Wählerbeschimpfung im US-Wahlkampf: Hillary Clintons neuester Fehltritt

Wählerbeschimpfung im US-Wahlkampf:

Hillary Clintons neuester Fehltritt


Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Manhattan hat Hillary Clinton die Anhänger ihres politischen Gegners am Freitagabend als „deplorable“, also als bedauernswert und erbärmlich bezeichnet. Als im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf das letzte Mal etwas Ähnliches versucht wurde, hat es Mitt Romney 2012 den Sieg gekostet.

Hillary Clintons neuester Fehltritt

von Ramiro Fulano

 
Stellen Sie sich einmal vor, liebe Leserinnen und Leser, Sie wohnen im Einzugsgebiet zweier Supermärkte. Nennen wir den einen mal Aldi und den anderen Lidl. Nun ist es wahrscheinlich so, dass jeder von Ihnen schon mal bei Aldi war, um zu gucken, was es da so gibt, auch wenn Sie normalerweise nur zu Lidl gehen. Oder umgekehrt. Vielleicht sind Sie auch bloß mit Leuten befreundet, die zu einem anderen Supermarkt gehen, als Sie selbst. Und nun stellen Sie sich bitte vor, der Pressesprecher einer der beiden Supermärkte stellt sich vor die laufenden Fernsehkameras und sagt: „Wer zu Aldi/Lidl (Nichtzutreffendes bitte streichen) geht, ist ein Idiot“. Wie fänden Sie das?
 
Man muss es sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen, was da gestern im „Cipriani Club 55“ in der New Yorker Wall Street los war: Hillary Clinton beleidigt alle Amerikanerinnen und Amerikaner als „bedauernswert“, weil sie ihren Konkurrenten im Kampf um die Präsidentschaft unterstützen. Und die Barbra Streisand des aufrechten politischen Gewissens (*hüstel) trällert dazu eine „Send in The Clowns“-Parodie, deren Text so bitterblöd und voller pubertärer Fäkalanspielungen ist, dass ich mich schämen würde, wenn ich so etwas auf der Rückseite einer versifften Klotür in Bahnhofsnähe lesen müsste. Es war – wenn so etwas überhaupt möglich ist – noch schlimmer als Börnemanns Erdogan-Gedicht. 
 
Das könnte der Augenblick gewesen sein, der einem alles über Hillarys Wahlkampf verrät, was man darüber wissen möchte: verblasenen Polit-Aktivisten wird nach dem demokratischen Gruß aus der Küche erst politisch leichte Kost vom Kreisverband gereicht, bevor man als Hauptgericht die Kandidatin und zum Dessert einen „politisch“ gewordenen Weltstar serviert. Dazu macht sich die US-Medien-Schickeria über „Trottel und Deppen in der Provinz“ lustig, also über den Rest des Landes, und bejubelt sich gegenseitig. Nachdem man den Wahlkampf-Parcours vom moralisch hohen Ross genossen hat, geht man zum Preis von 5.000 Dollar pro Person (oder einem noch höheren Betrag) mit dem guten Gefühl nachhause, dass man aus Leibeskräften und mit gutem Gewissen Hurra schreien durfte, während gerade die sprichwörtliche andere Hälfte des Landes durch den Kakao gezogen wurde. Das also ist die politische Dienstleistung, die die Hillary-Kampagne an ihre politische Klientel bringen möchte. Und jetzt die Preisfrage: Wer muss da nicht an Marie-Antoinette denken?
 
Ich möchte nicht glauben, dass es bei der anderen Hälfte gut ankommt, wenn man sie als „bedauernswert“ bezeichnet, aber vielleicht irre ich mich. Sigmar „Pack“ Gabriel hatte mit dem Versuch, „seine“ Wählerschaft verbal zu ohrfeigen, anscheinend keinen großen Erfolg. Kann sein, dass Siggis Verbalinjurie die Reihen in Mecklenburg-Vorpommern fester geschlossen hat, aber im Bundestrend dümpelt die SPD seit Jahren um die 20% herum. Damit liegt sie nur 5% vor der AFD. Kann sein, dass die Genossinnen und Genossen es genießen, wenn ihr Vorsitzender den starken Sozialdemokraten spielt, aber ich glaube, auch bei den Sozis begreift man allmählich, dass die Wählerwanderung zur AFD auch auf Kosten der SPD passiert ist. Die Tage, in denen auch die deutsche Sozialdemokratie sich glaubhaft als Ursprung staatsmännischen und staatsfraulichen Personals präsentieren konnte, sind bis auf weiteres vorüber – vielleicht sogar für immer.
 
