Europäische Träume vs. Massenmigration

Europäische Träume vs. Massenmigration


Europa präsentiert sich als Vorreiter bei der Einigung der Menschheit. Dadurch werden die kulturellen Wurzeln Europas gefährdet

Europäische Träume vs. Massenmigration

Von Giulio Meotti, Gatestone Institute

  • Leider weigert sich die europäische Mentalität, sich der Realität zu stellen, als ob die Herausforderung zu ernst wäre, um sie anzugehen.
  • Es gibt da eine falsche marxistische Vorstellung unter den Jugendlichen hier in Europa, dass, wenn man erfolgreich ist oder angenehm lebt, dass dies nur auf Kosten der Menschheit geschehen kann: "Wenn ich gewinne, muss jemand anderes verlieren." Es scheint überhaupt kein Konzept für "Win-Win" zu geben — "Wenn ich gewinne, könnt auch ihr alle anderen gewinnen: Jeder kann gewinnen!" — das die Grundlage der freien Wirtschaft ist und auf diese Weise große Teile der Welt so spektakulär aus der Armut geholt hat.
  • Es ist wichtig,... die gegenwärtige Mode der Selbsterniedrigung zurückzuweisen. Europa scheint von einer Skepsis gegenüber der Zukunft geplagt zu sein, als ob der Niedergang des Westens tatsächlich eine gerechtfertigte Strafe und eine Befreiung von seinen Fehlern der Vergangenheit wäre... "Für mich ist heute", sagt Alain Finkielkraut, "das Wichtigste die europäische Zivilisation".

Laut Pierre Manent, einem renommierten französischen Politikwissenschaftler und Professor an der Schule für Höhere Studien der Sozialwissenschaften in Paris:

"Der europäische Stolz oder das europäische Selbstbewusstsein hängen von der Ablehnung der europäischen Geschichte und der europäischen Zivilisation ab! Wir wollen nichts mit den christlichen Wurzeln zu tun haben und wir wollen den Islam unbedingt vollkommen willkommen heißen".

Manent lieferte diese Worte der französischen Monatszeitschrift Causeur. Als Beispiel nannte er die Türkei:

"Es war sehr deutlich, dass sein massiv islamischer Charakter (noch vor Erdogan) nicht nur kein Hindernis, sondern eine Art Motiv war, ein Grund, die Türkei in die EU zu bringen. Es wäre schließlich der endgültige Beweis dafür gewesen, dass sich Europa von seiner christlichen Abhängigkeit gelöst und befreit hat".

Die südliche Grenze Europas ist heute die Frontlinie für diese Massenmigration; Italien droht zu diesem Flüchtlingslager zu werden. In den letzten Monaten sah sich Italien einer Reihe von Booten aus Afrika gegenüber, die seine Politik in Frage stellten: zuerst die Sea Watch 3, dann die Open Arms und schließlich die Ocean Viking. Bis kurz vor den italienischen Wahlen im März 2018 überquerten Migranten das Mittelmeer mit einer Rate von 200.000 pro Jahr.

Da sich die europäischen Sicherheitsminister in der Mittelmeer-Flüchtlingskrise nicht einigen konnten, entschied sich der italienische Innenminister Matteo Salvini, der bereit war, sich praktisch alleine hin zu stellen, für die Schließung der italienischen Häfen. Obwohl italienische Gerichte versuchten, ihn wegen "Entführung" von Migranten anzuklagen, funktionierte Salvinis Politik und die Anlandungen brachen ein. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2019 erreichten 262 Meeresmigranten Italien, verglichen mit 5.200 im gleichen Zeitraum des Vorjahres und mehr als 13.000 im gleichen Zeitraum des Jahres 2017.

Die italienische Regierung ist am 20. August zusammengebrochen; es besteht nun die große Chance, dass eine neue einwanderungsfreundliche linke Koalition an ihre Stelle tritt. Ein Schiff, das versucht, 356 Migranten aus Afrika nach Italien zu bringen, mehr als alle, die in den ersten zwei Monaten gekommen sind, ist auf See gestrandet, seit es die Migranten zwischen dem 9. und 12. August aufgegriffen hat, während es auf die Genehmigung zur Landung wartet. In einer Pattsituation nach der anderen haben NGOs versucht, die Barrikade Salvinis gegen die illegale Einwanderung zu durchbrechen.

