Frankreichs oberflächliche Auseinandersetzungen mit gewalttätigen Muslim

Frankreichs oberflächliche Auseinandersetzungen mit gewalttätigen Muslim


Frankreich hat unlösbare Probleme mit Teilen seiner muslimischen Bevölkerung.

Frankreichs oberflächliche Auseinandersetzungen mit gewalttätigen Muslim

Von Dr. Manfred Gerstenfeld

Wahrscheinlich gibt es keine akzeptablen Maßnahmen innerhalb des Rahmenwerks einer liberalen Demokratie, die angemessen mit dieser Konfrontation umgehen kann, selbst wenn es den politischen Willen gäbe das zu tun.

Präsident Emmanuel Macron ist sich dieses Problems seit Jahren bewusst gewesen. Er hat sich deutlich dafür ausgesprochen, dass die Regierung sich mit den damit zusammenhängenden Fragen beschäftigt. Dennoch hat er vor Ort relativ wenig getan. Derzeit bieten die Probleme der Pandemie eine bequeme Ausrede für Untätigkeit.

In den letzten Wochen übernahm allerdings die Realität. Am16. Oktober wurde in Conflas-Sainted-Honorine, einem Vorort nordwestlich von Paris, ein Oberschullehrer ermordet. Er wurde von einem 18-jährigen Muslim mit einem großen Messer geköpft. Das Opfer hatte seinen Schülern umstrittene Karikaturen des Propheten Mohammed von Charlie Hebdo gezeigt.[1]

Der Vater eines der muslimischen Schüler wütete deswegen im Internet. Er wurde vom zukünftigen Mörder kontaktiert, dem Sohn eines tschetschenischen Immigranten, der vor mehr als 10 Jahren nach Frankreich gekommen war. Dieser junge Mann bezahlte einige Schüler dafür ihm den Lehrer zu zeigen, damit er den Richtigen ermordete. Der Mörder wurde hinterher von der Polizei erschossen.

Dem folgte ein öffentlicher Aufschrei. Macron und seine Regierung begriffen, dass zügig gehandelt werden muss. Ein Regierungsprogramm wurde angekündigt, das aus Dutzenden Razzien und der Verhaftung von Einzelpersonen sowie der Auflösung von ein paar Muslimverbänden mit Verbindungen zum radikalen Islam bestand. Eine davon war das „Scheikh Yassin-Kollektiv“, benannt nach dem Gründer der Terrororganisation Hamas. Frankreichs Innenminister Gerard Darmanin sagte, der Vorsitzende, Abdelhakim Sefrioui, gab eine Fatwa gegen den Lehrer aus.[2] Darüber hinaus wurde die Ausweisung einer Reihe radikaler Asylsuchender angekündigt.[3]

Es folgten weitere Vorfälle. Der schwerste war ein Terroranschlag am 29. Oktober in Nizza. Ein Tunesier tötete drei Menschen. Einen weiteren Strang der Gewalt gab es, als ein armenisches Denkmal nahe Lyon von pro-türkischen Parolen und Inschriften mit den Namen von Grauen Wölfen, einer extremistischen türkischen Organisation, versehen wurde.[4]

Im Hintergrund gab es bereits zur Zeit der Enthauptung des Lehrers mindestens einen bedeutenden Grund für Macron zu handeln. Die nächsten Präsidentschaftswahlen werden 2022 stattfinden. Wie die Dinge zur Zeit stehen, scheint es so, dass – wie bei der Wahl 2017 – Macron und Marine Le Pen, die Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei Nationale Sammlung in die Stichwahl gehen werden.

Nach dem Mord gab Le Pen eine Pressekonferenz. Sie sagte, Frankreich brauche Kriegsrecht, um „eine organisierte und bereits bestehende Truppe“ zu bekämpfen. Le Pen fügte hinzu, dass Macron eine unzureichende und anachronistische Einhegungsstrategie vorgeschlagen habe, während die Lage einer Strategie der Rückeroberung erfordere.[5]

Macron war ein Vorzeigeschüler des französischen akademischen Elite-Establishments. Er ist weit intelligenter und sachkundiger als Le Pen. Macron ist zudem ein besserer Diskutant, wie in der Stichwahl-Debatte während der Wahl von 2017 deutlich wurde. Doch bei einer zukünftigen Debatte wird Le Pen ein enormes Argument für sich haben: Es gibt eine große Bedrohung für die fundamentalen Werte und Gesellschaft, die aus einem beträchtlichen Teil der im Land lebenden muslimischen Gemeinschaft kommt. Es könnte sogar sein, dass sie das Wort „Teil“ streicht.

Die regelmäßig zur Zahl der Muslime in Frankreich propagierte Schätzung lautet 6%. Das ist höchstwahrscheinlich zu niedrig angesetzt. In einer Debatte kann Le Pen sagen: „Sie haben viel vom Problem mit den radikalen Muslimen geredet und Sie sind damit nicht strukturell umgegangen.“ Sie kann viele Beispiele anführen, weil die Zahl der Ghettos in Frankreich – fast komplett von Muslimen bevölkert – weiter auf 750 geschätzt wird und nicht gesunken ist. Die Behörden haben große Probleme diese sogenannten „No-Go-Areas“ zu betreten. Jeder weitere Vorfall ab heute bis zu den Wahlen kann von Le Pen genutzt werden, um ihre Sache zu stärken.

