„Seid Menschen“ – Ein letzter Dank an Margot Friedländer

„Seid Menschen“ – Ein letzter Dank an Margot Friedländer


In der Berliner Philharmonie wurde gestern der großen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer gedacht. Bundespräsident Steinmeier nannte sie eine Mahnerin für die Menschlichkeit – und ließ durch seine Worte erkennen: Mit ihr ist mehr gestorben als ein Mensch.

„Seid Menschen“ – Ein letzter Dank an Margot Friedländer

Sie war nicht einfach eine Zeitzeugin. Sie war Stimme, Haltung, Mahnung. Margot Friedländer, 1921 in Berlin geboren, von den Nazis verfolgt, ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und als Einzige ihrer Familie überlebend, stand in den letzten Jahrzehnten wie kaum ein anderer Mensch für das lebendige Erinnern an die Schoah. In ihrem langen, schmerzvollen, aber dennoch von Würde getragenen Leben verwandelte sie ihr persönliches Leid in eine öffentliche Verantwortung – und blieb dabei immer eines: menschlich, zugewandt, unermüdlich.

Zwei Monate nach ihrem Tod ist gestern in der Berliner Philharmonie eine bewegende Gedenkfeier abgehalten worden. Es war keine Staatszeremonie, sondern ein Moment tiefer Dankbarkeit und Nachdenklichkeit – getragen von jenen, die sie kannten, bewunderten oder von ihr geprägt wurden. In einer Zeit, in der Antisemitismus wieder offen auf deutschen Straßen marschiert, war diese Gedenkstunde mehr als nur ein Rückblick. Sie war ein Appell.

Eine Stimme, die bleibt

„Ein Gefühl der Leere begleitet uns seit ihrem Tod“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede. Es waren leise Worte, nachdenklich und voller Respekt. Er zeichnete den Lebensweg Friedländers nach – vom Mädchen, das sich in Berlin verstecken musste, zur alten Frau, die in Schulen jungen Menschen davon erzählte. Und er brachte auf den Punkt, was ihre Botschaft war: „Sie wollte uns bewahren. Davor bewahren, dass solch ein Menschheitsverbrechen wieder geschieht.“

Friedländer selbst hatte ihre Botschaft auf drei schlichte Worte reduziert, die sie unzählige Male sagte – oft mit Tränen in den Augen, immer mit unerschütterlicher Klarheit: „Seid Menschen.“ Dieser Satz war keine Floskel, sondern ein Vermächtnis. Er richtete sich an Schüler in Neukölln ebenso wie an Politiker im Bundestag. Und es ist wohl dieser Satz, der bleibt – weil er alles sagt, was man sagen kann, nach einem Jahrhundert der Barbarei.

Kein leeres Ritual

Dass es keine leere Geste war, zeigte sich auch in den Gästen, die zur Gedenkfeier geladen waren: keine Prominenz um der Prominenz willen, sondern Freunde, Weggefährten, Preisträgerinnen des Margot-Friedländer-Preises. Menschen, die durch sie verändert wurden. Der Hamburger Lehrer Hèdi Bouden, Preisträger des Jahres 2024, sprach nicht wie ein Laudator, sondern wie ein Schüler – bewegt, persönlich, und sichtbar dankbar.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner sprach ein Grußwort. Doch es war nicht die Politik, die an diesem Abend im Vordergrund stand. Es war die Moral, die Erinnerung, der Mensch.

Dass der rbb die Veranstaltung live übertrug, ist keine Selbstverständlichkeit in einem medialen Klima, in dem Holocaustüberlebende längst nicht mehr die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. Umso wichtiger war dieser Moment der kollektiven Einkehr.

Vom Untergrund nach Theresienstadt – und zurück ins Leben

Friedländers Biografie liest sich wie ein Mahnmal: Sie musste sich vor den Nationalsozialisten verstecken, wurde 1944 verraten, deportiert – und überlebte das Konzentrationslager Theresienstadt. Ihre Mutter und ihr Bruder wurden ermordet. Nach dem Krieg emigrierte sie in die USA, wo sie jahrzehntelang lebte, ehe sie im Alter von 88 Jahren nach Berlin zurückkehrte. Es war keine Heimkehr aus Sentimentalität – es war eine Entscheidung aus Verantwortung.

In Schulen, Gedenkstätten, Theatern, Rathäusern erzählte sie von ihrem Leben, und sie tat es nicht, um Mitleid zu wecken, sondern um Bewusstsein zu schaffen. Sie sprach nicht in Anklagen, sondern in Bitten. Sie war dabei nie laut, aber immer eindringlich. Dass sie bis zu ihrem Tod mit 103 Jahren aktiv blieb, war ein stilles Wunder – und ein lauter Weckruf.

Noch an dem Tag, an dem sie das Große Bundesverdienstkreuz erhalten sollte – am 9. Mai 2025 – starb Margot Friedländer. Ihre Beisetzung am 15. Mai auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee war schlicht, aber würde- und würdevoll.

Eine Stiftung als Vermächtnis

Dass ihr Werk weiterlebt, dafür sorgt die von ihr selbst gegründete Margot-Friedländer-Stiftung. Sie wurde 2023 ins Leben gerufen, um die Erinnerung an die Schoah nicht museal, sondern lebendig zu halten. Ihr Ziel: Jugendliche und junge Erwachsene zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen – gegen das Vergessen, gegen den Hass. Der Bundespräsident hat die Schirmherrschaft übernommen. Es ist ein symbolischer Schritt – aber er trägt.

Denn Friedländers Botschaft ist heute nötiger denn je. In einem Deutschland, das sich nach dem 7. Oktober schwer damit tut, Antisemitismus beim Namen zu nennen. In einer Gesellschaft, in der Shoah-Verharmlosung und Täter-Opfer-Umkehr wieder salonfähig werden. Und in einem Europa, das dabei ist, seine moralische Kompassnadel zu verlieren.

„Seid Menschen“ – heute erst recht

Margot Friedländer ist tot. Aber sie hat uns etwas hinterlassen, das keine Regierung, kein Schulbuch und keine Stiftung ersetzen kann: ein lebendiges Vorbild. Ein Leben, das beweist, dass Erinnern nicht lähmt, sondern aufrüttelt. Dass Würde keine Frage des Alters ist, sondern des Mutes. Und dass Menschlichkeit keine Option ist, sondern eine Pflicht.

Wir haben ihr viel zu verdanken. Jetzt liegt es an uns, das weiterzutragen. Nicht mit Pathos, sondern mit Haltung.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Martin Kraft - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=164982318


Donnerstag, 10 Juli 2025

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