Von Wahlen, Mehrheiten und anderen Zufällen Von Wahlen, Mehrheiten und anderen Zufällen
Nach der Ampel ist vor der Ampel, und das nicht nur im Straßenverkehr. Wie die vorläufig letzte öffentliche Aussprache im Deutschen Bundestag gezeigt hat, dürfte die sich abzeichnende Schmerz-Regierung schon recht bald zur Fortsetzung der gescheiterten Hampel-Koalition mutieren – nur eben unter sozialpolitisch verschärften Bedingungen.
Von Ramiro Fulano
Meine Damen und Herren, Dasein und Sosein des Zufalls beschäftigt die Intelligenz nicht erst seit Friedrich Merzens schnöder Absage an das, was er „Zufallsmehrheiten“ nennt.
Bereits vor vielen tausend Jahren wurden teils höchst eigentümliche Annahmen darüber getroffen, was sich in den sogenannten Zufällen manifestiert – und ob das überhaupt Zufälle sind. Für die einen handelte es sich um die Werke finsterer Kräfte, von Dämonen, Teufeln, bösen Geistern. Für andere um nicht mehr und nicht weniger als das Wirken der Vorsehung, ergo: um Wirkungen göttlichen Ursprungs.
Andere wiederum stellten grundsätzlich in Frage, ob es überhaupt Zufall sein kann, dass einem beispielsweise das Toastbrot immer auf die Marmeladenseite fällt – oder ob es sich damit nicht vielmehr um einen naturgesetzlichen, genauer gesagt physikalischen Zwang handelt, wenn schon nicht um die eigene Blödheit.
Wie dem auch sei, offensichtlich ist: Wenn uns das Ergebnis des Zufalls passt, sind wir geneigt, uns darin bestätigt zu fühlen, dass ein gütiger, wohlwollender Kosmos für uns sorgt, der es gut mit uns meint. Während wir im umgekehrten Fall mit der Welt zu hadern neigen und eventuell sogar anfangen, an Spuk und Kobolde zu glauben.
Womit wir endlich bei der offiziellen Politik angekommen wären, wie man sie derzeit in Germany praktiziert.
In seiner Funktion als widerwilliger Oppositionsführer ließ Friedrich „BlackRock“ Merz (CDU) sich zu Beginn der Woche anlässlich der Jahrestagung einer weiteren deutschen Pleitebranche, an die ich mich nicht erinnern möchte, landauf-landab mit einer ihm vermutlich höchst kernig, mannhaft und entschlossen erscheinenden Formulierung zitieren, die ihm irgendwo zwischen Schnitzelpiste und Ausschusssitzung des sogenannten Hohen Hauses in den Sinn gekommen sein muss: „Zufallsmehrheiten“ – aus Sicht des Sauerländer Katholiken ein Teufelswerk.
Merz meint damit das Ergebnis freier, gleicher und geheimer Wahlen, also den Ausdruck des Wählerwillens und der politischen Interessen von rund 61 Millionen Wahlberechtigten. Denn genau darum handelt es sich bei den parlamentarischen Mehrheiten, wie sie uns auf allen politischen Ebenen, in der zumindest dem Anspruch nach noch immer halbwegs freien politischen Wildbahn begegnen – vom Hasenzüchterverein bis zum Bundestag bilden Menschen politische Mehrheiten aufgrund demokratischer Abstimmungen. Und nicht auf der Basis von Absprachen in schlecht gelüfteten Hinterzimmern.
Ist der Mensch ein Zufall?
Mit dem Wirken gesellschaftlicher Freiheitsgrade hat Friedrich Merz (CDU) offensichtlich ein Problem. Wir können bislang nur vermuten, ob es sich dabei um eine basale konzeptionelle Verständnisschwierigkeit handelt. Ob er also schlicht nicht gelernt und/oder nicht verstanden hat, was Menschen machen, wenn sie wählen gehen. Oder ob er genau das nur dann verstehen möchte, wenn es ihm in den Kram passt. Selbstverständlich schließen beide Optionen sich nicht gegenseitig aus.
