Washington übernimmt Kontrolle: USA leiten humanitäre Hilfe für Gaza – Israels Rolle schrumpftWashington übernimmt Kontrolle: USA leiten humanitäre Hilfe für Gaza – Israels Rolle schrumpft
Ein Schritt mit politischer Sprengkraft: Laut einem Bericht der „Washington Post“ hat Washington die operative Aufsicht über die humanitäre Hilfe für Gaza übernommen. Offiziell im Rahmen von Präsident Trumps Friedensplan – de facto aber ein Eingriff in israelische Zuständigkeiten.
Nach Informationen der „Washington Post“ hat die US-Regierung Israel als leitende Instanz bei der Verteilung humanitärer Hilfe für den Gazastreifen abgelöst. Die Zuständigkeit, die bislang bei der israelischen Koordinations- und Verbindungsbehörde für die Gebiete (COGAT, מתפ"ש) lag, wurde demnach an das neue US-Militärzentrum in Kirjat Gat übertragen. Das Zentrum operiert unter der Verantwortung des US-Zentralkommandos (CENTCOM) und koordiniert über 40 Staaten und internationale Organisationen, die an der Umsetzung von Trumps Friedensplan beteiligt sind.
Israel bleibt laut dem Bericht „Teil der Gespräche“, trifft jedoch keine eigenständigen Entscheidungen mehr über Art, Umfang und Zielorte der Hilfslieferungen.
Vom Partner zum Beobachter
Der Übergang erfolgte laut US-Quellen in den vergangenen Wochen und verlief „unstrukturiert und holprig“. In der Anfangsphase habe es an Koordination und klaren Kommunikationswegen zwischen den beteiligten Ländern gefehlt. Dennoch übernahm die US-Basis in Kirjat Gat schrittweise die operative Leitung, einschließlich der Transportlogistik und der Verteilung über die Grenzübergänge Kerem Schalom und Rafah.
Diese Entscheidung bedeutet einen deutlichen Machtverlust für Israel bei der humanitären Kontrolle über den Gazastreifen – eine Kontrolle, die bisher als strategisches Instrument galt, um Lieferungen an Terrororganisationen wie die Hamas oder den Palästinensischen Islamischen Dschihad zu verhindern.
Trump-Plan als Vorwand?
Offiziell begründet Washington den Schritt mit der Umsetzung der Friedensinitiative von US-Präsident Donald Trump, die nach dem Ende des Iran-Krieges und der Waffenruhe in Gaza als Rahmen für regionale Stabilität gilt. Inoffiziell, so die „Washington Post“, wolle die US-Regierung damit auch „den Druck auf Premierminister Netanyahu erhöhen“ und sicherstellen, dass Israel die Verpflichtungen des Waffenstillstands vollständig einhält.
Ein namentlich nicht genannter Beamter aus dem Weißen Haus sagte laut dem Bericht: „Unsere Hauptaufgabe ist derzeit, sicherzustellen, dass Israel sich an die Vereinbarungen hält – und dass es keine Rückkehr zu den Kämpfen gibt.“
Diese Formulierung wird in Jerusalem mit Sorge gesehen. Denn sie impliziert, dass die Vereinigten Staaten nun nicht nur Hilfslieferungen koordinieren, sondern auch Israels militärisches Verhalten überwachen.
Zwischen Misstrauen und Realpolitik
Hilfsorganisationen begrüßten den amerikanischen Schritt teilweise, da sie auf schnellere Genehmigungen hoffen. Zugleich bezweifeln viele, dass sich die Lage grundsätzlich ändert – denn Israel kontrolliert weiterhin die Übergänge, überprüft die Lastwagen und bestimmt die Sicherheitsbedingungen.
Der norwegische NGO-Direktor Jan Egeland bezeichnete die US-Übernahme als „positiv“, warf Israel aber vor, „Zugangsklauseln des Trump-Plans zu blockieren“. Jerusalem weist solche Vorwürfe entschieden zurück. Israel habe die Verantwortung, Waffenlieferungen und Schmuggel über humanitäre Kanäle zu verhindern – ein Sicherheitsinteresse, das auch die USA offiziell anerkennen.
Ein gefährliches Signal
Die faktische Entmachtung Israels bei der Verwaltung humanitärer Hilfe wirft grundsätzliche Fragen auf. Zwar bleibt Israel militärisch souverän, doch die neue US-Struktur verlagert Entscheidungsprozesse in einen internationalen Rahmen, in dem israelische Sicherheitsbedenken zunehmend verwässert werden.
Aus israelischer Sicht ist die Maßnahme problematisch: Sie schwächt die Autorität des Verteidigungsministeriums und untergräbt die direkte Verantwortung, die Israel gegenüber den eigenen Bürgern trägt. Die Sorge wächst, dass humanitäre Hilfe künftig nicht mehr unter israelischer Kontrolle sicherstellt, dass keine Güter in die Hände von Terrorgruppen gelangen.
Zudem sehen Regierungsvertreter in Jerusalem die US-Übernahme als politisches Signal, das Israels internationale Handlungsfreiheit einschränkt – insbesondere, wenn Washington Entscheidungen künftig als Druckmittel in diplomatischen Verhandlungen nutzt.
Israel bleibt im Gespräch, aber nicht am Steuer
Israelische Sicherheitskreise betonen, dass Jerusalem weiterhin „Teil der Entscheidungsrunden“ sei und regelmäßig Lageberichte erhalte. Doch das letzte Wort liege nun bei Washington – und damit bei einem Partner, der zunehmend eine Doppelrolle zwischen Verbündeten und Aufseher spielt.
In israelischen Medien mehren sich Stimmen, die fordern, die Regierung müsse auf diplomatischer Ebene klarstellen, dass Hilfskontrolle ohne israelische Sicherheitsprüfung nicht akzeptabel sei.
Denn eines ist sicher: So lange Waffen in Gaza kursieren und Terrororganisationen im Schatten der Hilfe agieren, kann kein externer Akteur – nicht einmal die USA – Israels Verantwortung für die eigene Sicherheit ersetzen.
Autor: Redaktion
Bild Quelle:
Sonntag, 09 November 2025