Antisemitismus in Europa: Nenn mich nicht `Weiß´

Antisemitismus in Europa:

Nenn mich nicht `Weiß´


In den vergangenen Jahrzehnten dachten viele von uns Antisemitismus sei am Aussterben. Das war ein Trugschluss: der Hass gegen Juden war nur eingeschlafen. In den letzten Jahren expandierte der Antisemitismus in neue erschreckende Dimensionen. Gerade in Europa zeigt sich wieder, dass Antisemitismus ein fester Bestandteil europäischer Kultur ist.

Nenn mich nicht `Weiß´

von Sharon Oppenheimer


Der Antisemitismus in Deutschland begann nicht mit der Machtergreifung Hitlers 1933 und endete nicht mit der deutschen Kapitulation. Doch seit 1945 hat sich rassistischer Judenhass neue Gewänder übergezogen:

 

entweder als die gutmenschelnde „Israelkritik“ oder als dumpfes Ignorieren von Tatsachen. „Es gibt keinen Rassismus gegen Juden, weil ihr Juden weiß seid“, sagte mir kürzlich ein AntifaSympathisant. „Die einzigen,

 

die in Deutschland diskriminiert werden sind Araber, sind Mosleme“, meinte er. Das ist falsch und beleidigend. Wer die jüdische Geschichte, sowie die Geschichte der gesamten Entwicklung der Idee oder des Konstruktes der "weißen Rasse" kennt, sollte verstehen, dass kein Jude, Aschkenase oder anders "weiß" ist. Juden sind seit Jahrhunderten Opfer europäischer und westlicher Unterdrückung und Gewalt geworden, weil sie nicht als Teil der "weißen" Welt angesehen wurden, angefangen beim römischen Kolonialismus in Judäa bis zum 20.

 

Jahrhundert mit dem wohl schlimmsten Völkermord in der Geschichte auf der Grundlage der Rassenklassifizierung: die Ermordung von mehr als 6 Millionen, vor allem aschkenasischen Juden, gerade weil sie nicht „Weiß“ waren. Die Charakterisierung von Juden, als irgendwie "weiß" und als Begünstigte des "weißen Privilegs" ist einer der Haupttrugschlüsse hinter der Dämonisierung Israels. Eine hasserfüllte Lüge, um die Wahrheit zu verwischen und um den jüdischen Staat, die indigene Heimat des jüdischen Volkes wieder zu zerstören. Dies ist nicht nur eine semantische Frage. Juden sind nicht "weiß". Wir sind ein Stammesvolk aus der Levante. Viele von uns wurden gewaltsam aus unserer Heimat verbannt. Unsere Vorfahren wurden Ketten gelegt und unter anderem auch nach Europa verschleppt, wo sie einem brutalen und unterdrückenden institutionellen Rassismus ausgesetzt waren, der auf unserer Ethnizität, der Stammeszugehörigkeit, der Kultur und dem Glauben beruhte. Seit Tausenden von Jahren, darunter fast 2000 Jahre, in denen die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung ohne Schutz oder Trost in einer feindseligen Umgebung lebte, behaupteten wir immer noch unsere einheimische Kultur, von Generation zu Generation gaben wir unsere Sprache, unsere Traditionen und Schriften weiter, die alle vollständig auf unseren einheimischen StammesGlauben-und Zugehörigkeit basieren.

 

Als die Vorstellung von einer "weißen" Rasse von indigenen Europäern als Grundlage für die Unterstützung für deren Rassismus und des europäischen Imperialismus geschaffen wurde, wurde auch die eine Ideologie geschaffen, die Juden grausamst verfolgte und unterdrückte. Niemand, der Antisemitismus beenden will und gegen Bigotterie und Rassismus kämpfen will, sollte behaupten, Juden seien "weiß"- das ist eine grobe Verzerrung. Menschen, die versuchen, Juden als "weiß" darzustellen oder zu beschreiben,

versuchen die jüdische Geschichte und Identität aufzuheben.