Ein Schiff hat es bereits getan. Die deutsche Staatsbürgerin Pia Klemp, eine der Kapitäninnen der Sea Watch 3, wurde sogar von der Stadt Paris für das Durchbrechen der italienischen Blockade geehrt. Nach Angaben der anderen deutschen Kapitänin Carola Rackete: "Mein Leben war einfach... Ich bin weiß, deutsch, in einem reichen Land geboren und mit dem richtigen Pass" — als ob ihre Entschlossenheit, Migranten zu helfen, nach ihren eigenen Worten mit dem vergleichsweise privilegierten Leben zusammenhängen würde, das sie im Westen gelebt hat.

Es gibt da eine falsche marxistische Vorstellung unter den jungen Menschen in Europa, dass, wenn man erfolgreich ist oder angenehm lebt, dass dies nur auf Kosten der Menschheit geschehen kann: "Wenn ich gewinne, muss jemand anderes verlieren." Es scheint überhaupt kein Konzept für "Win-Win" zu geben — "Wenn ich gewinne, könnt auch ihr alle anderen gewinnen: Jeder kann gewinnen!" — das einer freien Marktwirtschaft zugrunde liegt und auf diese Weise große Teile der Welt so spektakulär aus der Armut geholt hat. Viele der jungen Menschen sehen nur Barrieren, die es zu überwinden gilt. Pascal Bruckner nannte es die "Tyrannei der Schuld".

Leider ist der Preis für den kulturellen Relativismus in Europa schmerzhaft sichtbar geworden. Der Zerfall der westlichen Nationalstaaten ist jetzt eine echte Möglichkeit. Multikulturalismus — aufgebaut auf dem Hintergrund von Bevölkerungsrückgang, massiver Entchristianisierung und kultureller Selbstverleugnung — ist nichts anderes als eine Übergangsphase, die zu einer Fragmentierung des Westens zu führen droht. Als Gründe dafür nannte der Historiker David Engels "Massenmigration, die Alterung der Bevölkerung, Islamisierung und die Auflösung von Nationalstaaten".

Die Massenmigration hat bereits die Einheit und Solidarität der westlichen Gesellschaften untergraben und — kombiniert mit der Dämonisierung Israels in der Hoffnung, preiswertes Öl zu erhalten und Terrorismus zu verhindern — den politischen Konsens nach 1945 destabilisiert.

Die Politik der offenen Türen von Bundeskanzlerin Angela Merkel — "Wir schaffen das" — führte zu einer rechten Partei in ihrem Parlament. Die Alternative für Deutschland (AfD) führt nun die Wahlen bei den Landtagswahlen in der ehemaligen DDR an. Die Französische Sozialistische Partei, die das Land unter Präsident François Hollande regierte, verschwindet nun. Die Brüsseler Diktate über Einwanderung und Quoten haben die Einheit Europas zerbrochen und zur virtuellen "Abspaltung" der Visegrad-Länder (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) geführt. Die Migrations-Utopie in Schweden brachte eine populistische rechte Partei ins Parlament, und mit der Ankunft einer halben Million illegaler Einwanderer rückte die einst marginale Liga von Matteo Salvini an die Spitze des italienischen politischen Establishments.

Diese Liste enthält noch nicht einmal Brexit, das britische Votum, die EU zu verlassen. Laut dem deutschen Journalisten Jochen Bittner, der letztes Jahr in der New York Times schrieb:

"Ende 2015 begann die Leave-Kampagne mit dem Aufhängen von Plakaten, die den Exodus von Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern über den Balkan zeigten und sie mit Slogans wie "Breaking Point" und "Take Back Control" verzierten. Als Frau Merkel eine Politik der offenen Tür verkündete, traf die Botschaft Millionen von besorgten Briten und Europäern. Nicht von ungefähr begann um diese Zeit die Unterstützung für Brexit zu steigen".

Anstatt andauernd über "Populismus" und "Nationalismus" rumzuheulen, könnte Europa seine Entscheidung auch überdenken?