Es gibt zwei Stufen der Überlegung, die in Bezug auf Le Pens Vorschlag und ihre Vereinbarkeit mit dem französischen Recht aufkommen. Die erste ist, dass innerhalb der Regeln einer liberalen Demokratie gewalttätige Muslime vermutlich nicht effektiv bekämpft werden können. Grundlegend könnte es im Zweifelsfall durchaus sein, dass im notwendigen Kampf gegen radikale Muslime eine Mehrheit der Franzosen es vorzieht außerhalb der von der liberalen Demokratie gesetzten Grenzen zu handeln.

Viele Jahre lang ist in Europa die zum Teil abwegige Idee propagiert worden, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen Muslimen und Islamisten gibt. In diesem Konzept werden Islamisten als Anhänger des politischen Islam definiert. Andere religiöse Muslime konzentrieren sich auf die spirituellen Aspekte des Islam. In Wirklichkeit ist der Unterschied weit weniger klar. Muslimische Bevölkerungen zeigen ein durchgehendes Muster. Am einen Extrem befinden sich Leute, die erklären, sie seien Muslime, weil sie als solche geboren wurden. Ihre Bindung an den Islam endet damit in der Praxis. Am ganz anderen Ende gibt es diejenigen, die glauben, der Islam lehre die Eroberung der Welt – sei es mit dem Wort oder mit dem Schwert.

Die Unterschiede zwischen den Extremen sind zwar gewaltig, aber es gibt Bewegung entlang dieser Linien. Der Mörder des Lehrers war kein bekannter Radikaler. Er war in den letzten zehn Jahren, seit er und seine Familie in Frankreich wohnten, nicht als solcher identifiziert worden. Unter den Millionen Muslimen im Land kann das kein isolierter Fall sein. Einige derer, die heute nicht gewalttätig sind, können schnell radikalisiert werden und umgekehrt. Ein zusätzlicher Faktor, der vermutlich bei der Radikalisierung eine Rolle spielt, ist die hohe Arbeitslosigkeit bei jungen Muslimen.

Die Rolle grundlegender französischer Werte ist ebenfalls sehr wichtig. Trennung von Staat und Religion ist ein Schlüsselelement der Identität der französischen Gesellschaft. Somit hat der Schutz des säkularen Staates hohe Priorität. Die Schriftstellerin Caroline Fourest – eine langjährige Kritikerin vieler Aspekte des Islam – hat vor kurzem geschrieben, dass Frankreich sein Observatorium für Säkularismus braucht, „die Vergiftungskampagnen überwachen muss, statt sie zu schützen“.[6]

Wenn Frankreich beginnt noch aktiver gegen radikale Muslime vorzugehen, könnte das zu einer ganzen Bandbreite stärkerer Reaktionen aus muslimischen Ländern führen. Die Türkei, die bereits angespannte Beziehungen zu Frankreich hat, ist einer der Kandidaten hier zum Anführer zu werden. Präsident Recep Tayyip ErdoÄŸan hat gesagt, Macron benötige eine Überprüfung seiner geistigen Gesundheit. Aktuell gibt es einige Boykotte französischer Produkte in der muslimischen Welt.[7] Weit schlimmer war die Äußerung des ehemaligen malaysischen Premierministers Mohamad Mahathir: „Die Muslime haben das Recht wütend zu sein und Millionen Franzosen wegen der Massaker der Vergangenheit zu töten.“[8]

Zahlreiche Autoren in Nachbarländern haben herausgestellt, dass der Einfluss der Enthauptung und die ihr dort erteilten Öffentlichkeit unbedeutend waren. Das ist ein Indikator dafür, wie eingeschränkt das europäische Bewusstsein in diesem wichtigen Bereich ist. Die Tatsache, dass es Probleme radikaler und gewalttätiger Muslime auch in mehreren anderen europäischen Ländern gibt, bietet einen zusätzlichen Gesichtspunkt. Dennoch steht Frankreich an vorderster Front der Herausforderung, die radikale Muslime für die liberale Demokratie darstellen.

Die aktuellen Scharmützel der französischen Regierung mit radikalen Muslimen werden langfristig als nicht mehr denn eine Fußnote in einem gewaltigen, lang hingezogenen Kampf betrachtet werden. Dabei handelt es sich um einen Kampf, für den ein Großteil der Grundlagenforschung nicht erledigt wurde. Jerome Forquet, einer der führenden gesellschaftspolitischen Kommentatoren, hat das prägnant formuliert: „Ein Rennen hat begonnen; wegen der ideologischen Blindheit, Fehleinschätzung oder Angst die Dinge beim Namen zu nennen, ist bereits viel Zeit verloren worden.“[9]

[1] www.bbc.com/news/world-europe-54573356

[2] http://www.timesofisrael.com/head-of-pro-hamas-group-and-school-parent-said-behind-fatwa-on-beheaded-teacher/

[3] www.politico.eu/article/macron-brandishes-actions-against-radical-islam-in-face-of-criticism/

[4] www.bbc.com/news/world-europe-54787028

[5] http://www.politico.eu/article/marine-le-pen-sees-political-opening-after-teacher-beheading-in-france/

[6] http://www.marianne.net/agora/vous-naurez-pas-nos-tetes

[7] http://www.bbc.com/news/world-europe-54683738

[8] http://www.independent.co.uk/news/world/europe/muslims-france-malaysian-pm-mahathir-mohamad-

[9] www.lefigaro.fr/vox/societe/jerome-fourquet-comprendre-la-pyramide-de-l-islamisme-radical-20201021, http://www.crif.org/fr/revuedepresse/france-jerome-fourquet-comprendre-la-pyramide-de-lislamisme-radical

 

Übersetzt von Heplev


Autor: Dr. Manfred Gerstenf
Bild Quelle: ActuaLitté, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons


Dienstag, 10 November 2020