Migrationskrise: O Tempora, O Mores!

Migrationskrise:

O Tempora, O Mores!


`Eines Tages werden Millionen Menschen die südliche Hemisphäre verlassen, um in der nördlichen Hemisphäre einzufallen. Und gewiss nicht als Freunde. Denn sie werden als Eroberer kommen. Und sie werden sie erobern, indem sie diese mit ihren Kindern bevölkern. Der Bauch unserer Frauen wird uns den Sieg schenken.´ Houari Boumedienne (1927 – 1978) ehemaliger algerischer Staatspräsident

O Tempora, O Mores!

Von Shanto Tradic

 

Wenn der polizeiliche Großeinsatz gegen ein Rudel randalierender Rabauken im Baden-Württembergischen Ellwangen den Steuerzahler schon schlappe 360.000 Euro kosten wird, was muss dieser dann erst für ein Wahlspektakel berappen, dass sich die türkische Republik hierzulande zwecks Bestätigung eines blutrünstigen Kalifen im selbstherrlichen Amte gerade geleistet hat? Dazu gab es meines Wissens noch keine Anfrage im deutschen Bundestag, weder von der AfD noch von den Linken. Fest steht: Renditelose ´Nachfinanzierungen´ solcher Art tragen kaum zur Belebung der Binnennachfrage bei. Aber darum geht es ja auch gar nicht. Die Ermöglichung einer recht zwielichtigen Volksbefragung wird dem Schlächter vom Bosporus wieder wertvolle Stimmen aus Deutschland zuschanzen. Und die Frage danach, wer die Ordnungsgemäße Überführung abgegebener Stimmzettel in die Türkei überprüft, bleibt jenen vorbehalten, die in Erdogans Gefängnissen schmoren. Was nun die eingangs erwähnte Großrazzia betrifft, so wird der ´Auf-Preis´ dieser Veranstaltung im Wechselspiel kumulierender Eskalationen schnell vergessen worden sein, das sind so Ärgerlichkeiten an die wir endlich uns zu gewöhnen haben, und es nimmt kaum wunder, dass darüber kurz vor dem heiß erzitterten Fußballspiel Deutschland-Schweden allenfalls am Rande berichtet wurde – nach der Adrenalin-Attacke redet sowieso keine Sau mehr davon. Ganz gleich auch, wie der täglich bemühte Schlagabtausch Seehofer-Merkel schließlich ausgehen mag: die angespannte, nahezu gewittrige Großwetterlage wird sich dadurch kaum entschärfen lassen, und wenn man in Deutschland in Wilhelminischer Manier noch immer vom ´Platz an der Sonne´ träumt, so dürfte dieser Traum bald selber platzen. An derlei Gefühlslagen erkennt man unsere Verfallsdekade vielleicht noch am sichersten: Der Wille zur Selbstbehauptung schwindet, und eine diffuse Front aus Frust und Resignation, kollektiver Neurose und hektischer Betriebsamkeit überlagert letzte Ansätze möglichen Widerstandes, der seinerseits bei jeder Gelegenheit diskreditiert wird.

 

Dass die Deutschen lieber maulen, statt zu meutern, erklärt sich aus der jüngeren Vergangenheit. Die ehemaligen Herrscher der Welt gefallen sich heute eher in der Rolle stetig abdankender, chronisch zerknirschter Weltverbesserer, als solche das moralische Gewissen der ganzen Welt darstellend, immerzu mit erhobenem Zeigefinger den Rest derselben belehrend, denn noch immer soll ja am deutschen Wesen alle Welt genesen, jetzt in der Mutti-Variante. Kein Land, so wird uns unermüdlich versichert, stünde in Europa besser da als das deutsche selbst. In der Tat: Wohlstand korrumpiert. Auch jene, die ihn sich hierzulande immer weniger leisten können. Die kuschen, knausern so vor sich hin. Dass sich die Eliten der BRD nach zwei Weltkriegen und dem langen Kalten eine unerträgliche moralische Überheblichkeit leisten stößt in den übrigen Teilen Europas zwar immer übler auf, aber das hindert die Mutti nicht daran, sie alle an das Diktat einer Einheit zu erinnern, dass sie vor drei Jahren selbst so mutwillig wie selbstherrlich brach.

 

Die entsprechend verordneten Sichtweisen behaupten, wiewohl sie sich längst überlebt haben, ein beachtliches Beharrungsvermögen. Das gilt gerade im nämlichen Zusammenhang. Es ist und bleibt billigerweise so, dass in Sachen ´Flüchtlinge´ auch weiterhin so bequem wie selbstverständlich zwischen Guten und Bösen unterschieden wird. Dazwischen darf es gar nichts geben und selbstverständlich befinden sich die Bösen in der verschwindend geringen, immer wieder klein und noch etwas kleiner geredeten Minderheit, und selbstverständlich kommt diese lästige Minderheit nicht ohne dankbar an den Haaren herbeigezogene Mitschuldige aus; das mindert jedes Strafmaß. Hier bläht sich die ganze Anmaßung einer Kaste, die ein für allemal Bescheid weiß und den übrig gebliebenen Deppen der Nation – uns allen – stündlich um die Ohren bügelt, was jedem längst zum langen Hals heraushängt. Zwar spricht die Wirklichkeit längst eine eigene Sprache, doch rücken die ´Macher´ nicht vom eigenen Kauderwelsch, den eigenen Schlagworten ab. Das erinnert an Gerichtsverhandlungen in Intensivtäterprozessen: Da wird nur zugegeben, was nicht mehr abzustreiten ist, die restlichen Lügen werden umso sturer behauptet, bis auch sie widerlegt worden sind. Trotzdem kommt am Ende eine Bewährungsstrafe dabei heraus.

