Argentinien wählt politischen Neuanfang Argentinien wählt politischen Neuanfang
In einer auch international mit Interesse verfolgten Wahl hat sich eins der ehemals reichsten, inzwischen aber restlos heruntergewirtschafteten Länder der Welt für eine politische Zeitenwende entschieden: Der politische Quereinsteiger Javier Milei von der libertären Partei setzte sich bei den Stichwahlen zum Präsidenten mit deutlichem Abstand gegen den nunmehr scheidenden Noch-Wirtschaftsminister Sergio Massa vom rechten Flügel des Peronismus durch.
Von Ramiro Fulano
Nachdem Javier Milei bereits die Vorwahlen zur Überraschung vieler Beobachter für sich entschied, landete seine Partei La Libertad Avanza (zu Deutsch etwa: die Freiheit voran) in der ersten Wahlrunde mit 30 % auf dem zweiten Rang, konnte aber 34 Abgeordnete in die untere Kammer des Kongresses entsenden und sich so als Königsmacher zwischen den Blöcken der peronistischen Amtsinhaber und deren bürgerlicher Opposition etablieren, die beide seitdem über keine Parlamentsmehrheit mehr verfügen.
In den gestrigen Stichwahlen entschieden sich dann 56 % der Wählerschaft für den Herausforderer Javier Milei und 44 % für Sergio Massa, der als Wirtschaftsminister maßgeblich für das aktuelle argentinische Debakel mitverantwortlich ist: Die Inflation liegt bei 150 % pro Jahr, die Hälfte der Einwohner lebt unter der Armutsgrenze, die Mindestrente liegt bei unter 100 Euro pro Monat.
Zudem erschütterte ein schwerer Korruptionsskandal das Land, nachdem die erste Instanz die vormalige Präsidentin und Noch-Vizepräsidentin Cristina Kirchner wegen der Veruntreuung einer knappen Milliarde US-Dollar zu sechs Jahren Freiheitsentzug verurteilt hat (die Beklagte hat Rechtsmittel eingelegt).
Javier Milei ist ein in Fachkreisen durchaus bekannter und angesehener Experte für die sogenannte Österreichische Schule (Mises, Hayek) und war bis zuletzt Inhaber einer Professur in Wirtschaftswissenschaften an der durchaus angesehenen Di-Tella-Universität.
Mises und Hayek bilden den Gegenpol zum Keynesianismus und dessen chronischer Finanzierung defizitärer Staatshaushalte durch Geldschöpfung (vulgo: Gelddrucken), also per Inflation.
Zu Mileis wichtigsten politischen Zielen zählt eine Abschaffung der argentinischen Notenbank, die sich durch extreme Nähe zur offiziellen Politik und haushaltspolitische Gefälligkeitsdienste auszeichnet, sowie eine vollumfängliche Dollarisierung der Volkswirtschaft.
Dabei handelt es sich um den weltweit keineswegs einzigartigen Schritt, den Wert einer geringgeschätzten Nationalwährung an den Wert des US-Dollars zu binden, um eine Finanzierung des chronisch defizitären Staatshaushalts über die argentinische Notenbank zu verunmöglichen und die galoppierende Inflation – die insbesondere die wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsschichten ruiniert – unter Kontrolle zu bringen.
Ein ähnlicher Versuch der Dollar-Bindung unter Carlos Menem bescherte Argentinien in der Mitte der 90er Jahre eine kurze Periode des Wohlstands, die dann allerdings 2001 in einem politisch sicherlich gewollten Desaster von Menems Nachfolger und politischem Konkurrenten De la Rúa endete.
Ob die jetzt in Aussicht gestellte Dollarisierung mit einem per Fest-Kurs indizierten Peso oder einer Einführung US-amerikanischer Noten als alleiniges Zahlungsmittel endet, ist bislang unklar. Allerdings ist zu bemerken, dass langlebige Gebrauchsgüter (Autos, Immobilien, etc.) in Argentinien bereits seit Jahrzenten in Dollar-Preisen gehandelt und auch geringfügige Vermögen grundsätzlich nicht in Landeswährung gehalten werden.
Abgesehen von der dringend benötigten wirtschaftlichen Reform des Landes strebt Mileis Partei LLA einen gesellschaftlichen Kurswechsel an: Statt den politischen Gaga-Themen der Woke-Ideologie soll handfeste Brot-und-Butter-Politik auf den Feldern innere Sicherheit, Bildung, Gesundheit und Arbeitsmarkt im Vordergrund seines Mandats stehen.
Darüber hinaus ist eine drastische Verkleinerung der überbordenden öffentlichen Verwaltung auf allen nationalen, regionalen und kommunalen Ebenen angestrebt.
Auch das von der scheidenden, peronistischen Regierung zusammen mit dem Kreml angestrebte Revirement Südamerikas im Rahmen der BRICS-Organisation scheint ein weiteres Standbein in Südamerika zu verlieren. Eine Abkühlung der Beziehungen zu Argentiniens wichtigstem Handelspartner (Brasilien) scheint unvermeidlich.
Um seine Pläne umzusetzen, wird Milei sich auf eine Koalition mit dem bürgerlichen Zentrumsblock PRO oder dem Peronismus stützen müssen, wenn er nicht vier Jahre per Dekret regieren möchte. Zu beiden politischen Mehrheiten wurden bereits die Fühler ausgestreckt. Eine Herausforderung, aus einer parlamentarischen Minderheit heraus das politische Tagesgeschäft zu bestimmen, wird sicherlich auch in Javier Mileis konfrontativem und impulsiven Persönlichkeitsstil bestehen.
Autor: Ramiro Fulano
Bild Quelle: Pandukht, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons
Montag, 20 November 2023