Fakt ist, dass der Anführer der deutschen Christdemagogie offensichtlich per ordre de Mufti demokratische Freiheitsgrade beschneidet, wenn er bestimmt, was „demokratisch“ ist und was nicht. Wer politisch mitreden darf und wer nicht. Wessen Stimme zählt, wessen nicht. Wer ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe hat und wer nicht – die Liste dieser autokratischen und möchtegern-diktatorischen Anwandlungen ließe sich bis ins Unendliche fortsetzen. Oder zumindest bis wir wieder beim kaiserzeitlichen Ständestaat angelangt wären, in dem die selbsternannten Stützen der Gesellschaft es unter sich ausmachen konnten, wer was zu sagen hat und wer gefälligst die Klappe halten soll.
Demokratie geht anders
Dem Menschen und Gesellschaftsbild des führenden deutschen Christdemagogen und designierten „Ersatz-Scholz“ (Weidel dixit) entspricht diese Art obrigkeitsstaatlicher Politik offenbar weit besser als der freie Wettbewerb der Ideen auf dem Marktplatz der Ansichten und Meinungen. Denn flugs musste ja auch die Bundesschwatzbude bis auf weiteres dichtgemacht werden, um der ebenso unerwünschten wie einzig nennenswerten Opposition keine Bühne zu bieten. Vor allem aber, damit keine Ideen an die Öffentlichkeit gelangen, die den politischen Machtanspruch einer sich als „Mitte der Gesellschaft“ inszenierenden Gemengelage aus schwarzer und roter Sozialkleptokratie, Ökopathie und Lindners-Linkspartei gefährden.
Hier wurden also sehr selbstherrlich Partikularinteressen über die Interessen des Landes gestellt – von wegen größtmögliches Glück der größtmöglichen Zahl. Und dabei wird genau dieselbe Art ideologisierter, realitätsferner Politik betrieben, die den krachend gescheiterten Vorgängern in der öffentlichen Aussprache mit Verbitterung und Wut (um nicht zu sagen: Hass und Hetze) angekreidet wurde. Aber wenn zwei das Gleiche machen, ist es eben noch lange nicht dasselbe…
Ob sich eine Wiedereröffnung eines Parlaments, das sich selbst mehrheitlich offensichtlich nicht wirklich ernst nimmt, nach den anstehenden Neuwahlen überhaupt noch lohnt – oder ob wir uns vor den gar schröcklichen „Zufallsmehrheiten“ des Friedrich Merz vielleicht besser jetzt schon schützen sollten, indem wir die AfD verbieten und die Parteipräsidien der selbsternannten „demokratischen Fraktionen“ die Insassen der Ersten Kammer im Alleingang bestimmen lassen – frage ich mich vielleicht nicht als einziger. Vielleicht hat man sich darüber auch schon in der CDU/CSU Gedanken gemacht. Gelenkte Demokratie wohnt nicht nur in Moskau.
Merke: Im politischen Regelbetrieb des besten Gagalandes aller Zeiten gibt es nur Häuptlinge – keine Indianer. All diese selbsternannten Fürsten, Pfaffen und Monarchen wollen regieren, und sei ihr Land auch noch so klein. Es ist kein Wunder, dass Deutschland jahrhundertelang aus Klein- und Kleinststaaten bestand. Und für alle seine Anrainer war es vielleicht auch besser so.
Den anderthalb politischen Gruppierungen indes, die tatsächlich Opposition spielen möchten, wird das unmöglich gemacht und sie werden eventuell sogar verboten. Der Staatsfunk nennt das „Unseredemokratie“ und die gleichgeschaltete Presse plappert es nach.
Autor: Ramiro Fulano
Bild Quelle: Jiří Sedláček, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons
Donnerstag, 14 November 2024