 

So läuft es auch im Umgang mit Menschen, die fast ausnahmslos ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung ins Land kamen. Anfangs gab es dennoch nur Flüchtlinge. Jetzt fallen bei etlichen von denen die notwendigen Asylgründe weg, dem BAMF zum Trotz. Der übrig gebliebene Rest wird umso nachhaltiger in Watte gepackt. Messerstecher und Sozialbetrüger, Sprachkursschwänzer und Mädchenbelästiger, Rizin-Tüftler und derlei Traumapatienten mehr werden also erneut vom lauteren Rest getrennt. Die Bösen werden so kaum weniger, die Guten auch kaum mehr, und dennoch müssen letztere in der Mehrzahl bleiben, erstere bleiben ´Ausnahmen´. Die sind als peinliche Unregelmäßigkeiten sozusagen ohne vorherige Erlaubnis einfach übrig geblieben: Sie eben haben so immerhin die eiserne Regel zu bestätigen. Heute darf wieder, obschon verschämt, festgestellt werden, dass es Mörder und Betrüger, Fanatiker und Frauenschänder auch unter jenen gab und gibt, die damals kamen, aber gottlob gibt´s die ja überall, insofern korrigiert der Anstieg entsprechender Delikte nur eine Statistik, deren Interpretation längst fest stand: Die da kamen und noch kommen werden, die sind ja auch nicht schlimmer als die anderen Schlimmen es schon immer gewesen sind. Wer wollte hier als erster einen Stein (des Anstoßes) erheben? Wie kann man diesem Allgemeinplatz ernsthaft wieder sprechen?

 

Machen wir es uns jetzt ruhig noch etwas leichter, fragen wir direkt und ohne Umschweife: wer von den anderthalb Millionen, die dem deutschen Gruße folgten, zuckt auch nur mit der Wimper angesichts der Tatsache, dass kraft ihrer Bereicherung ganze Nationalstaaten in schwere innen- und außenpolitischen Krisen stürzen, während die Gesellschaften aufnahmebereiter Länder (es werden immer weniger) zunehmender Verunsicherung anheimfallen und mit Milliarden an Steuergeldern für alle nur denkbaren Eventualitäten aufzukommen haben? Es erzähle uns keiner, die kriegten das nicht mit. Kratzt es diese Menschen denn, das die meisten von Ihnen bereits jetzt besser leben als jene schätzungsweise zwei bis drei Millionen Altersarmen, die sich der Exportweltmeister Deutschland noch immer ohne zu erbleichen leistet? Auch deren Jahrzehntelang brav abgeführter Obulus wird ja geplündert, um kostenlose Sprachkurse und Beschäftigungsprogramme zu ermöglichen, damit Integration halbwegs gelinge. Das alles wird einem ´Flüchtling´ in der Regel nicht zum Problem. Das gehört zu den Dingen die man, je nach Bedarf, ignoriert oder wie selbstverständlich in Anspruch nimmt. Der Spaß hört erst bei den eigenen Riten und Gebrä(u)chen auf, da wird es ernst, an diesen Reizpunkten gewinnt das Eingangszitat früher oder später an Brisanz und Härte, auch der Begriff der Integration selbst lässt hier Federn ohne Ende, nur darf das nackt gerupfte Huhn keiner zu sehen bekommen, also wickelt man es erneut in Watte ein.

 

Das alles ist natürlich Populismus pur. Wenig hilfreich, wie die Kanzlerin immer wieder rügt. Es nervt, und am meisten nervt daran eben, dass es stimmt. Auf den Punkt gebracht, weil es keiner offen aussprechen möchte: Sie alle, die als illegale Einwanderer nach Deutschland kamen, haben jenseits nachvollziehbarer eigener Interessen kein übergeordnetes Interesse an der Kultur und den Menschen selbst, die ihnen so freimütig Einlass gewährten, ganz in Gegenteil ist denen gerade unser Schicksal völlig gleichgültig. Wer auf der Flucht gezielt seinen Pass verliert, aber auf gar keinen Fall das Smartphone, wer zwecks Durchsetzung seines Aufenthaltes clever genug ist, ganze Anwaltskanzleien zu beschäftigen, deren Einsatz auch vom Steuerzahler gedeckt wird, der hat es eben überhaupt nicht nötig, das Schicksal derer ins Auge zu fassen, die vorher keiner fragte – und hinterher erst recht nicht mehr gefragt werden. Wer hingegen jahrelang zu hören bekam, dass es nichts mehr zu verteilen gäbe in diesem Land, weil dauernde Lohnzurückhaltung das Gebot der Stunde sei und die Antwort auf globale Herausforderungen nur eine gesteigerte Flexibilität, sprich: die Aufgabe gesicherter Verhältnisse sein kann, der wählt endlich das in seinen Augen kleinere Übel, und die Eliten bauschen es zum großen Ärgernis auf, um das eigentliche damit zu verdecken.

