Boliviens Abkehr vom Anti-Israel-Kurs: Was der neue Präsident ändert – und warum gerade jetztBoliviens Abkehr vom Anti-Israel-Kurs: Was der neue Präsident ändert – und warum gerade jetzt
Bolivien erleichtert die Einreise für Israelis und signalisiert damit einen politischen Richtungswechsel. Der Schritt zeigt, wie sehr sich die Machtverhältnisse in Lateinamerika verändern – und warum ausgerechnet ein traditionell israelfeindliches Land nun Distanz zu alten Dogmen sucht.
Der Beschluss der neuen bolivianischen Regierung, die Visaregeln für israelische Staatsbürger zu lockern, wirkt auf den ersten Blick wie ein administrativer Vorgang. Tatsächlich markiert er jedoch eine Zäsur. Bolivien gehörte über Jahre zu den konsequentesten Gegnern Israels auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Unter Evo Morales und später unter Luis Arce verstand sich das Land als Teil eines politisch-ideologischen Blocks, der Israel systematisch an den Pranger stellte. Zweimal wurde der diplomatische Kontakt abgebrochen, zuletzt während des Gaza-Krieges 2023. In internationalen Foren nahm Bolivien regelmäßig eine der schärfsten Positionen gegen Israel ein.
Dass nun ausgerechnet der neue Präsident Rodrigo Paz den Schritt wagt, die Beziehungen vorsichtig zu öffnen, ist folgerichtig nur vor dem politischen Wandel zu verstehen, den sein Amtsantritt mit sich brachte. Paz repräsentiert einen Bruch mit der Ära des MAS-Blocks, der Bolivien ideologisch an linke Regierungen band und den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zum Prüfstein der eigenen außenpolitischen Identität erklärte. Der neue Staatschef setzt dagegen auf wirtschaftliche Öffnung, Kooperation und eine Entkopplung der Außenpolitik von ideologischen Traditionen, die Bolivien über Jahre isolierten.
Die Einreiseerleichterungen für Israelis sind deshalb weniger eine technische Maßnahme als ein politisches Signal: Bolivien möchte sich aus der engen ideologischen Frontstellung lösen, die Lateinamerika in den vergangenen Jahren geprägt hat. Der Kontinent ist tief gespalten. Einerseits stehen Regierungen wie Kolumbien unter Gustavo Petro oder Chile unter Gabriel Boric, die Israel konsequent delegitimieren und teilweise drastische Formulierungen verwenden. Petro brach sogar die diplomatischen Beziehungen ab, fror wirtschaftliche Kooperationen ein und unterstützte internationale Initiativen gegen Israel. Seine Sprache wurde zum zentralen Ausdruck eines regionalen Diskurses, der Israel zunehmend moralisch verurteilt.
Auf der anderen Seite entsteht mit Argentinien unter Javier Milei ein Gegenpol. Milei stellt Israel ins Zentrum seiner außenpolitischen Orientierung und hebt die Beziehungen auf ein Niveau, das in der Geschichte der Region kaum vorkam. Seine Ankündigung, die argentinische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, ist Ausdruck einer grundlegenden Neuordnung. Paraguay und einige Staaten Mittelamerikas schließen sich dieser Linie an.
Zwischen diesen Polen liegt eine Region, die sich selbst neu sortiert. Brasilien versucht, Einfluss zu behalten, schwankt aber zwischen innenpolitischen Rücksichten – insbesondere auf große arabischstämmige Bevölkerungsgruppen – und einem außenpolitischen Selbstverständnis, das international wirken möchte. Venezuela und Kuba verfolgen weiterhin eine klar antiisraelische Agenda, ihre regionale Bedeutung schwindet jedoch.
Bolivien bewegt sich nun auf einen Zwischenweg zu. Paz versucht weder, Israel demonstrativ zu umarmen, noch hält er an der früheren konfrontativen Haltung fest. Seine Regierung sucht pragmatische Spielräume, die das Land wirtschaftlich und politisch besser positionieren sollen. Dass Israel dabei zu einem Testfeld wird, hat weniger mit der Region zu tun als mit bolivianischen Inneninteressen: Technologische Kooperation, landwirtschaftliche Innovationen und Investitionen sind Themen, bei denen Israel relevante Angebote machen kann.
Die Einreiseerleichterungen dienen daher als kontrolliertes Signal. Sie testen die Reaktionen von Öffentlichkeit, Opposition und sozialen Bewegungen im Inland. Zugleich beobachtet Paz, wie Nachbarstaaten den Schritt aufnehmen. Sollte der Widerstand gering ausfallen, könnten weitere Maßnahmen folgen – etwa die Wiederaufnahme diplomatischer Kontakte, wirtschaftliche Abkommen oder Programme zur technologischen Zusammenarbeit.
Der Schritt kommt in einem Moment, in dem die internationale Kritik an Israel in Lateinamerika besonders laut ist. Gerade deshalb fällt er auf. Während Staaten wie Kolumbien ihre Vorwürfe verschärfen und Chile weiterhin einen scharf formulierten außenpolitischen Kurs verfolgt, entscheidet sich Bolivien für eine vorsichtigere, weniger ideologisch geprägte Linie. Diese Abkehr vom früheren Selbstverständnis zeigt, dass das regionale Kräftefeld in Bewegung geraten ist.
Bleibt die Frage, ob Bolivien der Auftakt für eine breitere Verschiebung ist. Die politische Lage in Lateinamerika ist volatil. In mehreren Ländern stehen Wahlen bevor, wirtschaftliche Herausforderungen nehmen zu, und die ideologischen Linien innerhalb der Region beginnen zu erodieren. Ein dauerhafter Kurswechsel hängt daher von Faktoren ab, die weit über das bilaterale Verhältnis zu Israel hinausgehen.
Dennoch markiert die Entscheidung aus La Paz einen Punkt, an dem sichtbar wird, wie flexibel politische Positionen in Lateinamerika geworden sind. Die Region ist nicht mehr durch einen geschlossenen pro-palästinensischen Konsens geprägt. Sie ist ein Mosaik, in dem Staaten sich zunehmend nach eigenen Interessen ausrichten. Bolivien zeigt, dass selbst langjährige Verbündete antiisraelischer Regierungen bereit sind, ihre Position zu überdenken – wenn ein politischer oder wirtschaftlicher Vorteil erkennbar wird.
In diesem Sinne ist die Entscheidung keine marginale Randnotiz. Sie ist ein Indikator dafür, wie sehr sich der Umgang mit Israel in Lateinamerika wandelt und wie offen die politische Landschaft geworden ist. Für Israel bietet der Kurswechsel eine Chance, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Für Bolivien ist er ein Schritt aus der alten ideologischen Enge – ein Schritt, dessen Richtung in den kommenden Monaten klarer werden wird.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Parallelepiped09 - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=176486409
Mittwoch, 03 Dezember 2025