Warum der Antisemitismus keine Randnotiz mehr ist, sondern eine Schande für unser LandWarum der Antisemitismus keine Randnotiz mehr ist, sondern eine Schande für unser Land
Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Bayern hat sich verdoppelt. Doch was die Statistik nicht zeigt: den Verlust an Menschlichkeit, der dahintersteht.
Bayern hat ein Problem. Kein Randproblem, kein Randgruppenproblem. Sondern ein menschliches Versagen im Herzen unserer Gesellschaft. Der neue RIAS Bayern Jahresbericht 2024 spricht eine Sprache, die niemand überhören kann – wenn er denn noch hinhören will. 1.515 antisemitische Vorfälle im Freistaat. Mehr als doppelt so viele wie im Jahr davor. Ein Zuwachs, der keine kalte Zahl ist, sondern ein lauter Hilfeschrei: Etwas bricht auf, das viele längst besiegt glaubten. Doch 2024 zeigt: Der Hass auf Juden ist nicht Geschichte. Er ist Gegenwart. Und er wird wieder gefährlicher, hemmungsloser und salonfähiger.
Man kann sich nicht herausreden. Nicht auf "die Weltlage", nicht auf "den Nahostkonflikt". Der Bericht zeigt glasklar: Der brutale Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war der Zündfunke. Aber das Feuer, das seitdem brennt, liegt hier. Bei uns. In unseren Straßen, auf unseren Plätzen, in unseren Köpfen. Und Bayern ist keine Ausnahme. Bayern ist ein Brennpunkt.
Antisemitismus ist kein Nebenschauplatz – er hat die Mitte erreicht
Die Zahlen sind erschütternd. 1.515 dokumentierte Vorfälle im Jahr 2024. 80 Prozent davon hängen direkt mit Israel zusammen. Was sich hinter diesen Zahlen verbirgt, sind Menschen, die auf offener Straße "Kindermörder Israel" brüllen. Junge jüdische Studenten, die ihre Ketten mit Davidstern unter der Jacke verstecken. Rentner, die an Gedenktafeln beschimpft werden, weil sie eine Kippa tragen. Und Einrichtungen, die nur noch unter Polizeischutz arbeiten können.
RIAS Bayern spricht von "Israel-bezogenem Antisemitismus". Aber das klingt zu harmlos. Wer Israel als "neues Nazi-Deutschland" diffamiert, trifft nicht irgendeine Regierungskritik. Er trifft jüdisches Leben ins Mark. Er spricht dem jüdischen Volk jedes Existenzrecht ab. Und genau das passiert täglich – in Bayern, mitten unter uns.
Besonders perfide: Der Hass tarnt sich. Er nennt sich "Solidarität", "Menschenrechte", "Gerechtigkeit". Er ruft auf Demonstrationen nicht mehr nur "Tod Israel", sondern "Nie wieder für alle". Er entstellt die Erinnerung an den Holocaust, um neue Lügen zu verbreiten. Er nutzt die offene Gesellschaft, um sie von innen zu zersetzen.
Der öffentliche Raum – Bühne des neuen Judenhasses
Der Bericht legt offen, wie öffentliche Versammlungen in Bayern 2024 zur wichtigsten Bühne antisemitischer Hetze wurden. Über 557 Demonstrationen mit antisemitischem Inhalt – mehr als doppelt so viele wie 2023. Was sich dort entlud, war nicht etwa "berechtigte Kritik" an einer Regierung. Es war blanker Hass, gerichtet auf alles Jüdische.
In Nürnberg nannte ein Redner Israel "das größte Übel im Nahen Osten" und Zionismus einen "Krebs". In München belagerten Aktivisten die LMU monatelang mit einem Dauerprotest, der täglich Hassparolen ausspuckte: "Intifada bis zum Sieg!" – ein offener Aufruf zur Gewalt. Rote Dreiecke, das Symbol der Hamas für zu ermordende Ziele, wurden stolz präsentiert. Es waren nicht wenige Verirrte. Es waren hunderte Teilnehmer. Und es waren dieselben, die an Universitäten Bildung, Toleranz und Vielfalt fordern – solange es nicht um Juden geht.
