Verhandlungen in Istanbul, Bomben auf Odessa: Putins doppeltes SpielVerhandlungen in Istanbul, Bomben auf Odessa: Putins doppeltes Spiel
Während in Istanbul über Austauschlisten diskutiert wird, brennen in Odessa Wohnhäuser, Märkte – und ein Stück Weltkulturerbe.
Kaum hatten ukrainische und russische Delegierte in Istanbul den Verhandlungstisch verlassen, heulten in Odessa wieder die Sirenen. Die Bilanz dieser Nacht: Brände in der historischen Altstadt, Verletzte, zerstörte Wohnhäuser – und ein vernichteter Markt im Herzen der Stadt. Seit Januar 2023 zählt Odessas Altstadt offiziell zum UNESCO-Weltkulturerbe. In Putins Krieg zählt das nichts. Es war nicht der erste Angriff auf Odessa, aber einer der symbolträchtigsten. Wer am Mittwoch noch glaubte, ein baldiger Frieden sei greifbar, wurde nur Stunden später eines Besseren belehrt.
Während in der Türkei Vertreter beider Länder über humanitäre Gesten sprachen – Gefangenenaustausch, Bergung von Toten, Listen vermisster Kinder –, sprach die russische Luftwaffe eine andere Sprache. Sie zielte nicht auf militärische Einrichtungen, sondern auf Märkte, Wohnungen, eine Tankstelle – mitten in der Nacht. Drei Menschen wurden verletzt, Rettungskräfte suchen noch immer nach Vermissten. Dass ausgerechnet die kulturelle Seele Odessas, die Jahrhunderte überdauerte, nun von Putins Drohnen niedergebrannt wurde, ist eine zynische Antwort auf jedes Gesprächsangebot.
Odessa ist mehr als ein geografischer Punkt. Es ist ein Symbol europäischer Geschichte – jüdisch, russisch, ukrainisch, kosmopolitisch. Wer diese Stadt angreift, trifft nicht nur die Ukraine, sondern ein Stück kollektives Gedächtnis Europas. Seit Beginn der Invasion stand Odessa auf der Liste der gefährdeten Städte. Dass sie trotz alledem am Leben blieb, war Hoffnung – und nun auch ein Grund für diesen gezielten Terror. Was nicht eingenommen werden kann, wird ausgelöscht.
Gleichzeitig wurde in Tscherkassy ein Kind bei einem Raketenangriff verletzt. In Mykolajiw zerstörten russische Drohnen Lagerhallen. Selbst im russischen Staatsgebiet meldet Moskau Angriffe, offenbar ukrainischer Herkunft. Eine Eskalationsspirale, die nur einen Schluss zulässt: Die Gespräche in Istanbul waren ein taktisches Manöver, kein Schritt zum Frieden.
Der ukrainische Chefunterhändler Rustem Umerow sprach von Fortschritten auf humanitärer Ebene, jedoch von völliger Stagnation bei der Frage nach einer Waffenruhe. Russland habe ein Treffen zwischen Selenskyj und Putin „zur Vertragsunterzeichnung“ vorgeschlagen – aber ohne jede inhaltliche Annäherung. Zeitgleich fordert Moskau „kurze Waffenstillstände“ von 24 bis 48 Stunden, um Tote zu bergen. Ein zynisches Zeitfenster, das nicht Frieden bringt, sondern Verwüstung planbar macht.
Auch der Umgang mit entführten Kindern – über 300 mutmaßlich nach Russland verschleppte Minderjährige – wird in diesen Gesprächen zu einer weiteren Leerstelle. Moskau bezeichnet sie als „geschützt“, Kiew als Opfer einer Deportation. Dass ausgerechnet dieser Punkt als humanitärer Fortschritt verkauft werden soll, ist ein zivilisatorischer Offenbarungseid.
Wer ernsthaft auf eine Verhandlungslösung setzt, darf sich nicht von der Rhetorik täuschen lassen. Die russische Seite signalisiert Gesprächsbereitschaft – mit Bomben. Der Angriff auf das Weltkulturerbe von Odessa ist kein „Unfall“ oder „Kollateralschaden“, sondern eine Botschaft: Alles, was die Ukraine an Identität, Kultur und Geschichte besitzt, steht zur Disposition.
Was bleibt, ist ein weiterer Abend, an dem Rauch über Odessa steht. Und ein neuer Tag, an dem die Welt auf Verhandlungstexte blickt, während in der Ukraine Häuser einstürzen. Man muss diese Gleichzeitigkeit benennen – und aushalten. Sonst wird auch das, was die Gespräche retten wollen, eines Tages nur noch Asche sein.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot X
Donnerstag, 24 Juli 2025