Diskussionsbeitrag: Welche Auswirkungen hätte ein Auseinanderbrechen der EU auf Israel?

Diskussionsbeitrag:

Welche Auswirkungen hätte ein Auseinanderbrechen der EU auf Israel?


Es gibt derzeit große Spannungen in der Europäischen Union, sowohl unter den Mitgliedsstaaten als auch in ihrer Beziehung mit den EU-Führern in Brüssel.

Welche Auswirkungen hätte ein Auseinanderbrechen der EU auf Israel?

von Dr. Manfred Gerstenfeld

 

Als Ergebnis davon ist das Fortbestehen des Schengen-Abkommens zu offenen Grenzen, des Euro und sogar der EU selbst von politischen Führungskräften wie dem EU-Präsidenten Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz infrage gestellt worden.[1]

 

Trotz dieses pessimistischen Ausblicks erscheint der völlige Zerfall der EU weithin theoretisch. Es ist allerdings für Israel wichtig, dass es die Folgen einer solchen Entwicklung untersucht. Eine Analyse des möglichen Auseinanderbrechens der EU könnte Israel verstehen helfen, wie es in seiner komplexen Beziehung zu diesem Gremium effektiver vorgehen kann.

 

Eine stärker integrierte Europäische Union würde für Israel nichts Gutes verheißen. Es gibt inzwischen jede Menge Belege, die die Vorhersage unterstützen, dass Brüssel, je mehr Macht es hat, diese gegen Israel missbrauchen wird. Dies kann man zum Beispiel an der diskriminierenden Etikettierung von Siedlungsprodukten und der finanziellen Unterstützung extremistischer, sogenannter humanitärer israelischer NGOs – die in Wirklichkeit humanitär rassistisch sind – und deren Schweigen zu den völkermörderischen Absichten der Hamas, der größten Palästinenserpartei, sehen. Die EU greift zudem entgegen Israels ausdrücklichen Wünschen in die von Israel kontrollierten Territorien der Area C ein, einschließlich der Finanzierung von Wohnungen für Palästinenser in diesem Gebiet.[2]

 

Im Kern des Antisemitismus steckt über die Jahrhunderte zweierlei Maß. Die Europäische Union hat solches regelmäßig gegen Israel angewendet. Die Forderung Waren aus israelischen Siedlungen zu kennzeichnen – etwas, das für andere, ähnlich umstrittene Gebiete, nicht gefordert wird – machte die ihre Einseitigkeit gegenüber Israel derart klar, dass das Simon Wiesenthal Center der EU einen Ehrenplatz in seiner jährlichen Liste der bedeutenden antisemitischen Verunglimpfungen des Jahres 2015 gab.

 

Im ersten Teil des vorigen Jahrhunderts litten Juden enorm unter extrem nationalistischem Antisemitismus. Die EU ist eine überstaatliche Körperschaft, der ihre Mitgliedstaaten sukzessive Elemente ihrer Souveränität abgetreten haben.[3] Israel ist ein Nationalstaat, der seine Souveränität eifersüchtig schützt. Die EU, die von Haus aus ein Souveränität verschluckendes Gebilde ist, kann das kaum wohlwollend betrachten, obwohl Israel eine Demokratie ist. Heute ist es Ziel von überstaatlichem Antisemitismus, der unter anderem von der EU und der UNO zur Schau gestellt wird.[4]

 

Der aktuelle, massive Flüchtlingszustrom hat vielen weiteren Europäern die potenziellen Folgen der teilweisen Übertragung nationaler Souveränität an die EU bewusst gemacht. Das ist durch den Verlust der Kontrolle über die Grenzen der Mitgliedstaaten hervorgehoben worden. Experten in Großbritannien sind zudem besorgt wegen des Vorrangs des europäischen vor dem nationalen Recht.[5]

 

Diejenigen EU-Mitgliedstaaten, die bereits sind den Machtanspruch aus Brüssel zu akzeptieren und beträchtliche Anzahlen an neuen Immigranten aufzunehmen, verteilen diese über viele Standorte. Frühere Immigranten leben gewöhnlich in Vororten oder Vierteln größerer Städte. Während des aktuellen Zustroms wurden große Anzahlen Asylbewerber in kleineren Gemeinden untergebracht. Das hat beträchtliche soziale und politische Auswirkungen. Neben anderen Problemen stehen Asylbewerberunterkünfte im Zentrum von Angriffen durch Bürger gegen Asylsuchende und die Unterkünfte selbst, für Gewalt innerhalb der Zentren und Angriffe auf örtliche Einwohner durch Flüchtlinge.

 

Spannungen innerhalb der EU haben in den vergangenen Jahrzehnten geschwankt; Euroskeptizismus befindet sich vermutlich derzeit auf einem historischen Hoch, zum Teil infolge der Flüchtlingskrise, von der der französische Premierminister Manuel Valls sagte, sie destabilisiere Europa.[6]

 

Antieuropäische Parteien legen in verschiedenen Ländern, einschließlich Frankreichs und der Niederlande, in den Meinungsumfragen zu. Die Gegner der EU legen viele Argumente vor, von der Wirtschaft – hier zitieren sie das niedrige Wachstum der EU-Wirtschaft – bis zu mit der Sicherheit in Zusammenhang stehenden Problemen, darunter dass offene Grenzen Terrorismus fördern.