Die Auswirkungen sind katastrophal. Jüdische Studenten meiden ganze Universitäten. Eltern haben Angst, ihre Kinder mit Davidstern in die Schule zu schicken. Der öffentliche Raum, der für alle offen sein sollte, wird für Juden zum Gefahrenraum. Wieder.
Nicht nur Worte – der Hass wird handgreiflich
2024 blieb es nicht bei Parolen. Bayern erlebte eine Zunahme physischer Gewalt und gezielter Anschläge auf jüdische Einrichtungen. Fünfzehn dokumentierte Angriffe auf Menschen. Fünfzig Fälle von Vandalismus. Jedes einzelne Mal eine Botschaft: Ihr seid nicht sicher.
Besonders erschütternd: Der Terroranschlag am 5. September 2024 in München. Ein Angreifer eröffnete das Feuer auf das israelische Konsulat und das NS-Dokumentationszentrum – ausgerechnet am Jahrestag des Olympia-Attentats von 1972. Der Täter wurde von der Polizei gestoppt. Doch die Botschaft seines Angriffs bleibt: Der Hass auf Juden ist mörderisch. Und er sucht sich wieder seine Opfer – überall.
In Würzburg wurden Stolpersteine geschändet. Gedenktafeln zerkratzt. Friedhöfe geschändet. Es ist nicht "nur Vandalismus". Es ist der Versuch, jüdisches Leben aus dem öffentlichen Gedächtnis zu löschen. Er beginnt leise – und endet oft tödlich.
Die Perversion der Erinnerungskultur
Ein besonders abstoßendes Phänomen, das der Bericht beschreibt, ist die Störung von Holocaust-Gedenken durch antiisraelische Aktivisten. 42 dokumentierte Vorfälle – fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Gedenkveranstaltungen wurden unterbrochen, Mahnmale entweiht, Redner niedergebrüllt.
Am 7. Oktober 2024 – dem ersten Jahrestag des Hamas-Massakers – versuchte ein Aktivist auf dem Münchner Marienplatz, eine Gedenkveranstaltung zu stören. Schreiend "Free Palestine!" wollte er das Andenken an die Opfer verhöhnen. Die Umdeutung von "Nie wieder" zu "Nie wieder gilt für alle" ist nichts anderes als eine Relativierung des Holocaust. Es ist ein Zynismus, der nicht zufällig passiert. Er ist gewollt.
Wer heute behauptet, der Holocaust lehre uns, gegen Israel aufzustehen, der macht sich nicht nur der Lüge schuldig. Er tritt die Überlebenden mit Füßen. Er gibt dem Hass ein neues, respektables Gesicht. Und er bereitet den Boden für die nächste Gewalt.
Ein Weckruf – oder die letzte Warnung?
RIAS Bayern ruft zum Handeln auf. Zu Recht. Aber Handeln heißt nicht: mehr Programme, mehr warme Worte, mehr Erklärungen. Handeln heißt, den Feinden jüdischen Lebens endlich unmissverständlich entgegenzutreten – auf der Straße, in der Schule, in den Medien, an den Universitäten.
Es reicht nicht mehr zu sagen: "Antisemitismus hat keinen Platz bei uns." Denn er hat Platz gefunden. Und zwar nicht irgendwo am Rand, sondern mitten unter uns. Er brüllt auf Demonstrationen. Er sitzt in den Hörsälen. Er kommentiert in sozialen Medien. Und er schießt auf Konsulate.
Die Verteidigung jüdischen Lebens ist nicht nur eine Frage der Solidarität. Sie ist eine Frage der Würde – unserer eigenen. Wer jetzt schweigt oder relativiert, der macht sich mitschuldig. Die Geschichte hat gezeigt, wohin Wegsehen führt. Es gibt keine Entschuldigung mehr.
Den Bericht von RIAS Bayern finden sie hier.
Autor: Redaktion
Bild Quelle:
Montag, 28 April 2025