen soll, da schwarze Leben wichtig seien (black lives matter). Ähnliches will der NDR wohl auch im gegenwärtigen Falle gewährleistet sehen. Die Polizei wird mit dem Angreifer auf eine Stufe gestellt, sie ist auch nicht besser als der ‚Angreifende‘, wie der Schlusssatz zeigt:

„Die Staatsanwaltschaft hat sowohl gegen den Bewohner der Unterkunft als auch gegen die Polizei ein Verfahren wegen versuchten Totschlags eingeleitet.“

Kein Wort dazu, dass die Polizei routinemäßig immer den Einsatz der Schusswaffe untersuchen muss. Die Manipulationen des NDR geschehen eben auf vielfältige Weise, durch Formulierungen, grammatischen Aufbau, Infragestellen von Fakten, durch Herstellen angeblicher größerer Zusammenhänge oder auch durch Unterlassen einer Einordnung, wie zu zeigen versucht wurde.

[Anm. d. Red.: Mittlerweile wurde der Titel geändert und lautet nun „Hannover: Polizist schießt auf Geflüchteten“. Hier ein Screenshot des Originaltitels]

Like


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Bernd Schwabe in Hannover, CC BY 3.0 , via Wikimedia Commons


Donnerstag, 18 Mai 2023

Waren diese Infos wertvoll für Sie?

Sie können uns Danke sagen. Geben Sie einen beliebigen Betrag zurück und zeigen Sie damit, wie viel Ihnen der Inhalt wert ist.




empfohlene Artikel
weitere Artikel von: Redaktion

Folgen Sie und auf:


meistgelesene Artikel der letzten 7 Tage