Verbot mit Ansage – und doch zu spät? Warum „Muslim Interaktiv“ so viele junge Menschen erreichte

Verbot mit Ansage – und doch zu spät? Warum „Muslim Interaktiv“ so viele junge Menschen erreichte


Das Innenministerium hat die islamistische Gruppe „Muslim Interaktiv“ verboten – ein Schritt, der längst überfällig war. Doch das eigentliche Problem bleibt: eine Generation, die sich über soziale Medien an radikale Ideologien bindet, weil Staat und Gesellschaft ihre digitale Sprache zu spät gelernt haben.

Verbot mit Ansage – und doch zu spät? Warum „Muslim Interaktiv“ so viele junge Menschen erreichte

Die heutige Razzia in Hamburg, Berlin und Hessen markiert das Ende einer Organisation, die nie eine klassische war. Keine Vereinsräume mit Schild an der Tür, kein Vorsitzender mit Titel. „Muslim Interaktiv“ war ein loses Netzwerk aus Predigern, Videomachern und Social-Media-Strategen, die Islamismus in das Zeitalter der Algorithmen überführten. Während Behörden noch Akten füllten, füllten sie Feeds: TikTok, YouTube, Instagram. Knapp 400.000 Likes, fast 20.000 Follower – Zahlen, die für eine islamistische Propagandaseite in Deutschland beispiellos sind.

Der offizielle Grund für das Verbot: verfassungsfeindliche Ziele, insbesondere das Streben nach einem weltweiten Kalifat. Doch die tiefere Ursache liegt im Erfolg ihrer Methode. Die Macher von „Muslim Interaktiv“ verstanden, wie man Empörung, Identität und Religion zu einer digitalen Erzählung verschmilzt, die junge Muslime in Deutschland emotional anspricht. Ihre Videos sind professionell geschnitten, mit Musik unterlegt, provokant, wütend – und oft auf den ersten Blick harmlos. Sie greifen politische Debatten auf, vom Nahostkonflikt bis zu Fragen der Integration, und lenken sie in eine Richtung, die demokratische Grundwerte gezielt untergräbt.

Ein Beispiel zeigt das Prinzip: Als Bundeskanzler Dobrindt kürzlich über das Stadtbild deutscher Innenstädte sprach, reagierte „Muslim Interaktiv“ binnen Stunden mit einem Video. Der Vorwurf: Heuchelei – man solle lieber das „Stadtbild von Gaza“ ansehen. Die Botschaft: Der Westen hat kein moralisches Recht, Muslime zu kritisieren. Solche Clips vermitteln nicht nur eine Opferhaltung, sie schaffen auch eine moralische Überlegenheit, die jede westliche Ordnung delegitimiert.

Dass die Gruppe ideologisch an „Hizb ut-Tahrir“ anknüpft, überrascht niemanden in Sicherheitskreisen. Diese Organisation kämpft seit den 1950er-Jahren für ein Kalifat – mit geistiger Schärfe, aber ohne sichtbare Gewalt. Gerade diese Mischung macht sie gefährlich: Sie liefert den theoretischen Überbau für eine radikale Weltanschauung, ohne selbst als Terrornetzwerk aufzutreten. „Muslim Interaktiv“ war ihr digitales Echo.

Mit dem heutigen Vereinsverbot werden Konten gesperrt, Webseiten gelöscht, Gelder eingezogen. Ein Schlag – aber kein Ende. Denn die Strukturen dieser Szene sind fluide. Accounts verschwinden, neue entstehen. Viele Inhalte sind längst gespiegelt, weiterverbreitet, ins Ausland verlagert. Das Verbot wird die Welle nicht brechen, nur den Namen.

Wichtiger ist die Frage: Warum gelingt es Gruppen wie dieser, junge Menschen in Deutschland überhaupt zu erreichen? Die Antwort ist unbequem. Während Schulen und Integrationsprojekte in bürokratischen Routinen verharren, liefern islamistische Online-Prediger einfache Antworten auf komplexe Lebensfragen: Identität, Ungerechtigkeit, Zugehörigkeit. Sie bedienen ein Vakuum – emotional, sozial und spirituell.

Der Staat hat auf diese digitale Dynamik lange keine Antwort gefunden. Repression ersetzt keine Aufklärung. Wenn Jugendliche, die sich ausgeschlossen fühlen, in den Botschaften dieser Gruppen Sinn finden, dann muss Prävention nicht in Klassenzimmern, sondern auf denselben Plattformen beginnen, auf denen Radikale rekrutieren.

Das Verbot von „Muslim Interaktiv“ ist richtig – aber es ist kein Sieg. Es ist ein Signal an eine Szene, die längst verstanden hat, wie man Sichtbarkeit in Einfluss verwandelt. Die eigentliche Herausforderung beginnt jetzt: nicht nur Seiten zu löschen, sondern Narrative zu entkräften. Denn wer das digitale Kalifat bekämpfen will, muss lernen, seine Sprache zu sprechen – ohne sich ihm anzunähern.


Autor: Redaktion
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Mittwoch, 05 November 2025

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