Zur Situation in den USA ist zu sagen, dass Hillary Clinton (wenn sie gerade mal nicht hustet) mit den Ansichten und Absichten der Konkurrenz dennoch geschickter umzugehen versteht als Team schwarz-rot-grün in Germany. Immerhin signalisiert Frau Clinton wiederholt, sie wolle die Sorgen und Ängste der zahlreichen Trump-Fans „verstehen“ und „nachvollziehen“. Selbst wenn es bei solchen Verständnisbekundungen bleibt, also nicht viel mehr als tea and sympathy dabei herauskommt, ist das doch besser als das, was Frau Dr. Merkel anbieten kann. Das ist jene deutsche Bundeskanzlerin, die mit ihrem autokratischen, quasi-diktatorischen Kurs erst dafür sorgt, dass die Bude bei der AFD jetzt richtig voll wird. Natürlich ist der Bundeskanzlerin anzurechnen, dass sie im Vergleich zu ihrer amerikanischen Möchtegernkollegin wenigstens ehrlich mit ihrer Kundschaft umgeht und keinen Hehl aus ihrem Alleinvertretungsanspruch macht.
 
Selbstverständlich sind Hillarys Verbalattacken auf die Wählerinnen und Wähler nichts weiter als Wasser auf die Mühlen der Trump-Kampagne. Auch wenn man mit Donald Trump persönlich vielleicht nicht viel anfangen kann (oder möchte), sollte man doch anerkennen, dass er eine politische Marktlücke gefunden hat, die jeden Tag größer wird. Denn während Frau Clintons Partei – abgesehen von ihren bevölkerungsreichen Hochburgen – in den Umfragen zusehends zurückfällt, zieht Mr Trump landesweit zunehmend gleichauf. Und es stehen uns noch acht Wochen Wahlkampf ins Haus, in denen viel passieren kann. Ich freue mich schon auf die Trump-Phase im Oeuvre Börnemann und politisch bewusste Rio-Reiser-Lyrik. Natürlich fällt es leicht, Mr Trump nach Gutsherrenart vom politisch hohen Ross der Schlagworte und Meinungsklischees durch den Kakao zu ziehen. Gerade der deutsche Staatsfunk hat diese pseudokritische Methode im Umgang mit dem politischen Gegner perfektioniert. 
 
Das Blöde an der deutschen Anti-Trump-Propaganda ist bloß, dass sie ebenso intellektuell träge wie politisch unaufrichtig ist. Es ist aus meiner Sicht nichts Verwerfliches, Dummes oder Gefährliches daran, den Menschen eine Politik zu versprechen, bei denen ihre Interessen an erster Stelle stehen. Allem voran das Interesse, ihren rechtmäßigen Angelegenheiten in Sicherheit nachgehen zu können. Zweitens, etwas von den Steuern zu haben, die sie bezahlen. Und drittens die Aussicht, dass es ihren Kindern einmal bessergehen wird als ihnen selbst. Diese drei Themen waren einmal die Grundbausteine konservativer Politik und wie es einer Partei ergeht, die ihre Identität verspielt, kann man angesichts des sich abzeichnenden Verschwindens der CDU in der politischen Bedeutungslosigkeit gerade am Beispiel studieren. 
 
 
http://www.thewrap.com/barbra-streisand-hillary-clinton-fundraiser-brings-out-harvey-weinstein-isaac-mizrahi-cynthia-nixon/ 
http://www.cipriani.com/restaurant/?loc=ny-club55&type=photos 
 
 
Foto: Hillary Clinton - vielleicht gerade bei dem Versuch, ihren eMail-Account zu beherrschen ... (Foto: von Unbekannt (From http://clinton.senate.gov/) [Public domain], via Wikimedia Commons)

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Samstag, 10 September 2016