Zwischen Erinnerung und Erziehung – wie die ARD den 7. Oktober inszenierte

Zwischen Erinnerung und Erziehung – wie die ARD den 7. Oktober inszenierte


Zwei öffentlich-rechtliche Beiträge rund um den Jahrestag des Hamas-Massakers zeigen, wie sehr der deutsche Rundfunk die Perspektive verschoben hat. Aus Erinnerung wird Moral, aus Analyse Belehrung – und Israels Schmerz gerät in den Hintergrund.

Zwischen Erinnerung und Erziehung – wie die ARD den 7. Oktober inszenierte

Am 7. Oktober, zwei Jahre nach dem Blutrausch der Hamas, veröffentlichte die ARD zwei Beiträge, die mehr über den Zustand der deutschen Öffentlichkeit erzählen als über Israel. Beide Stücke – eines vom SWR, eines aus dem ARD-Hauptstadtstudio – tragen die Handschrift einer Medienkultur, die sich in moralischer Selbstbetrachtung wohler fühlt als in nüchterner Berichterstattung.

Im ersten Beitrag beschreibt der Südwestrundfunk unter der Überschrift „Sich annähern – trotz des Schmerzes“ ein angebliches Friedensprojekt in Stuttgart. Die Szene wirkt sorgfältig inszeniert: Palästinenserin, Israeli, Bühne, Licht, Getränke – ein humanes Tableau. Doch die Auswahl der Stimmen folgt eher dramaturgischer Absicht als journalistischer Neugier. Eine Deutsch-Palästinenserin schildert die „Traumata ganzer Generationen“ und behauptet, ihre Verwandten in Ramallah sähen „täglich Raketen“. Kein Hinweis, keine Einordnung, kein Faktencheck.

Tatsächlich ist Ramallah keine Kampfzone. Es gibt dort keine Raketenangriffe, keine israelischen Bombardierungen, keine Artillerieeinsätze – und es hat dort nie einen Raketenbeschuss gegeben. Die Stadt liegt im Zentrum von Judäa und Samaria, weit entfernt von den Frontlinien zu Gaza oder zum Norden, wo Hisbollah-Granaten einschlagen. Wer in Ramallah lebt, sieht Raketen nur im Fernsehen – so wie jeder andere Bürger der Region auch.

Die israelische Armee führt in Teilen von Judäa und Samaria regelmäßig Anti-Terror-Einsätze durch. Diese Operationen richten sich gegen bewaffnete Zellen, die Anschläge in Israel vorbereiten oder Raketenbau versuchen. Dabei kommt es leider immer wieder zu Schusswechseln und auch zu zivilen Opfern. Doch die Einsätze sind präzise, zeitlich begrenzt und richten sich gegen Terrorstrukturen, nicht gegen Städte. Von Raketenbeschuss kann keine Rede sein.

Die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah verfügt weder über funktionierende Sicherheitskräfte, die Terror verhindern könnten, noch über ein echtes Interesse, islamistische Gruppierungen wie Hamas oder Islamischen Dschihad zu entwaffnen. Israel füllt damit ein Sicherheitsvakuum – mit gezielten Einsätzen, nicht mit Flächenangriffen.

Gerade deshalb ist die Behauptung, „man sehe täglich Raketen“, faktisch unzutreffend. Sie erzeugt ein irreführendes Bild, das Israel als permanenten Aggressor erscheinen lässt. Dass eine solche Aussage in einem öffentlich-rechtlichen Beitrag unkommentiert bleibt, deutet auf mangelnde journalistische Präzision hin. Es ist weniger Täuschung als vielmehr das, was man in der Medienethik eine „Desinformation durch Kontextverlust“ nennt – ein Versäumnis, das das Gesamtbild verzerrt.

Ein junger Israeli sagt im selben Beitrag, er könne „nichts rechtfertigen, was Israel gerade macht“. Der Satz passt ins bekannte deutsche Deutungsmuster. Doch es fehlt jede journalistische Ergänzung: kein Hinweis darauf, dass Israel im Herbst 2023 auf das schlimmste Massaker seiner Geschichte reagierte; kein Kontext, dass die Hamas bis heute Dutzende Geiseln festhält – nach israelischen Angaben etwa 48, von denen wohl nur noch 20 am Leben sind. Die militärische Notwendigkeit, terroristische Strukturen zu zerschlagen, bleibt unerwähnt. Stattdessen entsteht der Eindruck, Israel handle aus Macht, nicht aus Schutz. So wird ein emotionales Lehrstück über Schuld und Empathie erzählt – aber keine Reportage über Verständigung.

Am Ende des SWR-Beitrags steht ein Transparenzhinweis: Der Autor arbeite sowohl für den Sender als auch für eine Wochenzeitung, die die beschriebene Veranstaltung mitorganisiert hat. Diese Nähe ist bemerkenswert und wirft Fragen nach redaktioneller Distanz auf. Nach den Richtlinien des Pressekodex wäre hier wohl eine klarere Trennung von journalistischer Beobachtung und thematischer Beteiligung sinnvoll gewesen.

