Tödliches Erbe auf dem Meeresgrund: Forscher finden über 1000 Atommüll-Fässer im AtlantikTödliches Erbe auf dem Meeresgrund: Forscher finden über 1000 Atommüll-Fässer im Atlantik
Forscher entdecken über 1000 Atommüll-Fässer im Atlantik – und das ist erst der Anfang. Eine alte Umweltsünde kommt zurück an die Oberfläche.
Sie liegen tausende Meter tief, vergessen, rostend – und brandgefährlich. Mitten im Nordostatlantik haben Wissenschaftler kürzlich über 1000 Fässer mit radioaktivem Abfall entdeckt. Nicht gestrandet nach einem Unglück. Nicht dort durch ein Versehen gelandet. Sondern ganz offiziell versenkt – von Staaten, die es damals besser hätten wissen müssen. Die Meere wurden zur stillen Müllhalde, und nun beginnt eine verdrängte Wahrheit, an die Oberfläche zu dringen.
Zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren warfen Industrienationen ihren nuklearen Abfall systematisch ins Meer. Die Tiefsee, so dachte man, sei weit weg von allem Menschlichen – kalt, dunkel, tief, tot. Dass genau dort empfindliche Ökosysteme existieren, dass sich Strahlung durch Nahrungsketten schleicht und zurück in unsere Welt kommt, ignorierte man. Oder es war schlicht egal.
Foto © Greenpeace / Pierre Gleizes
Heute schätzen Fachleute, dass allein im Nordostatlantik rund 200.000 Fässer mit radioaktivem Inhalt liegen. Niemand weiß genau, wo. Niemand weiß, wie viele schon undicht sind. Und niemand weiß, wie viel Schaden bereits angerichtet wurde.
Ein internationales Forscherteam will nun endlich Antworten. An Bord des Forschungsschiffs L’Atalante suchen Wissenschaftler seit Mitte Juni mit ferngesteuerten Tauchrobotern nach den gefährlichen Altlasten – im sogenannten Westeuropäischen Becken, einem abgelegenen Tiefseegraben im Nordatlantik. Gesteuert werden die Roboter aus über 3000 Metern Entfernung. Sie filmen, sammeln Proben, erstellen eine Karte. Und sie finden, was jahrzehntelang niemand sehen wollte.
Über 1000 rostige Fässer wurden schon geortet. Viele liegen einzeln, einige in Haufen – als hätte jemand Müllsäcke in eine dunkle Ecke geworfen. Mit an Bord sind auch deutsche Forscher vom Thünen-Institut in Bremerhaven. Sie untersuchen, wie sich die Strahlung auf Boden, Wasser und Meerestiere auswirkt. Denn klar ist: Diese Fässer strahlen nicht in einer Parallelwelt. Sie strahlen in unsere. Was im Tiefseewasser beginnt, erreicht irgendwann auch Küsten, Fischbestände und Lebensmittel.
Besonders erschreckend: Erst 1993 wurde die Praxis überhaupt verboten. Jahrzehntelang schütteten Länder wie Frankreich, Großbritannien, die USA und Deutschland ihren atomaren Müll in die Meere – legal. Dabei war das Wissen über radioaktive Langzeitwirkungen längst vorhanden. Doch Verantwortung war ein teures Gut. Und die Ozeane konnten sich nicht wehren. Foto /Karte: Projekt NODSSUM 2025/cnrs
Jetzt ist der Preis dafür zu zahlen – von uns allen.
Die Expedition läuft noch bis zum 11. Juli. Danach beginnt die Auswertung der Daten. Doch schon jetzt ist klar: Der Müll liegt nicht nur dort unten. Er liegt auch in unserer Geschichte, in unserer Gleichgültigkeit, in der bequemen Entscheidung, Probleme zu versenken, statt sie zu lösen.
Was folgen müsste, wäre ein globales Programm zur sicheren Bergung, zur Entsorgung nach heutigen Standards – oder zumindest ein lückenloses Monitoring. Doch wer soll zahlen? Wer ist verantwortlich? Und wer entscheidet, wann aus einer Altlast eine Katastrophe wird?
Noch ist es nicht zu spät, diesen dunklen Teil unseres industriellen Erbes ernst zu nehmen. Doch die Uhr tickt – und der Ozean vergisst nicht.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: SIbuel et al.1985/cnrs.rf
Freitag, 27 Juni 2025