Der 8. Mai ist kein Versöhnungstag mehr – sondern ein Prüfstein für Haltung

Der 8. Mai ist kein Versöhnungstag mehr – sondern ein Prüfstein für Haltung


80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ist der 8. Mai nicht länger nur ein Tag des Erinnerns. Er ist ein Gradmesser für unsere Gegenwart geworden.

Der 8. Mai ist kein Versöhnungstag mehr – sondern ein Prüfstein für Haltung

Es war nie ein einfacher Tag, dieser 8. Mai. Kein Feiertag, kein Heldengedenken, keine Inszenierung nationaler Größe. Und doch hat er sich ins kollektive Bewusstsein eingeschrieben – als Mahnung, als Bruch, als Beginn einer neuen Verantwortung. Im Jahr 2025, acht Jahrzehnte nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, zeigt sich: Dieser Tag hat nichts von seiner Dringlichkeit verloren. Er hat sich verändert – weil wir uns verändert haben.

In Berlin legen Menschen Blumen an den Gedenkstätten nieder, oft still, manchmal mit Tränen. Es kommen Überlebende, ihre Kinder, Enkel, viele, die niemandem mehr persönlich danken oder vergeben können. Es ist keine historische Pflichtübung, sondern eine zutiefst persönliche Entscheidung: sich der Vergangenheit zu stellen, gerade in einer Gegenwart, die wieder lauter, aggressiver, nationalistischer geworden ist. Der 8. Mai ist zum Spiegel geworden – nicht nur für das, was war, sondern für das, was ist.

Die politischen Reden an diesem Tag klingen anders als früher. Weniger ritualisiert, weniger versöhnlich, dafür dringlicher. Wenn Bundespräsident Steinmeier im Bundestag an die Millionen Opfer erinnert, spricht er nicht in Pathosformeln. Er spricht von Verantwortung, von der Fragilität der Demokratie, vom Gift des Antisemitismus, das wieder in der Gesellschaft gärt. Und er spricht über die Leerstelle in der Erinnerungskultur: Dass viele heute zwar gedenken – aber längst nicht mehr alle an dasselbe glauben.

Denn während sich demokratische Vertreter Israels, Frankreichs, Polens und der jüdischen Gemeinden am Mahnmal versammeln, bleiben andere außen vor – nicht durch Verbote, sondern durch ihr eigenes Verhalten. Der 8. Mai ist kein Tag mehr für Lippenbekenntnisse. Er duldet keine Propaganda, keine Umdeutungen, keine falsche Solidarität. Wer sich heute mit den Opfern des Nationalsozialismus solidarisiert, muss auch ihre heutigen Nachkommen schützen – gegen Angriffe, gegen Relativierungen, gegen neue Feinde.

Gerade das macht diesen Tag so brisant. Es geht nicht mehr nur um historische Schuld, sondern um politische Haltung. Um die Frage, ob man mit Menschen gedenkt, die jüdisches Leben feiern – oder mit jenen, die es angreifen. Ob man Opfer ehrt – oder Täter relativiert. Ob man ein Mahnmal betritt – oder lieber eine Parole auf die Straße ruft.

Der 8. Mai ist unbequem geworden. Und das ist gut so. Er verlangt ein Bekenntnis – zum Rechtsstaat, zur historischen Wahrheit, zur Unteilbarkeit der Menschenwürde. Wer heute Blumen niederlegt, gedenkt nicht nur der Vergangenheit. Er setzt ein Zeichen gegen jeden, der Auschwitz mit Gaza vergleicht. Gegen jeden, der sich auf Widerstand beruft und dabei Terror feiert. Gegen jeden, der Erinnerung missbraucht, um Hass zu legitimieren.

Dass an vielen Orten Israelfahnen wehen, ist kein Zufall. Es ist ein Statement: Die Lehren von damals gelten nicht abstrakt, sondern ganz konkret – auch für heute, auch für hier. Gedenken heißt nicht, in die Vergangenheit zu schauen, sondern die Zukunft zu verteidigen. Es heißt, sich gegen die Lauten zu stellen, wenn sie wieder beginnen, zu entmenschlichen. Es heißt, Nein zu sagen – auch wenn es unbequem ist.

Der 8. Mai hat sich gewandelt. Er ist kein nationaler Tag der Selbstvergewisserung mehr, kein Ritual im Gedenken. Er ist ein Prüfstein für politische Moral geworden. Und er wird es bleiben. Denn solange Menschen öffentlich für das Existenzrecht Israels demonstrieren müssen, ist das Gedenken nicht vorbei – es hat gerade erst begonnen.


Autor: Redaktion
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Freitag, 09 Mai 2025

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