Ein Jahr nach der ersten islamistischen Terrorwelle in Paris: Ablenkung

Ein Jahr nach der ersten islamistischen Terrorwelle in Paris:

Ablenkung


Vor einem Jahr überfiel Amedy Coulibaly, der sich den Daesh verbunden fühlte, einen koscheren Supermarkt in der französischen Hauptstadt Paris. Der Heilige Krieger hatte bereits am Vortag eine Polizistin ermordet und wollte mit seiner Tat die Einstellung der Verfolgung von Terroristen erzwingen, die sich nach ihrem Überfall auf das Magazin Charlie Hebdo auf der Flucht befanden.

Ablenkung

Der in Frankreich geborene Amedy Coulibaly hatte sich sein Ziel nicht zufällig gewählt, er wollte, wie er einem französischen Journalisten erklärte, Juden ermorden und, so erinnert sich ein Überlebender, als »Märtyrer« sterben. Tatsächlich ermordete der Terrorist vier seiner jüdischen Geiseln und wurde beim Sturm der französischen Polizei auf das Geschäft erschossen.

Zwölf Monate nach der Bluttat muß aber auch an Lassana Bathily erinnert werden, jenen tapferen muslimischen Hyper Cacher-Angestellten, der geistesgegenwärtig mehrere Kunden in einem Kühlraum versteckte und ihnen so das Leben rettete. Der aus Mali stammende »Held von Paris« betonte später in einem Interview, »ich habe keine Juden versteckt, ich habe Menschen versteckt«.

Begann 2015 in Frankreich blutig mit dem Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo, prägten die wiederum von islamistischen Terroristen verübten Anschlägen am 13. November dessen Ausklang. Mehr als 130 Menschen wurden an diesem Freitag bei Überfällen in Paris ermordet, ein unter den Zuschauern eines Fußballspiels geplantes Massaker verhinderte wohl nur ein Zufall.

Daß der Terror im Namen Allahs freilich nicht nur Ziele in Frankreich hat, sondern ganz Europa als Operationsgebiet betrachtet, wurde spätestens in den Wochen nach den Anschlägen von Paris deutlich: Die Täter hatten sich zumindest zeitweise in Nachbarländern aufgehalten, einige ihrer Waffen in Deutschland beschafft. Noch im November legten Terrorwarnungen Brüssel lahm.

Die Sorge vor Anschlägen islamistischer Terroristen ließ deutsche Behörden ein Fußballspiel in Hannover kurzfristig absagen, in München wurden an Silvester der Haupt- und der Bahnhof Pasing nach Terrorwarnungen gesperrt. Und erst in dieser Woche sorgte erneut ein islamistischer Terrorist in Paris fürSchlagzeilen, der eine Polizeistation überfallen wollte, aber zuvor erschossen wurde.

Und während Experten sich sicher sind, daß 2015 allenfalls ein Auftakt war, Europa ein »9/11« bevorstehe, laufen an der Universität in Osnabrück vermutlich die letzten Vorbereitungen für eine dreitägige internationaleKonferenz, die unter der Überschrift »Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa« wirklich spannende Diskussionen erwarten läßt.

So sind etwa Gesprächsrunden geplant, die »antimuslimischen Rassismus als gesellschaftliche Bedrohung für Deutschland und Europa« thematisieren sollen, Debatten darüber, ob »Islamfeindlichkeit in Deutschland« eine »Randerscheinung« ist oder ein »Rassismus in der Mitte der Gesellschaft«, wie einer »institutionalisierten Islamfeindlichkeit« begegnet werden könnte.

Scheint schon manch prominenter Gast von nur allzu bekannten Obsessionen geplagt, ist wohl auch die einseitige thematische Ausrichtung nicht verwunderlich. Vor dem Hintergrund des islamistischen Terrors in Europa oder auch dessen, was gegenwärtig unter dem Stichwort »Ereignisse von Köln« verhandelt wird, fällt aber der fehlende Realitätsbezug erst recht auf.

Gewiß, es gibt antimuslimischen Rassismus und Islamfeindlichkeit in Europa und Deutschland. Doch sind sie wirklich so bedrohlich, wie es die Tagungsthemen suggerieren sollen? Noch immer sucht täglich eine vierstellige Zahl von Menschen, unter ihnen zahlreiche Muslime, Unterschlupf und Schutz ausgerechnet dort, wo offenbar nur Rassismus und Feindschaft auf sie warten.

Wäre es aber ob dieser Abstimmung mit den Füßen nicht angebracht, Muslime nicht ausschließlich als Ziel von Angriffen darzustellen, sondern auch und gerade den Zustand der »islamischen Welt« zu thematisieren, aus der so viele Menschen fliehen? Müßte nicht debattiert werden, wie sich Muslime vom Islamismus abgrenzen könnten, statt sich angegriffen zu fühlen, wird er kritisiert?

Was ist mit der Verfolgung von Muslimen durch Muslime, wie sind gar sich anbahnende kriegerische Auseinandersetzungen unter Muslimen wie zwischen der Islamischen Republik Iran und Saudi-Barbarien zu bewerten? Sich vor diesen und anderen Fragen nachgerade demonstrativ zu drücken und Muslime einzig als »Opfer« zu präsentieren, schafft mehr Probleme als zu lösen.

 

tw_24


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Sonntag, 10 Januar 2016