Wenn Objektivität zur Ausnahme wird: Wie öffentlich-rechtliche Berichte über Israel systematisch verzerrt werdenWenn Objektivität zur Ausnahme wird: Wie öffentlich-rechtliche Berichte über Israel systematisch verzerrt werden
Viele Zuschauer ahnen es, manche sprechen es offen aus: Die Berichterstattung über Israel wirkt selten ausgewogen. Wer die Mechanismen dahinter analysiert, erkennt ein Muster, das nicht zufällig entsteht – und das Vertrauen kostet.
Die Frage, ob ein einzelner Bericht verfälscht, lückenhaft oder unausgewogen ist, lässt sich leicht stellen. Schwieriger ist die Antwort auf die Frage, warum solche Berichte immer gleich wirken. Der jüngste Beitrag der Tagesschau über angebliche Tote trotz Waffenruhe im Gazastreifen reiht sich nahtlos ein in eine Struktur, die seit Jahren sichtbar ist: ein privilegierter Zugang für Hamas-nahe Quellen, ein minimierter Raum für die israelische Sicht und eine dramaturgische Auswahl, die Emotionen verstärkt, während Hintergründe verknappen. Das Resultat ist keine offene Parteinahme, aber eine verzerrte Wiedergabe eines hochkomplexen Konflikts – und genau das beschädigt die Glaubwürdigkeit eines Systems, das durch Pflichtbeiträge finanziert wird und damit eine besondere Verantwortung trägt.
Ein zentrales Problem beginnt bereits bei der Beschaffung der Informationen. Journalistinnen und Journalisten im Gazastreifen arbeiten nicht frei. Sie bewegen sich in einem Umfeld, das vollständig von der Hamas kontrolliert wird. Ihre Berichte entstehen in einer Atmosphäre, in der jede Aussage, jedes Bild und jeder Gesprächspartner von politischen Zwängen beeinflusst sein können. Dennoch bilden ausgerechnet diese Quellen häufig den Ausgangspunkt öffentlich-rechtlicher Beiträge. Wenn ein Bericht mit Aussagen aus „medizinischen Kreisen“ oder mit Angaben der Gesundheitsbehörde in Gaza beginnt, dann bedeutet das in der Realität: Die Darstellung stammt aus Strukturen, die der Kontrolle einer Terrororganisation unterliegen. Der Hinweis, die Angaben seien nicht unabhängig überprüfbar, ist korrekt – aber er verändert die Wirkung nicht. Die dramaturgische Führung der Zuschauer bleibt dennoch von diesen Quellen bestimmt.
Israel hingegen erscheint in vielen dieser Berichte erst im zweiten Schritt, meist in Form eines knappen Statements der Armee. Die Hintergründe, die die Sicherheitslogik Israels erklären würden, wirken oft wie eine Fußnote. Die Tatsache, dass die Hamas Waffenruhen regelmäßig nutzt, um Kämpfer zu verlagern, Positionen auszubauen oder Angriffe vorzubereiten, bleibt häufig unerwähnt. Ebenso fehlt meist die Erklärung, warum es überhaupt definierte Linien wie die gelbe Zone gibt: Sie sind das Ergebnis schwerer Übergriffe aus dem Gazastreifen und sollen verhindern, dass Terroristen unbemerkt in Richtung israelischer Stellungen vordringen. Diese Zusammenhänge sind für das Verständnis unerlässlich, doch viele Berichte lassen sie weg – nicht aus bösem Willen, sondern aus redaktioneller Routine. Die Folge ist trotzdem gravierend: Israel wirkt wie eine Macht, die defensive Maßnahmen erklären muss, während die Hamas als reine Quelle von Zahlen und Schilderungen erscheint, nicht als Konfliktpartei in eigener Verantwortung.
Ein weiterer Faktor trägt zur Verzerrung bei: die Darstellung von Opferzahlen. Statistische Hochrechnungen, die auf Angaben aus Hamas-Behörden beruhen, werden regelmäßig übernommen, obwohl seriöse Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst betonen, wie unsicher die Datengrundlage ist. Wenn Opferzahlen genannt werden, ohne gleichzeitig die problematische Herkunft dieser Zahlen zu analysieren, entsteht ein Bild, das unausgewogen wirkt. Dass diese Daten in einem Kriegsgebiet mit massiven politischen Interessen produziert werden, bleibt oft unerklärt – dabei wäre gerade diese Einordnung notwendig, um Zuschauerinnen und Zuschauern Orientierung zu ermöglichen.
Auch die politische Ebene des Konflikts erfährt häufig eine verkürzte Darstellung. Dass Israel darauf besteht, dass internationale Sicherheitskräfte die Hamas entwaffnen müssen, ist nicht nur eine staatliche Forderung, sondern eine zwingende Bedingung für jede langfristige Stabilisierung. Dass die Hamas diese Bedingung strikt ablehnt, wird in Berichten zwar erwähnt, aber selten in seiner Konsequenz erklärt: Eine Waffenruhe bleibt brüchig, solange eine der Konfliktparteien ihr Gewaltmonopol nutzt, um militärische Strukturen aufrechtzuerhalten. Ohne diese Zusammenhänge zu erläutern, wirkt Israel wie ein Störfaktor in diplomatischen Prozessen, obwohl in der Realität die Blockade einer Entwaffnung durch die Hamas eine zentrale Ursache für das Scheitern politischer Initiativen ist.
Diese Muster wiederholen sich nicht zufällig. Sie entstehen aus mehreren strukturellen Gründen: der eingeschränkten Quellenlage im Gazastreifen, dramaturgischen Entscheidungen in Redaktionen, einer moralischen Erzähltradition von „Stark gegen Schwach“ und dem Wunsch, die eigene Berichterstattung als kritisch und unabhängig zu präsentieren. Doch am Ende steht ein Bild, das ausgerechnet den Anspruch auf Ausgewogenheit unterläuft. Wenn ein öffentlich-rechtliches Format immer wieder den gleichen Informationsweg einschlägt, dieselben Quellen priorisiert und denselben Fokus setzt, entsteht unweigerlich eine Wahrnehmung der Einseitigkeit – auch dann, wenn die handelnden Journalistinnen und Journalisten subjektiv bemüht sind, korrekt zu arbeiten.
Für ein beitragsfinanziertes System ist diese Wirkung besonders relevant. Die Öffentlichkeit darf erwarten, dass komplexe Konflikte umfassend eingeordnet werden und dass alle entscheidenden Perspektiven berücksichtigt sind. Wenn dies nicht gelingt, entsteht ein Vertrauensproblem, das nicht durch Hinweise auf fehlende Verifizierbarkeit gelöst werden kann. Es braucht stattdessen eine konsequente Analyse der eigenen Arbeitsweisen, eine sorgfältigere Gewichtung der Quellen und eine sichtbare Bereitschaft, sicherheitspolitische und rechtliche Hintergründe Israels nicht nur zu erwähnen, sondern zu erklären.
Im Kern geht es dabei nicht um politische Parteinahme, sondern um journalistische Sorgfalt. Ein vollständigeres Bild des Konflikts entsteht erst dann, wenn Berichterstattung nicht nur das wiederholt, was zugänglich ist, sondern auch das sichtbar macht, was für die Bewertung eines Vorfalls wesentlich ist. Die aktuelle Struktur vieler Beiträge über Israel leistet dies nicht. Genau das muss sich ändern, wenn öffentlich-rechtliche Medien ihrem eigenen Anspruch gerecht werden wollen.
Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: By New York-air - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=128597209
Montag, 24 November 2025