Wenn Kritik die Wirklichkeit verdeckt: Wie der ARD-Bericht über Merz Israels Realität verzerrtWenn Kritik die Wirklichkeit verdeckt: Wie der ARD-Bericht über Merz Israels Realität verzerrt
Der ARD-Beitrag über den Israel-Besuch von Bundeskanzler Merz wirkt objektiv – doch er formt das Bild eines Landes, das angeblich selbst zum Problem geworden ist.
So entsteht ein Bericht, der formal sauber erscheint, aber den Kern des Konflikts ausblendet: Israels Sicherheit, Israels Bedrohung, Israels Realität.
Der Israel-Besuch des deutschen Bundeskanzlers ist ein seltenes politisches Ereignis. Noch seltener aber ist eine Berichterstattung, die der gesamten Komplexität dieses Landes gerecht wird. Der jüngste ARD-Artikel versucht, die Reise einzuordnen – und erzeugt dabei ein vertrautes Muster: Israel erscheint als moralisches und politisches Risiko, während die Bedrohung, der das Land ausgesetzt ist, kaum ein Wort erhält. Nicht durch plumpe Anklage, sondern durch Auswahl, Gewichtung und Auslassung entsteht ein Bild, das mit der Realität vor Ort nur teilweise zu tun hat.
Einseitige Stimmen formen ein Narrativ
Der Bericht stützt sich fast ausschließlich auf Stimmen, die seit Jahren zu den schärfsten Kritikern der israelischen Regierung zählen. Historiker Moshe Zimmermann, der regelmäßig für seine politischen Deutungen für Schlagzeilen sorgt, dient als zentrale Quelle für die Einschätzung, Israel sei „unangenehm“ geworden. Eine solche Aussage ist zulässig – doch sie bleibt für sich allein stehen. Was fehlt, ist jede Gegenperspektive: keine Einschätzung eines Sicherheitsberaters, keine Stimme aus Israels Süden, kein Blick auf die tatsächliche Lage an den Grenzen, kein Wort über die fortdauernden Angriffe aus Gaza, über Hisbollah, über iranische Stellvertreter. So entsteht kein Ausgleich der Sichtweisen, sondern eine vorgeformte Linie.
Auch der frühere Botschafter Jeremy Issacharoff wird zitiert – differenziert, kritisch, aber erneut ohne Kontext. Die Dringlichkeit, mit der Israelis seit dem 7. Oktober 2023 und erneut seit 2025 auf ihre Sicherheitslage reagieren müssen, bleibt im Schatten eines moralischen Rahmens, der Israel zu rechtfertigen verpflichtet, während von seinen Feinden kaum die Rede ist.
Journalistisch ist dieser Ansatz erlaubt. Doch er bildet nur einen schmalen Ausschnitt eines hochkomplexen Konflikts ab. In einer Situation, in der Deutschland und Israel sicherheitspolitisch enger zusammenrücken, entsteht so ein Bild, das nicht informiert, sondern verschiebt.
Rahmen statt Realität
Der Beitrag nutzt wiederkehrende Formulierungen, die eine Vorausdeutung erzeugen: „rechtsextreme Regierung“, „kritischer Besuch“, „Eskalation“. Jedes dieser Worte ist für sich genommen diskutierbar. Doch zusammen erzeugen sie ein atmosphärisches Bild: Wer Israel besucht, muss sich rechtfertigen. Wer Israel trifft, betrete politisch vermintes Gelände. Dass Israel gleichzeitig seit Jahren gegen nichtstaatliche Armeen kämpft, die offen zu seiner Vernichtung aufrufen, bleibt ausgeblendet. So verschiebt sich die Wahrnehmung: Nicht die Bedrohungslage definiert die Lage, sondern die moralische Bewertung von Israels innerer Politik.
Diese Form der Berichterstattung ist nicht neu – doch sie hat Konsequenzen. Sie prägt das Bild eines Landes, das vielen deutschen Leserinnen und Lesern fast nur im Modus der Dauerermahnung begegnet. Es ist ein indirekter Mechanismus: Kritik wird über Zitate transportiert, der eigene Standpunkt verschwindet hinter scheinbarer Neutralität. Doch das Ergebnis wirkt wie eine Bewertung durch die Hintertür.
Auch die Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde, die in ihrem Staatlichkeitsanspruch seit zwei Jahrzehnten kaum Fortschritte vorweist, spielt in diesem Bericht kaum eine Rolle. Merz’ Gespräch mit Abbas wird erwähnt – nicht jedoch die strukturellen Probleme der Behörde, geschweige denn der seit Jahren dokumentierte Machtverlust gegenüber militanten Gruppen. Der Leser erfährt nur, dass Reformen „angemahnt“ werden, nicht jedoch, warum sie aus israelischer Sicht unverzichtbar sind.
Eine Lücke, die größer ist als jede Kritik
Es geht nicht darum, Israel von Kritik auszunehmen. Im Gegenteil: Kritik ist notwendig, fruchtbar und legitim – und Israel ist ein lebendiger, streitbarer demokratischer Staat, der sie aushält. Doch journalistische Kritik braucht Fundament. Sie verlangt Kontext, Tiefe, Differenzierung. Wenn dieser Kontext fehlt, entsteht kein kritischer Bericht, sondern eine Erzählung, die ein Land beurteilt, ohne seine Lage abzubilden.
So wie der Bericht heute steht, erzählt er mehr über die deutschen Debatten als über die israelische Wirklichkeit. Er bedient die Erwartung eines Publikums, das oft vor allem moralische Orientierung sucht, nicht sicherheitspolitische Analyse. Doch wer Israel verstehen will, muss beide Dimensionen sehen. Ohne diese Vollständigkeit bleibt das Bild ungleich – und einseitig.
Dass Israels Bevölkerung seit Jahren in einem Ausnahmezustand lebt, dass Familien im Norden wochenlang evakuiert waren, dass die Armee gleichzeitig an mehreren Fronten operieren muss – all das kommt nicht vor. Die Tatsache, dass Deutschland selbst immer stärker auf israelische Sicherheitstechnologie setzt, wird nur am Rand erwähnt. Die Linie des Artikels bleibt bestehen: Der Besuch ist heikel, weil Israel heikel ist.
Aber ist das wirklich die ganze Wahrheit? Oder nur ein Ausschnitt, der bequem in ein vertrautes Raster passt?
Wer eine Beziehung wie die deutsch-israelische beschreibt, darf diese Frage nicht offenlassen. Sonst verfehlt Journalismus seinen Auftrag.
Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: Screenshot ARD https://www.tagesschau.de/ausland/asien/merz-israel-staatsbesuch-100.html
Samstag, 06 Dezember 2025