Toronto-Festival: Warum ein Film über das Hamas-Massaker gezeigt werden muss – und was sein Beinahe-Verbot über unsere Kultur verrät

Toronto-Festival: Warum ein Film über das Hamas-Massaker gezeigt werden muss – und was sein Beinahe-Verbot über unsere Kultur verrät


Erst ausgeladen, dann wieder eingeladen: Das Toronto International Film Festival wollte ein israelisches Dokumentarfilmprojekt über den 7. Oktober absagen – aus Angst vor Protesten und angeblich fehlenden Genehmigungen von Hamas-Aufnahmen. Der Skandal zeigt, wie brüchig die viel beschworene Meinungsfreiheit geworden ist.

Toronto-Festival: Warum ein Film über das Hamas-Massaker gezeigt werden muss – und was sein Beinahe-Verbot über unsere Kultur verrät

Die Entscheidung des Toronto International Film Festival (TIFF), den Dokumentarfilm The Road Between Us: The Ultimate Rescue nun doch zu zeigen, wirkt wie ein spätes Eingeständnis eines Fehlers, den man niemals hätte begehen dürfen. Es geht nicht nur um ein Stück Kino, sondern um die Frage, ob westliche Kulturinstitutionen noch bereit sind, Terror beim Namen zu nennen – oder ob sie sich vor dem Druck politisch radikaler Gruppen verbeugen.

Der Film des kanadischen Regisseurs Barry Avrich erzählt die Geschichte von Noam Tibon, einem pensionierten General der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte, der am 7. Oktober 2023 sein Leben riskierte, um seine Familie im Kibbutz Nahal Oz vor den mordenden Hamas-Terroristen zu retten. Es ist eine seltene Geschichte aus diesem Tag des Grauens, die trotz der unfassbaren Gewalt auch Hoffnung und menschliche Stärke vermittelt. Dreizehn Menschen im Kibbutz wurden an jenem Tag ermordet, viele entführt. Insgesamt tötete die Hamas 1.200 Menschen und verschleppte rund 250 Geiseln – 50 von ihnen befinden sich noch immer in Gefangenschaft in Gaza.

Ursprünglich hatte das TIFF den Film eingeladen. Dann kam die plötzliche Absage: Es fehle angeblich die rechtliche Freigabe für Archivmaterial – konkret für Videoaufnahmen, die Hamas selbst von ihren Gräueltaten an diesem Tag angefertigt und weltweit verbreitet hatte. In der Praxis bedeutete das: Man hätte die Terrororganisation um Erlaubnis bitten sollen, um ihre eigenen Morddokumentationen zu zeigen. Ein grotesker Gedanke, den der Hauptprotagonist Noam Tibon zu Recht als „Beleidigung des gesunden Menschenverstands“ bezeichnete. Dass diese Begründung überhaupt schriftlich geäußert wurde, spricht Bände.

Der zweite Grund für die Absage war noch entlarvender: die Angst vor „großen, störenden Protestaktionen“ – sowohl von außen als auch intern. Mit anderen Worten: Eine der größten Kulturveranstaltungen Nordamerikas war bereit, einem lautstarken Mob das Vetorecht über seine Programmauswahl einzuräumen. Dieser Mob hätte es begrüßt, wenn eine israelische Stimme über den 7. Oktober gar nicht erst gehört würde – während das Festival in derselben Ausgabe gleich mehrere Filme mit palästinensischer Perspektive zeigt. Man stelle sich die Umkehrung vor: Dass ein Film über Gaza gestrichen würde, weil jüdische Organisationen protestieren könnten. Die Empörung wäre grenzenlos.

Dass TIFF-Direktor Cameron Bailey nun die Rolle rückwärts einleitet, mag aus Sicht der Festivalleitung Schadensbegrenzung sein. Seine öffentliche Entschuldigung an die jüdische Gemeinschaft klingt aufrichtig – und doch bleibt der bittere Beigeschmack. Denn der Schaden ist angerichtet: Die Botschaft, dass israelische Filme über Terroranschläge grundsätzlich auf wackligen Beinen stehen, ist längst bei potenziellen Produzenten, Verleihern und Regisseuren angekommen.

Für die israelische Filmbranche ist das besonders schmerzhaft. Vor einem Jahrzehnt feierte das TIFF regelmäßig mehrere neue israelische Produktionen, oft als internationale Premieren. Inzwischen hat sich das drastisch geändert – und das noch vor dem aktuellen Krieg. Politischer Druck, Cancel-Kampagnen und die Angst vor Störaktionen wirken wie ein schleichendes Gift, das den kulturellen Austausch verätzt. Dass in diesem Jahr, abgesehen vom Avrich-Dokumentarfilm, nur ein einziger weiterer israelischer Beitrag im Programm ist – ein unpolitisches Drama – spricht Bände.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass westliche Kulturveranstaltungen immer häufiger vor der Wahl stehen: Haltung zeigen oder Anfeindungen vermeiden. Das TIFF hat sich in diesem Fall nach öffentlichem Druck für die richtige Seite entschieden. Aber der Reflex, der zur Absage führte, ist gefährlich. Wer zulässt, dass Terrorgruppen indirekt bestimmen, welche Geschichten erzählt werden dürfen, hat den Kern der kulturellen Freiheit schon preisgegeben.

Die Geschichte von Noam Tibon ist keine „politische Botschaft“ – sie ist ein Stück Wirklichkeit. Am 7. Oktober gab es keine zwei gleichwertigen Erzählungen, sondern nur Opfer und Täter. Und das zu zeigen, ist kein „Standpunkt“, sondern eine Pflicht.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: By GabboT - August 24, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30091392


Donnerstag, 14 August 2025

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