Gegenwärtig errichtet das Europa, das versprochen hat, nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 den Bau weiterer Mauern zu vermeiden, eine nach der anderen, um sich vor einer beispiellosen Situation zu schützen. Es gibt die 15 Meter hohe spanische Barriere in Ceuta und Melilla, den ungarischen Wall von Premierminister Viktor Orbán, einen im französischen Calais, einen Zaun, den Österreich an der Grenze zu Italien geplant hat, einen Zaun, den Slowenien an der Grenze zu Kroatien und den Zaun, den Nordmazedonien an der Grenze zu Griechenland bauen will.

Ob es einem gefällt oder nicht, Europa scheint eine existenzielle kulturelle Bedrohung durch diese großen Migrationsströme zu spüren. Es gibt nicht nur den Druck der illegalen Einwanderung, sondern auch den Druck der legalen Einwanderung. Mehr als 100.000 Menschen haben 2017 in Frankreich Asyl beantragt, eine "historische" Zahl, und mehr als 123.000 Anträge im Jahr 2018. In Deutschland gab es 2018 200.000 Asylanträge.

Diese Masseneinwanderung verändert die innere Zusammensetzung Europas. In Antwerpen, der zweitgrößten Stadt Belgiens und der Hauptstadt Flanderns, sind die Hälfte der Kinder in Grundschulen muslimisch. In der Region Brüssel können Sie sich einen Eindruck von der Veränderung verschaffen, indem Sie den Besuch von Religionsunterricht in Grund- und Mittelschulen studieren: 15,6% besuchen den katholischen, 4,3% den protestantischen und orthodoxen, 0,2% den jüdischen und 51,4% den islamischen Religionsunterricht (12,8% den säkularen "Ethik"-Kurs). Ist jetzt klarer, was in der Hauptstadt der Europäischen Union passieren wird? Wir sollten uns nicht wundern, dass die Einwanderung auf der Liste der Sorgen der belgischen Bevölkerung ganz oben steht.

Marseille, die zweitgrößte Stadt Frankreichs, ist bereits zu 25% muslimisch. Rotterdam, die zweitgrößte Stadt der Niederlande, ist 20% muslimisch. Birmingham, die zweitgrößte Stadt Großbritanniens, ist zu 27% muslimisch. Es wird geschätzt, dass in einer Generation ein Drittel der Wiener Bürger muslimisch sein wird. "Schweden befindet sich in einer Situation, in der sich noch nie ein modernes Land im Westen befunden hat", bemerkte Christopher Caldwell. Laut dem Pew Research Center könnte Schweden bis 2050 durchaus 30% muslimisch sein; und 21% muslimisch für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Zustrom von Einwanderern ganz und gar aufhört. Heute haben 30% der schwedischen Babys im Ausland geborene Mütter. Die Stadt Leicester in Großbritannien ist derzeit zu 20% muslimisch. In Luton sind von den 200.000 Einwohnern 50.000 Muslime. Der größte Teil des Bevölkerungswachstums in Frankreich zwischen 2011 und 2016 wurde durch die großen Ballungsgebiete des Landes verursacht. An der Spitze stehen Lyon, Toulouse, Bordeaux und der Pariser Raum, so eine Studie, die vom französischen Nationalinstitut für Statistik und Wirtschaftsstudien veröffentlicht wurde. In Lyon gibt es etwa 150.000 Muslime von 400.000 Einwohnern. Laut einem Artikel tragen 18% der Neugeborenen in Frankreich einen muslimischen Namen. In den 1960er Jahren lag die Zahl bei 1%.

Im extremsten Szenario wird der Anteil der Muslime in Europa im Jahr 2050 wie folgt geschätzt: Frankreich (18%), Großbritannien (17,2%), Niederlande (15,2%), Belgien (18,2%), Italien (14,1%), Deutschland (19,7%), Österreich (19,9%), Norwegen (17%). 2050 ist nur knapp hinter dem Horizont. Was also ist in zwei oder drei Generationen zu erwarten, wenn der verstorbene Historiker Bernard Lewis sagte, dass Europa "spätestens" islamisch sein würde?