 

Die anstehende Volksabstimmung in Großbritannien zu einem möglichen „Brexit“ – ob das Land aus der EU austreten oder Mitglied bleiben sollte – ist ein weiterer wichtiger Meilenstein bei den sich entfaltenden Anti-EU-Ereignissen. Die vielen von Brexit-Befürwortern vorgetragenen Argumente gegen die EU könnten Israel bei seinen Verhandlungen mit diesem Gremium dienlich sein.[7] Deutschlands bereits beträchtliches Übergewicht in der EU wird als Ergebnis eines möglichen britischen Austritts aus der EU noch problematischer werden. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat gesagt, dass Investoren in Asien und den USA das Sterben Europas diagnostizieren könnten, wenn die EU das Vereinigte Königreich nicht davon abhalten kann aus ihren Reihen auszuscheren.[8]

 

Die Außenminister der sechs ursprünglichen Gründerstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg haben sich vor kurzem zu dem Thema getroffen, wie die europäische Integration weiter vorangebracht werden kann.[9] Dieses Treffen fand vor einem Hintergrund statt, bei dem die Verfechter eines föderalen Europas, auch wenn sie nicht komplett besiegt sind, in eine Ecke gedrängt wurden. Für Israel ist die schwierige Situation, der sich die Befürworter der Integration ausgesetzt sehen, eine willkommene Entwicklung.

 

Ein komplettes Auseinanderbrechen der EU hat für Israel sowohl Vorteile als auch Nachteile. Statt mit der EU, die nominell 500 Millionen Bürger repräsentiert, würde Israel mit vielen kleineren Ländern verhandeln. Das könnte vorteilhat sein, wenn solche Länder versuchen sich in Israels innere Angelegenheiten einzumischen, ohne die Macht einer überstaatlichen Körperschaft hinter sich zu haben.

 

Sollte die EU vollständig zerfallen, könnten aber Länder wie Schweden, in denen antiisraelische Hetze betreibende Regierungen regieren, die von Sozialdemokraten beherrscht werden, extremere Politik gegenüber Israel verfolgen, wenn sie nicht von der EU dazu verpflichtet sind Kompromisse anzustreben. Obwohl die Abwesenheit einer EU es leichter machen würde den Schweden entgegenzutreten, könnten sehr unerwünschte Präzedenzfälle geschaffen werden.

Angesichts all dessen ist ein Schrumpfen der Macht der EU und ihrer Kompetenzen ohne ein tatsächliches Auseinanderfallen für Israel vermutlich das Beste. Dies umso mehr, wenn der Euro aufgelöst und das Schengen-Abkommen widerrufen werden sollten. Das würde zudem psychologische Prügel bedeuten.

 

Diese Analyse kann zu diesem frühen Stadium nur indikativ sein. Sie kann aber auch dazu dienen Israels Gedanken zu klären, während die Situation sich entwickelt.

 

[1] www.telegraph.co.uk/finance/economics/11583755/Anglo-Saxon-world-would-rip-apart-Europe-after-a-Grexit-says-Juncker.html;http://www.politico.eu/article/asselborn-eu-end-break-up-schengen-migrants-refugee-crisis/; www.express.co.uk/news/world/625088/European-Union-fall-apart-decade-Martin-Schulz

[2] www.dailymail.co.uk/news/article-2874883/EU-funding-illegal-building-West-Bank-says-report.htm

[3] www.telegraph.co.uk/news/newstopics/eureferendum/12146990/Do-you-want-sovereignty-back-Then-vote-to-leave-the-EU.html

[4] http://jcpa.org/article/the-moral-relativism-of-the-united-nations/

[5]www.telegraph.co.uk/news/newstopics/eureferendum/12156936/Attorney-General-could-vote-to-leave-European-Union.html

[6] www.theguardian.com/world/2016/jan/22/french-pm-manuel-valls-says-refugee-crisis-is-destabilising-europe

[7] www.telegraph.co.uk/news/newstopics/eureferendum/12117699/Liam-Fox-calls-for-Britain-to-leave-EU-and-become-an-independent-sovereign-nation-again.html

[8] www.telegraph.co.uk/finance/financetopics/davos/12113163/Davos-leaders-fear-Brexit-may-be-deathknell-for-EU.html

[9] http://www.politico.eu/article/ministers-core-europe-plan-eu-future-rome-meeting-founding-members-integration/

 

Dr. Manfred Gerstenfeld war viele Jahre Präsident des Jerusalemer Centers for Public Affiars (JCPA).

 

Erstveröffentlicht bei Heplev


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Dienstag, 08 März 2016