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Neue KAS Studie zeigt wachsende antisemitische Vorurteile bei Türkeistämmigen

Neue KAS Studie zeigt wachsende antisemitische Vorurteile bei Türkeistämmigen


Eine neue Untersuchung der Konrad Adenauer Stiftung legt offen, wie tief antisemitische Einstellungen in Teilen der Bevölkerung verankert sind und wie sie sich in einigen Gruppen sogar verstärken. Die Zahlen zeigen einen Trend, der Deutschland herausfordert.

Neue KAS Studie zeigt wachsende antisemitische Vorurteile bei Türkeistämmigen

Deutschland versteht sich als Einwanderungsland, das Vielfalt schützt und Minderheiten stärkt. Doch was geschieht, wenn ein Teil dieser Gesellschaft beginnt, Vorurteile zu übernehmen, die das Fundament des Zusammenlebens gefährden. Die neue Studie der Konrad Adenauer Stiftung liefert auf diese Frage eine Antwort, die aufrüttelt. Mehr als dreitausend Menschen wurden zwischen Oktober 2024 und Januar 2025 befragt. Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, zwischen Herkunftsgruppen und zwischen gesellschaftlichen Milieus. Besonders eine Zahl fällt ins Auge: Unter Türkeistämmigen lebt inzwischen mehr als ein Viertel mit Misstrauen gegenüber jüdischen Menschen, deutlich mehr als noch vor zehn Jahren.

Die Untersuchung beginnt mit einem Befund, der viele überrascht. Menschen ohne Migrationshintergrund geben häufiger an, sich vor dem wachsenden Rechtsextremismus zu fürchten, als Menschen mit ausländischen Wurzeln. Drei Viertel der deutschstämmigen Befragten verbinden das Erstarken rechter Ideologien mit Angst. Unter Migranten oder Ausländern sind diese Sorgen geringer ausgeprägt, wenngleich bei Türkeistämmigen und Russlanddeutschen eine erhöhte Sensibilität sichtbar ist. Die Forscher sehen darin Hinweise auf unterschiedliche Wahrnehmungen staatlicher Schutzmechanismen und unterschiedlicher Erfahrungen mit politischer Gewalt.

Noch stärker divergieren die Sichtweisen beim Krieg in der Ukraine. Nur eine Minderheit der Befragten mit ausländischen Wurzeln oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft schreibt Russland die alleinige Verantwortung zu. Unter Deutschen ohne Migrationsgeschichte liegt der Anteil bei fast sechzig Prozent. Die Differenz zeigt ein vertrautes Muster: Herkunft, Medienkonsum und familiäre Verbundenheit zu Regionen östlich Europas prägen die Interpretation globaler Konflikte.

Am deutlichsten jedoch tritt die gesellschaftliche Bruchlinie beim Thema Antisemitismus hervor. Die Aussage Juden kann man nicht trauen wurde von zehn Prozent der befragten Ausländer und neun Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund bejaht. Vier Prozent der Befragten ohne Einwanderungsgeschichte stimmen ebenfalls zu. Jede dieser Zahlen ist ein Warnsignal. Doch besonders erschütternd ist die Entwicklung innerhalb der größten Herkunftsgruppe. Türkeistämmige Befragte äußerten zu 26 Prozent Zustimmung zur misstrauischen Aussage. Noch im Jahr 2015 waren es 18 Prozent gewesen. Der Anstieg ist kein Randphänomen, sondern ein ernstes gesellschaftliches Problem, das politische Bildung, Schule, Medien und Gemeinden gemeinsam angehen müssen.

Auch unter Spätaussiedlern, die häufig aus postsowjetischen Gesellschaften stammen, sind mit 18 Prozent vergleichsweise hohe Zustimmungswerte zu finden. Diese Gruppe bringt eigene historische Erfahrungen, Identitätsfragen und familiäre Narrative mit, die eine kritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Erzählungen notwendig machen. Die Studie zeigt damit, wie vielfältig die Quellen antisemitischer Einstellungen sind. Sie entstehen nicht nur im rechtsextremen Milieu, sondern auch in migrantischen Gemeinschaften, die oft selbst Diskriminierung erleben und dennoch Vorurteile gegen andere Minderheiten entwickeln können.

Die Ergebnisse berühren einen wunden Punkt der deutschen Gegenwart. Sie zeigen, dass Antisemitismus nicht einfach ein Randproblem ist, das sich auf extreme politische Gruppen beschränkt. Er wächst dort, wo Misstrauen über Generationen weitergegeben wird, wo mediale und religiöse Einflüsse ungefiltert wirken und wo gesellschaftliche Integration misslingt. Gerade Türkeistämmige Jugendliche stehen heute unter dem Einfluss transnationaler Konflikte, sozialer Medien und ideologischer Deutungen, die Israel dämonisieren und jüdische Menschen kollektiv herabsetzen. Wer Antisemitismus bekämpfen will, muss diese Räume kennen und ernst nehmen.

Gleichzeitig macht die Studie deutlich, dass die Mehrheit aller Gruppen antisemitische Behauptungen ablehnt. Es gibt also Ressourcen für Aufklärung, Austausch und Begegnung. Doch sie müssen genutzt werden. Deutschland kann sich keinen weiteren Verlust gesellschaftlicher Stabilität leisten. Wenn eine wachsende Zahl junger Menschen übernimmt, dass Juden nicht vertrauenswürdig seien, erschüttert das nicht nur die jüdische Gemeinschaft, sondern auch den Kern demokratischer Werte. Antisemitismus ist nie isoliert. Er zieht immer Misstrauen, Zynismus und Spaltung nach sich.

Diese Studie ist deshalb ein Auftrag. Sie fordert Politik, Schulen, Verbände und religiöse Institutionen heraus, Verantwortung zu übernehmen. Sie fordert Muslimverbände auf, sich klarer gegen antisemitische Narrative zu stellen. Sie fordert Medien auf, bewusster gegen Fehlinformationen anzugehen. Und sie fordert die deutsche Gesellschaft auf, zwischen legitimer Kritik und rostigen Vorurteilen zu unterscheiden. Wer Demokratie will, muss sie verteidigen. Und wer Minderheiten schützen will, muss Antisemitismus überall dort bekämpfen, wo er wächst – unabhängig davon, aus welcher Gruppe er kommt.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Stefan Knauf - Eigenes Werk, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1773695


Donnerstag, 11 Dezember 2025

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