80 Jahre Befreiung Sachsenhausen: Ein Mahnmal gegen Vergessen und Hass80 Jahre Befreiung Sachsenhausen: Ein Mahnmal gegen Vergessen und Hass
Zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Sachsenhausen kämpft die Gedenkstätte mit schwindenden Zeitzeugen und wachsendem Antisemitismus. Nur sechs Überlebende können noch vom Horror der Nazis berichten, während Hassbotschaften die Erinnerungskultur bedrohen.
Am 22. April 1945 befreiten sowjetische und polnische Soldaten das Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg, nur wenige Kilometer nördlich von Berlin. Für die etwa 3.000 ausgemergelten Häftlinge, die im Lager zurückgelassen worden waren, war es ein Moment der Rettung nach Jahren unvorstellbaren Leids. Doch die Befreiung kam für Tausende zu spät: Einen Tag zuvor hatten die Nazis über 30.000 Gefangene auf grausame Todesmärsche nach Nordwesten gezwungen, auf denen Tausende ihr Leben verloren. Zwischen 1936 und 1945 wurden in Sachsenhausen rund 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende starben an Hunger, Zwangsarbeit, medizinischen Experimenten, Misshandlungen, Krankheiten oder wurden Opfer gezielter Vernichtungsaktionen. Selbst nach der Befreiung erlagen noch 300 Überlebende den Folgen ihrer Haft. Am Montag, dem 21. April 2025, jährt sich die Befreiung zum 80. Mal – doch die Gedenkstätte steht vor großen Herausforderungen: Die Zahl der Zeitzeugen schwindet, und Antisemitismus bedroht die Erinnerungskultur.
Die diesjährige Gedenkveranstaltung ist von der schmerzhaften Realität geprägt, dass nur noch sechs Überlebende teilnehmen können. Diese Menschen, zwischen 89 und 100 Jahre alt, reisen aus Israel, Polen und der Ukraine an, um von den Schrecken der NS-Zeit zu berichten. Vor zehn Jahren waren es noch etwa 100 Zeitzeugen. „Ich hoffe, dass jetzt noch einmal – vielleicht ein letztes Mal – auf die Überlebenden gehört wird“, sagt Katrin Grüber, Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte, deren Großvater, der evangelische Bischof Heinrich Grüber, selbst Häftling in Sachsenhausen war. Alter und die weite Anreise verhindern, dass viele kommen können. Bald wird die Stimme der Überlebenden verstummen, und die Verantwortung, ihre Geschichten weiterzutragen, liegt bei den nachfolgenden Generationen.
Seit 1961 ist Sachsenhausen eine Gedenkstätte, die an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert. Doch ohne Zeitzeugen wird es immer schwieriger, die Vergangenheit lebendig zu halten. „Wir befinden uns an einem Übergang von Zeitgeschichte zu Geschichte“, erklärt die Leiterin Astrid Ley. Ohne persönliche Berichte droht die NS-Zeit für junge Menschen zu einer fernen Vergangenheit zu werden. Viele der Inhaftierten haben keine Nachfahren, und nicht alle, die Nachkommen haben, sind bereit, öffentlich über das Leid ihrer Familien zu sprechen. Die Gedenkstätte steht vor der Aufgabe, neue Wege zu finden, um die Relevanz dieser Geschichte für die Gegenwart zu verdeutlichen. „Wir müssen zeigen, wohin Ausgrenzung führen kann“, betont Ley. Ein oft diskutierter Vorschlag ist die Einführung verpflichtender Besuche in KZ-Gedenkstätten für Schülerinnen und Schüler. In Berlin und Brandenburg, wie in den meisten Bundesländern, gibt es eine solche Pflicht noch nicht. Doch Alexander Tönnies, Landrat von Oberhavel, hebt die Bedeutung solcher Besuche hervor: „Das Feedback zeigt, dass wir viele Jugendliche erreichen. Das Gedenken spricht sie an.“
Trotz dieser Bemühungen sieht sich die Gedenkstätte wachsenden Bedrohungen ausgesetzt. Antisemitismus ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine reale Gefahr in der Gegenwart. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten berichtet von einer alarmierenden Zunahme antisemitischer Hassbotschaften in Sachsenhausen, unter anderem in Gästebüchern. Diese Angriffe sind ein Schlag ins Gesicht der Überlebenden und aller, die sich für ein „Nie wieder“ einsetzen. Sie zeigen, wie dringend es ist, die Erinnerungskultur zu verteidigen. Die Gedenkstätte ist kein bloßes Museum, sondern ein Mahnmal, das uns vor den Folgen von Hass und Intoleranz warnt. Die Parolen in den Gästebüchern sind ein schmerzhafter Beweis dafür, dass die Lektionen der Geschichte nicht von allen gelernt wurden.
Die Besucherzahlen der Gedenkstätte, die sich mit rund 700.000 pro Jahr wieder dem Vor-Corona-Niveau annähern, zeugen von einem anhaltenden Interesse an der Geschichte. Jährlich finden etwa 500 Workshops und Tagesseminare statt, und für den 80. Jahrestag sind besondere Führungen und Zeitzeugengespräche geplant. Die zentrale Gedenkveranstaltung am 4. Mai 2025 wird ein weiterer Höhepunkt sein. Doch Zahlen allein genügen nichtFüllen nicht. Die Gedenkstätte muss ein lebendiger Ort bleiben, der nicht nur die Vergangenheit dokumentiert, sondern auch für die Gegenwart relevant ist. Die Geschichten der Überlebenden verdienen es, gehört zu werden, und die Tragödien der NS-Zeit dürfen nie in Vergessenheit geraten.
Die Verantwortung, die Erinnerung wachzuhalten, liegt bei uns allen. Es ist unerträglich, dass 80 Jahre nach der Befreiung von Sachsenhausen antisemitische Hassbotschaften zunehmen. Die Überlebenden, die uns ihre Geschichten anvertraut haben, verdienen mehr als stille Gedenkfeiern – sie verdienen eine Gesellschaft, die aktiv gegen Hass und Ausgrenzung kämpft. Verpflichtende Schulbesuche in Gedenkstätten könnten ein wichtiger Schritt sein, um junge Menschen zu sensibilisieren. Noch wichtiger ist jedoch ein gesellschaftlicher Konsens, dass Antisemitismus keinen Platz hat. Sachsenhausen erinnert uns daran, was passiert, wenn Hass und Ideologie die Oberhand gewinnen. Es liegt an uns, diese Lektion zu lernen – bevor es zu spät ist.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Stephan Kaphle - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=75600999
Montag, 21 April 2025