 

Was für eine grenzenlose Anmaßung kam und kommt doch in der Versicherung zum Ausdruck, dass man anderthalb Millionen Menschen aus grundfremden Kulturkreisen irgendwie in unseren integrieren könne! Vor einer Kanzlerin, die ohne jede Absprache, ohne jede Not einen ganzen Kontinent in Geiselhaft nahm, zittert mit Recht der ganze Rest dieses Großraums. Er fühlt sich belästigt und bedroht, und fordert diese Frau nun zur Mithilfe bei einem zum Scheitern verurteilten Mammutprojekt auf, zu einer ´europäischen Lösung´, dann fordert sie nichts geringeres als die Quadratur des Kreises. Wir werden Zeugen eines Scheiterns, dass an Vorgänge erinnert die man für vorgestrig und abgehakt hält, aber das sind sie nicht.

 

Ist von Völkerwanderungen die Rede, so noch immer in der Vergangenheitsform. Nur dann darf offen festgestellt werden, das jene wandernden Völker die jeweils ansässigen vor schier unlösbare Probleme stellten, bevor sie diese schließlich ganz verdrängten. Da ist dann von Hunnen und Goten, von Vandalen, Angeln oder Sachsen die Rede. Freilich: vom Untergang des römischen Reiches auch. Wenn Völker wandern, heben sie eine ganze Welt aus den Angeln, sie mögen Barbaren sein oder solche, die ewige Wahrheiten zu hüten sich anmaßen. Es ist folglich an der Zeit, den schillernden Begriff zu aktualisieren und im nämlichen Zusammenhang von Syrern und Afghanen, von Arabern und Afrikanern zu sprechen; auch von der EU und seinen Kernstaaten: von ihrer Krise und dem bereits absehbaren Ende. Wer Vergleiche dieser Art für übergeschnappt hält, der betrachte ohne Scheuklappen den Zerfall einer aus allen Nähten platzenden Union, vor allem mache er sich klar, dass der eigentliche, der wirklich fundamentale Wandel im Schatten hektischer Aktualität bereits schleichend stattfindet. Die Zeit selbst spielt uns hier ihre Streiche. In fünfzig oder hundert Jahren wird kein Mensch mehr von Obergrenzen oder Ankerzentren reden, noch weniger von irgendwelchen Attentaten oder unbegleiteten Minderjährigen, die mit Messern herumfuchteln. Ellwangen? Und der Steuerzahler? Geschenkt. Fußnoten der Geschichte, die zu erwähnen angesichts der großen Umwälzungen geradezu lächerlich erscheint. Falls es so etwas wie eine Geschichtsschreibung im digitalen Zeitalter noch geben sollte, werden Ereignisse dieser Art nicht mehr als Zäsuren, nur noch als periphere Begleiterscheinungen erwähnt werden. Man wird dann gar nicht mehr begreifen, was sich mit ihnen tatsächlich andeutete, da man die begleitenden Divergenzen selbst nicht mehr klar voneinander trennen kann. Es ist ja so viel passiert in all der Zeit. Jede Zeit hat ihre eigenen Geschichten, aber geschrieben werden sie immer wieder neu.

 

Oder auch gar nicht mehr. Schon unter dem Zepter des Theoderich, der sich noch ganz durchdrungen fühlte von der Bürde eines Flavius Rex, ging ein Großteil der antiken Literatur rasend schnell verloren, und nur wenige Generationen später reduzierte sich die Zahl derer, denen der Zugang zu den verbliebenen lateinischen Schriften noch offen stand, auf eine verschwiegene, vor allem versteckte Minderheit. Latein, ehedem Volkssprache, Amtssprache – heilige Sprache, gleich dem Arabischen, stahl sich aus der Geschichte fort, überlebte noch eine gewisse Weile in abgelegenen Nischen, mehr oder weniger unbemerkt, und muss heute, gemessen an ihrer einstigen Bedeutung, als überkommen gelten.

 

Keiner, der dieser kultur-europäischen Ursprache auch nur eine Träne nachheult. Wir sind keine Römer mehr. Abducet praedam, qui occurit prior.

 

 

 

Dr. Nathan Warszawski/Numeri 24 : 9 - Foto: Libysche Migranten in einem Transit-Camp in Tunesien 2011 (Foto: By DFID - UK Department for International Development [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons)


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Samstag, 30 Juni 2018