Theatertreffen Berlin: Extra Life im Hans-Otto-Theater

Theatertreffen Berlin: Extra Life im Hans-Otto-Theater


Theater-Treffen ankert jenseits von Berlin an der Havel - „Extra Life“ gibt sich bedeutend- Kunstnebel, Laserstrahl-Attacken und Jubel im Parkett

Theatertreffen Berlin: Extra Life im Hans-Otto-Theater

Von Hans-Rüdiger Karutz

Sagen wir es mal sehr verkürzt: Stück überstanden, Kubekmeter Kunstnebel inhaliert, die verquere Story vom übergriffigen Opa Jacky („Seit fünf Jahren ist er tot) einigermaßen bewältigt: EXTRA LIFE gab im Potsdamer Hans-Otto-Theater am Gestade des Tiefen Sees den Startschuß für das „Theatertreffen“  - offenbar erstmals außerhalb der Berliner Stadtgrenze, in der brandenburgischen Kapitale.

Das gute alte „potztupimi“ mit seiner mehr als 1000jährigen Geschichte als Aufführungsort einer leicht verwirrenden (und verwirrten ) Story um zwei Geschwister in heftigen, gliedmaßenschüttelnden Bewältigungen erlebten Mißbrauchs: „Opa Jacky, so heißt der Übergriffige im 90-Minuten-Pausenlos-Durchgang der französischen Autorin. Regisseurin und  Choreografin Gisèle Vienne (wie Wien, richtig gelesen).

Die Dame mit ihrer offenbar quer durch Europa tourenden Entourage läßt Schwester Klara und Bruder Felix ihre nachvollziehbaren Seelenqualen ausführlichst ausleben – mit viel Kunst-Nebel, Dauer-Attacken mit grünen Laser-Strahlen (direkt in mein rechtes Auge), elektronischen Quietsch-und-Dröhn-Orgien von gehörschädigender Intensität und Stroboskop-Licht (kann laut Google bis zu „Netzhautablösung oder Schrumpfung des Glaskörpers“ führen) – Kunst mit vollem Körpereinsatz eben…

„Das Stück dringt schmerzhaft in tiefliegende Bewußtseinsschichten vor, heißt es in der offiziellen Ankündigung und raunt geheimnisvoll von einer „gesellschaftspolitiischen Komponente des Verdrängens.

Leider habe ich davon so gut wie nichts bemerkt: Zu un-sensibel, fehlende Emotionalität? Vielleicht? Neben mir die Dame nahm das „Erkennen“ jedenfalls wörtlich: Keine 1,50 Meter von der Bühnenrampe entfernt zückte sie immer wieder ihr Theaterglas – auf die quellend-wabernden Kunst-Nebel-Wolken, das Auto mit den philosophierenden Geschwistern, den Tsunami aus elektronischen Geräusch-Heimsuchungen, auf den männlichen Darsteller mit den Jesus-Locken im Fitness-Center-Outfit…

Hier vielleicht eine kleine Auswahl der Dialoge oder Monologe: „Warum bin ich eigentlich hier? - Wir sind mitten im Weltall verloren – Ist es schon 5.58 Uhr?– Es tut mir so leid um die ganze verlorene Zeit – Er hat uns jedes Mal zerstört, wenn er uns angefaßt hat - Okay stellen wir uns vor, es gibt Aliens“ oder „Weine ich schon lange?“  (alles in Englisch und Deutsch im Overhead-Anzeiger, die Mimen parlieren nur Französisch).

Wo sind wir h i e r?

Vor weiteren Details hier ein kurzer Einblick in das „round up“ dieses Theaterabends: Direkt am Havel-Ufer des Tiefen Sees gelegen, tagsüber sieht man in der Ferne die berühmte Glienicker Brücke. Günther Jauch wohnt nicht allzu weit entfernt, Matthias Platzeck – Ex-Landesvater, SPD-Chef (und Kanzlerkandidat in spe, wenn er damals nicht erkrankt wäre) , erlebte seine Kindheit dort. Um die Ecke die Schiffbauergasse mit dem „Waschhaus, wo des Kaisers Ulanen einst ihre Unterhosen schrubbten – alles preußisch-perfekt, heute Ort lebhafter Alternativ-Kultur.

Das P u b l i k u m: Viel Bussi-bussi, versteht sich: Man kennt sich offenbar („Ach, Du auch hier“ oder „Hey, na sowas). Und es gab sogar noch Karten. Der sächselnde Mensch am Schalter traute mir offenbar wegen meiner offen gezeigten Karte nicht über den Weg: „Nu, mei Guudster, mir hoabn selba noch Diggets, meinte er augenrollend und wies mich vor die Eingangstür. Im Vorfeld dort erstaunlich viele Chinesinnen und ständig Neuankömmlinge, von denen ich meinte, sie von irgendwoher zu kennen – so mancher Bühnenstar, ganz privat vermutlich. Hier vor Ort um die Ecke  wartet seit Jahren das IL TEATRO auf sein

Pasta-Publikum – in den Räumen einer umgebauten Zichorien-Mühle aus den Zeiten des Alten Fritz: Das üble Zeug ersetzte den viel zu teuren Bohnenkaffee…

Es ist Potsdams Lido – eine durch und durch kunstisnnige Ecke. Nebenan ankert mit dem betagten, aber fahrtüchtigen Lastkahn „Sturmvogel“ Potsdams Theaterschiff – herrlich aus der Zeit gefallen, Sommers ein traumhafter Sitz direkt am Wasser.

F i n a l e:

Nach knapp zwei pausenlosen Stunden mit einem mucksmäuschenstillen Publikum kaum fünf Sekunden Bedenkzeit, als oben das Licht erlischt: Kräftiger Applaus, aber nun keine Begeisterungsstürme.

Draußen die nachtschwarze Frühlingsluft mit leichter Havel-Brise: Und – Überraschung! – gleich eine ganze Kette dunkler, von Steuerbürgern teuer bezahlter Dienstlimousinen – der Landesregierung (mit dem BBL-Kennzeichen), aus Celle, aus Kassel – natürlich auch aus Berlin.

Also ein bedeutsamer Abend.

Irgendwie, oder?

Und dann der Ansturm der ca. 60 hurtigen „theatralischenFußgänger auf den Nachtbus (kommt, vielleicht, stündlich) an der Haltestelle in Richtung Stadtmitte: Man wartet und kommentiert einander das Erlebte. Ein professoraler Typ im Silberhaar, offenbar Österreicher, sagt es freimütig zu seinem Warte-Nachbarn: „Ich glaube, ich habe das Stück nicht verstanden – manchmal war es ohne Musik richtig schön.“

Na, bitte.

Der Gast bleibt mit seiner Analyse allein. Der Bus rollt fast lautlos heran. Alles drängelt, drängt, drückt. Wie soll man sonst von Opa Jacky nach Hause kommen?

ÖPVN und Theatertreffen – werden sie jemals Freunde?

Zurück bleibt viel Stille (wie heilsam nach der Dauer-Kakophonie im Parkett, ganz in Schwarz). Heinrich Heine, der alte Revoluzzer, läßt grüßen:

„Mitternacht zog näher schon, in stiller Ruh lag Babylon.

EXTRA LIFE – das Leben war an diesem Abend schon ziemlich extra.

Mit viel Theater.


Autor: Hans Rüdiger Karutz
Bild Quelle: GualdimG, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons


Mittwoch, 15 Mai 2024

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