Über 1.000 neue Namen von Babyn-Jar-Opfern – Erinnerung an eine ausgelöschte Welt

Über 1.000 neue Namen von Babyn-Jar-Opfern – Erinnerung an eine ausgelöschte Welt


Mehr als 80 Jahre nach dem Massaker von Babyn Jar sind weitere 1.031 Opfer identifiziert worden. Das Holocaust-Memorial in Kiew präsentierte die Ergebnisse nach mehrjähriger Forschungsarbeit – begleitet von Gedenkzeremonien in Jerusalem und in der Ukraine. Damit steigt die Zahl der namentlich bekannten Toten auf knapp 30.000.

Über 1.000 neue Namen von Babyn-Jar-Opfern – Erinnerung an eine ausgelöschte Welt

Mehr als 80 Jahre nach dem Massaker von Babyn Jar sind weitere 1.031 Opfer identifiziert worden. Das Holocaust-Memorial in Kiew präsentierte die Ergebnisse nach mehrjähriger Forschungsarbeit – begleitet von Gedenkzeremonien in Jerusalem und in der Ukraine. Damit steigt die Zahl der namentlich bekannten Toten auf knapp 30.000.

Das Massaker von 1941

Am 29. und 30. September 1941, wenige Tage nach der Einnahme von Kiew durch die deutsche Wehrmacht, trieben SS-Einsatzgruppen, unterstützt von Wehrmachtseinheiten, ukrainischer Polizei und Kollaborateuren, mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder an die Schlucht von Babyn Jar am Rande der Stadt.

Unter dem Vorwand einer „Umsiedlung“ mussten sie ihre Wertsachen abgeben, sich entkleiden und wurden in Gruppen an den Rand der Schlucht geführt. Dort erschossen die Täter sie systematisch. Innerhalb von zwei Tagen verwandelte sich die Schlucht in ein Massengrab. In den folgenden Monaten wurden weitere Tausende ermordet: Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, Patienten psychiatrischer Anstalten sowie Widerstandskämpfer. Insgesamt fielen zwischen 1941 und 1943 bis zu 100.000 Menschen Babyn Jar zum Opfer.

Schicksale hinter den Zahlen

Von den nun identifizierten 1.031 neuen Namen waren 301 Säuglinge, über 5.300 Kinder und Jugendliche. Das jüngste Opfer war drei Tage alt, das älteste 104 Jahre. Viele Datensätze konnten erstmals mit Details ergänzt werden: Wohnorte, familiäre Zusammenhänge, Berufe oder Hinweise auf das genaue Todesdatum.

„Hinter jedem Namen steht ein unvollendetes Leben“, erklärte Memorial-Leiterin Anna Furman. „Gedichte, die nie geschrieben wurden, Musik, die nie erklang, Kinder, die nicht geboren wurden.“ Die Rückgabe der Namen sei ein Akt der Gerechtigkeit – und ein Zeichen, dass die Täter ihr Ziel nicht erreicht haben.

Jahrzehntelanges Schweigen

Nach dem Krieg aber setzte nicht sofort Aufarbeitung ein. Im Gegenteil: Unter der sowjetischen Herrschaft wurde das Massaker jahrzehntelang verschwiegen. Offiziell war von „Opfern des Faschismus“ die Rede, ohne zu benennen, dass es sich vor allem um Juden handelte.

Auch die Gedenkkultur wurde unterdrückt. An der Schlucht entstand zunächst kein Denkmal für die jüdischen Opfer, sondern ein sowjetisches Monument für „gefallene Bürger Kiews und sowjetische Soldaten“. Erst in den 1960er Jahren wagten Dichter wie Jewgeni Jewtuschenko und Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch, das Schweigen zu brechen – gegen erheblichen Widerstand. Für die jüdischen Gemeinden der Ukraine blieb Babyn Jar über Jahrzehnte ein Symbol der erzwungenen Sprachlosigkeit.

Erst nach der Unabhängigkeit der Ukraine begann eine offene Aufarbeitung. Archive wurden geöffnet, internationale Kooperationen ermöglicht, und das Memorial-Center wurde gegründet, um die Erinnerung dauerhaft zu sichern.

Erinnerung trotz Bedrohungen

Auch heute bleibt die Gedenkstätte nicht unberührt. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie verletzlich Orte der Erinnerung sein können: Schon in den ersten Monaten schlugen Geschosse unweit des Areals ein. Für die Verantwortlichen ist das ein zusätzlicher Antrieb, ihre Arbeit fortzuführen – weil Erinnerung nie als selbstverständlich betrachtet werden darf.

Unabhängig von aktuellen politischen Konflikten macht die Forschung des Memorials deutlich: Das Massaker von Babyn Jar war nicht nur ein historisches Ereignis, sondern eine Zäsur, die bis heute nachwirkt. Jede neu identifizierte Person ist ein Sieg gegen das Vergessen.

Auftrag für die Zukunft

Die Arbeit des Holocaust-Memorials zeigt, dass Erinnerung lebendig bleibt, auch wenn Jahrzehnte vergangen sind. Mehr als 29.700 Opfer sind inzwischen namentlich erfasst – jedes Schicksal eine Mahnung, dass Antisemitismus, Hass und Gewalt niemals verharmlost oder verdrängt werden dürfen.

Babyn Jar steht heute nicht nur für die Vernichtung jüdischen Lebens, sondern auch für die Verpflichtung, Erinnerung zu bewahren – im Namen derer, deren Stimmen zum Schweigen gebracht wurden.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Johannes Hähle - http://history.kby.kiev.ua/publication/illu_b15.html, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=107741041


Montag, 29 September 2025

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