Leider weigert sich die europäische Mentalität, sich der Realität zu stellen, als ob die Herausforderung zu ernst wäre, um sie anzugehen. "Die unaufhaltsam fortschreitende Entwicklung dieses Systems lässt mich an einen Tee an Bord der Titanic denken", schreibt der bekannte französische Philosoph Alain Finkielkraut.

"Es wird nicht dadurch verhindert, dass man die Augen vor der Tragödie verschließt. Wie wird Frankreich in fünfzig Jahren aussehen? Wie werden die Städte Mulhouse, Roubaix, Nantes, Angers, Toulouse, Tarascon, Marseille und das gesamte Departement Seine Saint-Denis aussehen?"

Wenn sich die Bevölkerung verändert, folgt die Kultur. Wie der Autor Éric Zemmour betont, "wird aus Quantität nach einer bestimmten Zahl Qualität".

Während die Macht des europäischen Christentums von einer demographischen und kulturellen Klippe zu stürzen scheint, macht der Islam große Fortschritte. Es geht nicht nur um Einwanderung und Geburtenraten, es geht auch um Einfluss. "Im September 2002 nahm ich an einem Treffen der Kulturzentren der führenden Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in Brüssel teil", schrieb der deutsch-syrische Intellektuelle Bassam Tibi, emeritierter Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen.

"Die Konferenz fand unter dem Motto "Penser l'Europe" ['Europe denken'] unter dem Titel "Islam in Europa" statt. Dort war ich beunruhigt, als Tariq Ramadan von Europa als 'dar al-Shahada' sprach, d.h. Haus des islamischen Glaubens. Das anwesende Publikum war alarmiert, verstand aber die Botschaft von der Wahrnehmung Europas in einer islamistischen Denkweise als Teil des Hauses des Islam nicht. Wenn Europa nicht mehr als 'dar al-Harb'/Haus des Krieges wahrgenommen wird, sondern als Teil des friedlichen Hauses des Islam, dann ist dies kein Zeichen der Mäßigung, wie einige fälschlicherweise annehmen: Es ist die Mentalität einer Islamisierung Europas..."

Die gute Nachricht ist, dass nichts in Stein gemeißelt ist. Die Europäer könnten immer noch selbst entscheiden, wie viele Einwanderer ihre Gesellschaft braucht. Sie könnten eine Lösung finden, die kohärent und nicht chaotisch ist. Sie könnten ihr humanistisches Erbe noch einmal neu entdecken. Sie könnten wieder Kinder bekommen und ein echtes Integrationsprogramm für die bereits in Europa lebenden Einwanderer starten. Doch keiner dieser Schritte, die notwendig sind, um die Transformation großer Teile des Kontinents und seinen Zusammenbruch zu verhindern, findet statt.

Es ist wichtig, auf die Prognose von Pierre Manent zu hören und die aktuelle Mode der Selbsterniedrigung zurückzuweisen. Europa scheint von einer Skepsis gegenüber der Zukunft geplagt zu sein, als ob der Niedergang des Westens tatsächlich eine gerechtfertigte Strafe und eine Befreiung von seinen Fehlern der Vergangenheit wäre. Ja, viele Fehler mögen schrecklich gewesen sein, aber sind sie wirklich so viel schlimmer als die Fehler vieler anderer Länder, wie Iran, China, Nordkorea, Russland, Mauretanien, Kuba, Nigeria, Venezuela oder Sudan, um nur einige zu nennen? Noch wichtiger ist, dass zumindest der Westen, im Gegensatz zu vielen anderen Orten, versucht hat, seine Fehler zu korrigieren. Am wichtigsten ist es, eine Überkorrektur — und in eine schlimmere Situation zu geraten als vorher — zu vermeiden.

"Für mich ist heute", so Finkielkraut, "das Wichtigste die europäische Zivilisation".

 

Gatestone Institute - Giulio Meotti, Kulturredakteur bei Il Foglio, ist ein italienischer Journalist und Autor. - Übersetzt von Daniel Heiniger


Autor: Gatestone Institute
Bild Quelle: iStock


Sonntag, 08 September 2019