 

Im Wesentlichen versucht man uns einen künstlichen Europäer aufzuerlegen, unabhängig davon ob wir Aschkenase, Sephardic oder Mizrahi sind. Wir Juden sind genetische Brüder und Schwestern, die mehr genetisch miteinander verwandt sind als mit allen anderen Ethnien auf diesem Planeten. Die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland haben 2015 fast 1400 antisemitische Straftaten erfasst. Volker Beck von den Grünen warf der Regierung indes vor, die wahre Zahl der Delikte zu verschleiern. Wirft man einen Blick auf Statistiken in den USA, so zeichnet sich auch hier ein erschreckender Trend ab: 60% aller Hassverbrechen in den USA zielten auf Juden. Zwischen 2003 und 2014 wurden 65% aller gewalttätigen Hassverbrechen in den USA gegen Juden begangen, die weniger als 2% der Bevölkerung ausmachen. Im Frankreich ist man längst dazu übergegangen offen auszusprechen, dass Juden unerwünscht sind. Bei Stellenanzeigen ist deshalb oft zu lesen: pas de Juifs – keine Juden.

 

In Deutschland ist Antisemitismus wieder gesellschaftsfähig und hinterhältiger als jemals zuvor. Es gehört wieder zum guten Ton an Arbeitsplätzen und Lehranstalten sich juden- und israelfeindlich zu äußern. Oftmals wird man mit dem Verweis, „das sollte man doch untereinander klären,“ abgewimmelt, obwohl es sich um Straftatbestand handelt. Antisemitismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Nur ein paar Beispiele seien genannt:

 

2014 entließ ein Subunternehmer der Deutschen Telekom einem Mitarbeiter, weil er einen freien Tag für den Jom Kippur, den höchsten aller jüdischen Feiertage beantragte. Laut Gesetzgeber steht ihm dieser Feiertag zu. In einem anderen Fall im Jahr 2015 wurde einer Mitarbeiterin, die sich über antisemitische Schikanen seitens einer bzw. mehrere Vorgesetzten beschwerte von einem grünen Betriebsrat mitgeteilt, dass Israel daran schuld sei und damit sie selbst. Ein Urteil gegen drei junge Männer „palästinensischer Herkunft“, die im Sommer 2014 einen Brandanschlag auf die Synagoge in Wuppertal verübt haben, ist rechtsgültig. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verwarf einen Antrag auf Revision.

 

Die Begründung ist erschreckend: Wer in Deutschland versucht, eine Synagoge in Brand zu setzen, ist kein Antisemit, sondern ein Israelkritiker, der mit seiner Kritik zu weit gegangen ist. (Bedeutet das nun „gerechter Volkszorn“, so wie die deutschen Zeitungen nach der Kristallnacht es nannten?) Was halten die Deutschen von Israel? Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung nicht viel. Fast die Hälfte hat eine schlechte Meinung vom jüdischen Staat. Und der Wunsch nach einem Schlussstrich unter das Kapitel NS-Zeit ist groß. So sieht das Ergebnis jahrzehntelanger Bildungspolitik und Stimmungsmache in den Medien aus. Man setzt auf Scharfmacherei und schürt weiterhin Unwahrheiten:

 

die Wasserlüge, die Genozidlüge, die Organtransplantationslüge, die Weltverschwörungslüge, die Rothschildkonspiration und und und... Von Martin Schulz bis Martin Lejeune, vom Abgeordneten bis zum Hauptschüler, vom Fernsehjournalisten zum Hartz-IVEmpfänger – keiner ist sich für die niedrigsten Verleumdungen zu Schade. Aber wie sehen es ein Mitglied einer Ethnie in Deutschland, die ebenfalls im Laufe der Jahrhunderte grauenvolle Diskriminierung und Verfolgung erlebt haben? „Rassismus in Deutschland ist noch sehr lebendig .. Rassismus ist sehr selektiv geworden ...“, sagt die Schauspielerin Manoush. Sie ist Sintizza (Angehörige der Ethnie der Sintis) und weiß wovon sie spricht, denn auch sie hat als Kind den blanken Rassismus schon am eigenen Leib gespürt.


Autor:
Bild Quelle:


Sonntag, 02 April 2017