Warum sich Erdogan zum Abschuss des russischen Flugzeugs entschied

Warum sich Erdogan zum Abschuss des russischen Flugzeugs entschied


Die Redakteure von Aydınlık, einer türkischen Zeitung, stellten mir eine Reihe Fragen zum Abschuss des russischen Flugzeugs am 24. November. Ich schickte meine Antworten auf die Fragen am 27. November ab, hörte seitdem aber nichts mehr von ihnen. Deshalb liefere ich sie zwei Wochen später hier, da ich Ihnen auf Englisch schrieb.

Warum sich Erdogan zum Abschuss des russischen Flugzeugs entschied

Ein bislang unveröffentlichtes Interview mit Prof. Dr. Daniel Pipes

Während sich die Beziehungen zwischen den türkischen und amerikanischen Regierungen in den letzten Jahren verschlechterten, hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verbesserte Beziehungen zu Russland und (nicht im selben Ausmaß) zu China angestrebt. Mit dem Abschuss des russischen Su-24-Kampfflugzeugs hat Erdoğan sich diese Option anscheinend verscherzt. Warum?

Erdoğans Aggressivität hat ihm in der Türkei fast totale Macht eingebracht, also nimmt er natürlich an, dass dieselben Methoden auf der internationalen Bühne ebenfalls funktionieren. Das tun sie aber nicht. Obwohl er bis 2011 außenpolitisch einige wichtige Leistungen schaffte, sieht seine Bilanz seitdem miserabel aus; dazu gehören verschlechterte Beziehungen nicht nur zu fast jedem Staat in der Nähe der Türkei, sondern auch zu den Großmächten und sogar mit der türkischen Verwaltung in Nordzypern. Das russische Flugzeug abzuschießen passt in diesen Zusammenhang der steten Streitlust.

Glauben Sie, dass die Türkei aus dem Abschuss Vorteile zieht, die den Verlust Russlands ausgleichen?

Nein, hier gibt es keine Vorteile. Ich sehe nur Nachteile. Dieser Vorfall kennzeichnet eine wichtige Umkehr der Sichtweise der türkischen Regierung.

War es für die türkischen Streitkräfte wirklich notwendig dieses Kampfflugzeug abzuschießen?

Es war völlig unnötig. Das russische Eindringen war sehr gering, dauerte offenbar gerade einmal17 Sekunden, kaum ein tödliches Vergehen zwischen zwei miteinander im Frieden befindlichen Staaten. Außerdem finden Luftraumverletzungen regelmäßig statt; 2014 hat der griechische Verteidigungsökonom Christos Kollias zum Beispiel 6 Verletzungen durch türkische Militärflugzeuge pro Tag gezählt - und die Griechen haben nicht einen einzigen Schuss auf sie abgegeben.

Vielleicht ist wichtig, dass die syrischen Streitkräfte im Juni 2012 ein türkisches Flugzeug abschossen, von dem sie sagten, dass es den syrischen Luftraum verletzte. Der aktuelle Abschuss könnte zum Teil von dem Wunsch motiviert sein den damaligen zu rächen.

Sind die Wirtschaftssanktionen realistisch, die Russland gegen die Türkei anwendet?

Sehr realistisch. Russlands Präsident Wladimir Putin zeigte in der Ukraine-Krise, dass er willens ist wirtschaftliche Leiden in Kauf zu nehmen, um seine weiterreichenden Ziele zu erreichen. Bedenkt man, dass Russland und die Türkei gegenseitig zu den größten Handelspartnern gehören, dann kann Putin Ankara das Leben natürlich schwieriger machen, besonders in einer Zeit, in der die türkische Wirtschaft nachlässt.

Wird dieser Vorfall den russischen Beziehungen zum Westen schaden?

Ich bezweifle das, denn Russland wird weithin als Opfer dieses Vorfalls betrachtet. In der Tat haben die NATO-Verbündeten der Türkei die Sorge, dass zum ersten Mal seit 1952 ein NATO-Mitglied ein russisches Flugzeug abgeschossen hat - und das ohne gebührenden Grund. Sie sehen das als unverantwortlich und gefährlich; neben weiteren Problemen erschwert es die Zusammenarbeit mit Russland am Himmel über Syrien. Erdoğan hat die Türkei für die NATO zu einem Problem gemacht.

Wie würden Sie die türkisch-amerikanischen Beziehungen nach diesem Vorfall bewerten?

Der Abschuss sorgt für weitere Spannungen zwischen den Regierungen, zusätzlich zu den übrigen, darunter Ankaras Politik zur Pressefreiheit, dem Bürgerkrieg in Syrien und der illegalen Massenemigration nach Europa.

Was sehen Sie als langfristige Folgen dieses Vorfalls?

Die Führer Russlands und der Türkei haben ähnliche Persönlichkeiten; das legt nahe, dass keiner von ihnen einen Kompromiss eingehen oder sich zurückziehen wird, was impliziert, dass diese Konfrontation dauerhafte Auswirkungen haben wird. Für die türkische Regierung ist es ein weiterer wichtiger Schritt in wirtschaftliche Schwierigkeiten und ihre vermeintlich glückliche Isolation.

 

 

Übersetzt von H. Eiteneier


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Montag, 21 Dezember 2015