Revolte in der Forensik: Eskalation in der LVR-Klinik Bedburg-HauRevolte in der Forensik: Eskalation in der LVR-Klinik Bedburg-Hau
Barrikaden, brennende Möbel und eine mögliche Geiselnahme – in einer forensischen Klinik in Nordrhein-Westfalen eskaliert am Samstag die Lage. Ein einziger Patient bringt ein ganzes System ins Wanken.
Es begann mit einem einzigen Mann. 27 Jahre alt, untergebracht in der forensischen Abteilung der LVR-Klinik Bedburg-Hau, eingewiesen als Gewalttäter – und offenbar betrunken. Wie Alkohol überhaupt in den Hochsicherheitsbereich gelangte, ist bis jetzt völlig ungeklärt. Doch was danach geschah, war weit mehr als ein Ausraster. Es war eine Revolte, ein flammender Aufschrei hinter Gittern, mitten im System, das eigentlich genau solche Ausbrüche verhindern soll.
Was folgte, war ein Szenario, das an einen Gefängnisaufstand erinnerte: Möbel wurden in Brand gesteckt, Barrikaden errichtet, die Klinikmitarbeiter mussten sich in Sicherheit bringen. Manche flüchteten ins Freie, andere versuchten, Ordnung zu bewahren. Die Lage war unübersichtlich, chaotisch, bedrohlich. Die Polizei sprach zwischenzeitlich sogar von einer möglichen Geiselnahme – doch klar war nur: Die Kontrolle war verloren.
Mehrere andere Patienten – offiziell gelten sie alle als psychisch krank und gefährlich – solidarisierten sich offenbar mit dem ersten Randalierer. Fünf Personen sollen es gewesen sein, die schließlich gemeinsam das Gebäude in ein Pulverfass verwandelten. Was sie verband? Vielleicht die Ausweglosigkeit, die Isolation, die Wut. Vielleicht auch nur der Moment.
Die Polizei reagierte massiv. Spezialkräfte aus ganz Nordrhein-Westfalen wurden nach Bedburg-Hau verlegt. Das SEK aus Essen übernahm die Einsatzleitung, ein Polizeihubschrauber landete, ein MARS-Rampensystem – eine mobile Rampe für den Zugriff über Dächer – wurde herangeführt. Die Feuerwehr konnte zwischenzeitlich nur eingeschränkt löschen. Zu gefährlich. Zu unklar, wie viele Menschen sich noch im Inneren aufhielten, wer Täter war, wer Opfer.
An einem Streifenwagen klebten Hinweise für Einsätze in psychiatrischen Einrichtungen – eine surreale, fast kafkaeske Szene, während hinter den hohen Klinikzäunen Rauch aufstieg. Selbst SEK-Beamte rüsteten sich mit Atemschutz aus – für einen Häuserkampf im eigenen Land, gegen Menschen, die in erster Linie krank sind, nicht kriminell.
Doch das System kennt keine Grautöne, wenn es um akute Gefahr geht. Gegen 13.40 Uhr dann die Entwarnung: Die Randalierer gaben auf – offenbar ohne direkten Zugriff der Spezialeinheiten. Die schiere Präsenz der Polizei reichte aus, um die Kontrolle zurückzugewinnen. Danach wurde das gesamte Gebäude durchsucht. Ob es Verletzte gab, ist bisher nicht bekannt. Auch nicht, ob Mitarbeiter oder Mitpatienten in Gewalt geraten waren.
Was bleibt, ist ein tiefes Unbehagen. Diese Klinik ist eine forensische Einrichtung. Hier sitzen Menschen, die krank sind – aber auch gefährlich. Sie sind nicht in Haft, aber auch nicht frei. Sie leben in einem Raum, der zwischen Therapie und Verwahrung liegt. Wenn dieser Raum kippt, wie in Bedburg-Hau, zeigt sich, wie fragil die Grenze zwischen Fürsorge und Ohnmacht ist.
Der Vorfall wirft Fragen auf, die über den einzelnen Samstag hinausgehen. Wie sicher sind forensische Einrichtungen wirklich? Wie kann Alkohol in eine solche Einrichtung gelangen? Was macht ein Mensch, der im Wahnsinn eingesperrt ist, wenn er glaubt, nichts mehr zu verlieren zu haben?
Und vielleicht die unbequemste Frage: Wie sehr können wir uns auf ein System verlassen, das einer Handvoll entschlossener Männer nichts entgegenzusetzen hatte – außer Gewalt, Barrikaden und einem massiven Polizeiaufgebot?
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Pieter Delicaat - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69561183
Samstag, 10 Mai 2025