Angriff auf das Erinnern – Deportationsmahnmal in Moabit geschändetAngriff auf das Erinnern – Deportationsmahnmal in Moabit geschändet
In Berlin wurde das Mahnmal für die deportierten Juden am Güterbahnhof Moabit beschädigt. Weiße Farbe, Klebeband – ein scheinbar kleiner Vorfall, der tief blicken lässt. Denn wer Orte der Erinnerung angreift, trifft nicht nur Stein, sondern Geschichte und Gewissen.
Es war nur ein Streifenwagen auf Morgenrunde – und doch ein Fund, der aufrütteln muss: Am Mahnmal für die jüdischen Deportierten am Güterbahnhof Moabit entdeckten Polizisten am Montagmorgen weiße Farbspritzer und Paketklebeband. Die Farbe war frisch, ließ sich mit Mühe abwischen. Das Klebeband nicht. Was bleibt, ist die Frage: Was bringt einen Menschen dazu, ausgerechnet diesen Ort ins Visier zu nehmen?
Das Mahnmal an der Putlitzbrücke steht nicht irgendwo. Es steht an einem historischen Brennpunkt des deutschen Verbrechens: Von den Gleisen 69, 81 und 82 am Bahnhof Moabit aus verschleppten die Nationalsozialisten zwischen 1942 und 1945 über 32.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder in Ghettos, Lager, den Tod. Die Transporte gingen nach Theresienstadt, Auschwitz, Riga. Das Mahnmal erinnert an Namen, an Leben, an das Verschwinden. Es ist ein Ort der Trauer – und der Verantwortung.
Die Banalisierung des Bösen beginnt mit Klebeband
Der Angriff auf das Denkmal mag äußerlich harmlos wirken. Keine Parolen, keine Hakenkreuze, keine Explosion. Aber genau das macht ihn so gefährlich. Wer sich die Mühe macht, Klebeband zu befestigen und Farbe aufzutragen, handelt gezielt. Nicht aus Langeweile, sondern mit Botschaft. Die Täter wollten keine Aufmerksamkeit für sich – sondern Schweigen über den Ort, den sie beschädigten. Es ist der Versuch, Erinnerung zu verwischen. Und das ist politisch.
In einer Zeit, in der Antisemitismus in Deutschland nicht mehr nur auf dunklen Websites, sondern wieder auf Straßen, in Schulen und in Talkshows präsent ist, wiegt jeder Angriff auf jüdische Gedenkkultur doppelt schwer. Denn wer Gedenkstätten angreift, greift nicht nur Steine an. Er greift die mühsam errungene deutsche Erinnerungskultur an – jene zerbrechliche Brücke zwischen den Toten und dem heutigen Gewissen.
Staatsschutz ermittelt – doch die Antwort muss gesellschaftlich sein
Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Gut so. Doch was folgt? Ein Ermittlungsverfahren gegen „Sachbeschädigung“ – oder eine breite öffentliche Reaktion, die klarmacht: Nicht mit uns? Es geht nicht um Strafe allein, sondern um Haltung. Solche Taten dürfen nicht im Kleinen versickern, sie müssen im Großen verstanden werden. Denn sie sind Symptome eines tieferliegenden Problems: Die Shoah wird zunehmend relativiert, verdrängt, missbraucht – oft subtil, manchmal offen.
In Berlin ist das besonders bitter. Hier, wo die Schoah geplant, verwaltet und vollzogen wurde, wo jüdisches Leben jahrhundertelang zum Stadtbild gehörte – und von einem Tag auf den anderen verschwand. Wer heute Mahnmale angreift, der will diese Geschichte ausradieren. Oder sie ins Gegenteil verkehren. In Moabit geschieht das nicht zum ersten Mal. Und es wird nicht das letzte Mal sein, wenn sich Politik, Medien und Zivilgesellschaft nicht klarer und hörbarer positionieren.
Die Schändung des Moabiter Deportationsdenkmals reiht sich ein in eine besorgniserregende Serie. Gedenksteine werden gestohlen, beschmiert, übersehen. Synagogen werden bedroht, Jüdinnen und Juden auf offener Straße angefeindet. Gleichzeitig werden Demonstrationen toleriert, auf denen israelische Fahnen brennen und „Kindermörder Israel“ gerufen wird – oft ohne Konsequenzen. In dieser Gemengelage ist der Angriff auf das Mahnmal eben kein Einzelfall, sondern ein Symptom.
Es ist leicht, diese Tat als bloße Sachbeschädigung abzutun. Doch das wäre ein gefährlicher Fehler. In Wahrheit zeigt sich hier das Fortschreiten einer gesellschaftlichen Entwicklung, die bereits viel zu weit gegangen ist. Die Sprache wird radikaler, der Respekt brüchiger, die Gewalt greifbarer. Und jedes beschädigte Mahnmal ist ein Signal: Die Gegner der Erinnerung gewinnen an Mut.
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Bild Quelle: By OTFW, Berlin - Self-photographed, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19557878
Montag, 04 August 2025