Wenige Stunden später erschien der zweite Beitrag – „Deutschland und Israel: Eine Gratwanderung für die Bundesregierung“ – verfasst von Gabor Halasz aus dem ARD-Hauptstadtstudio. Der Text versteht sich als politische Analyse, wirkt jedoch eher wie eine moralische Positionsbestimmung. Gleich im zweiten Satz heißt es: „Der Vorwurf Völkermord steht im Raum.“ Diese Formulierung verleiht einer extremen, juristisch nicht bestätigten Anschuldigung Gewicht und verschiebt den Fokus: Israels Verteidigung gegen eine Terrororganisation erscheint als moralisches Problem, nicht als sicherheitspolitische Notwendigkeit.

Halasz zeichnet ein Bild des Bundeskanzlers, der „Solidarität bekennt, aber auch Kritik übt“. Dabei wird betont, Friedrich Merz habe entschieden, keine Waffen mehr zu liefern, die in Gaza eingesetzt werden könnten – eine „historische Entscheidung“. Dass Israel sich zu diesem Zeitpunkt in einem Mehrfrontenkrieg gegen Hamas, Hisbollah und iranische Stellvertreter befand, wird nicht erwähnt. Ebenso wenig, dass die Hamas zivile Infrastruktur gezielt militärisch nutzt und so Opferzahlen in die Höhe treibt. Statt differenzierter Analyse entsteht das vertraute Muster: Israel handelt – Deutschland empfindet.

Der Artikel zitiert zudem Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, die Israels Regierung schwerer Kriegsverbrechen verdächtigt. Kein Hinweis darauf, dass diese Position in der Fachwelt umstritten ist. Das Zitat bleibt unkommentiert, wodurch der Eindruck entsteht, diese Sichtweise sei repräsentativ. Medienethisch betrachtet ist das ein typisches Beispiel für „selektive Quellenwahl“, die eine Mehrheitsmeinung suggeriert, wo tatsächlich Kontroverse besteht.

Das Wort „Antisemitismus“ taucht erst am Ende des Beitrags auf – nach langen Abschnitten über Israels Militärpolitik. Diese Reihenfolge wirkt nicht zufällig. Sie legt nahe, dass Antisemitismus in Deutschland zwar problematisiert, aber als von der Israelkritik getrennt betrachtet wird. Genau diese Trennung aber ist inhaltlich problematisch: Sie erlaubt, antisemitische Narrative zu reproduzieren, während man behauptet, nur politische Kritik zu üben.

Beide Beiträge – der emotionale SWR-Text und die politische ARD-Analyse – ergeben zusammen ein Bild des öffentlich-rechtlichen Selbstverständnisses an diesem 7. Oktober: Der Jahrestag des Terrors wird nicht genutzt, um Israels Lage zu erklären, sondern um Deutschlands Verhältnis zu Israel zu problematisieren. Es gab zwar Gedenkformate und Liveblogs, die an die Opfer erinnerten. Doch in der redaktionellen Gewichtung überwogen jene Texte, die Israels Handeln relativierten. Das ist die eigentliche Aussage dieses Tages: Nicht das Massaker steht im Mittelpunkt, sondern die moralische Reaktion auf seine Folgen.

So verwandelt sich Erinnerung in Selbstbespiegelung. Der 7. Oktober wird zum Spiegel, in dem Deutschland seine Haltung prüft – und Israels Realität dabei nur noch Kulisse ist. Es ist die Fortsetzung eines Diskurses, der seit Jahren wächst: Aus dem Reflex der Solidarität ist ein Reflex der Distanz geworden. Man will Israel nicht mehr verstehen, sondern einordnen. Nicht trauern, sondern belehren.

In beiden Beiträgen zeigt sich eine Entwicklung: Aus politischer Verantwortung wird moralisches Coaching. Aus Berichterstattung wird Erziehung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk versteht sich zunehmend als Vermittler einer Haltung. Diese Haltung lautet: Wir sind solidarisch – aber nur, solange Israel sich so verhält, wie wir es für richtig halten.

Am 7. Oktober 2023 begann eine neue Epoche israelischer Geschichte. Am 7. Oktober 2025 offenbarte sich, wie tief die deutsche Medienlandschaft sie noch immer missversteht. Statt klare Begriffe zu verwenden – Terror, Verteidigung, Verantwortung – flüchtet man in Worte wie „Annäherung“, „Gratwanderung“, „Dialog“. Worte, die beruhigen, aber die Wirklichkeit verdecken.

Der Tag, der Israels Schmerz markieren sollte, wurde so zum Tag, an dem Deutschland sich selbst inszenierte – als moralische Instanz, als Ratgeber, als distanzierte Beobachternation. Doch wer Israels Realität verstehen will, darf sich nicht in deutschen Gefühlen verlieren. Er muss sie beim Namen nennen: Terror, Krieg, Verteidigung, Überleben. Alles andere bleibt Rhetorik.

Kommentar des Herausgebers von haOlam.de.
Dieser Beitrag stellt die persönliche Analyse und Einschätzung des Autors dar.

Quellen:
SWR Online, Beitrag Sich annähern – trotz des Schmerzes, veröffentlicht am 7. Oktober 2025.
ARD Hauptstadtstudio, Beitrag Deutschland und Israel: Eine Gratwanderung für die Bundesregierung, veröffentlicht am 7. Oktober 2025.

 


Autor: Andeas Krüger
Bild Quelle:


Mittwoch, 08 Oktober 2025

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