Jüdische Musik unerwünscht – Antisemitische Hetze stoppt Konzert in polnischer Kirche

Jüdische Musik unerwünscht – Antisemitische Hetze stoppt Konzert in polnischer Kirche


Ein Konzert zu Ehren des jüdischen Komponisten Louis Lewandowski sollte Verständigung schaffen – stattdessen triumphierten Hass und Einschüchterung. In Września siegte der Antisemitismus über Kultur, Anstand und Glauben.

Jüdische Musik unerwünscht – Antisemitische Hetze stoppt Konzert in polnischer Kirche

Was als Geste der Verständigung begann, endete in einer Kapitulation vor Hass und Drohung. In der westpolnischen Stadt Września, rund 50 Kilometer von Posen entfernt, sollte am Wochenende ein Konzert stattfinden, das an den großen jüdischen Komponisten Louis Lewandowski erinnerte – einen Sohn der Stadt, geboren 1821. Mitwirkende waren der Chor der Berliner Pestalozzi-Synagoge, geleitet vom Kantor Isidoro Abramowicz, und der polnische Organist Jakub Stefek.

Gemeinsam mit einem örtlichen Kinderchor wollten sie in der katholischen Fara-Kirche Werke Lewandowskis aufführen – Musik, die über Generationen hinweg jüdisches und christliches Erbe miteinander verbindet. Doch nach einer Welle antisemitischer Hetze wurde das gesamte Projekt abgesagt.

Hasskampagne statt Harmonie

Was folgte, war eine orchestrierte Onlinekampagne, angeführt vom rechtsextremen EU-Abgeordneten Grzegorz Braun, der den Organisatoren vorwarf, „jüdische Musik in deutscher Sprache“ in einer katholischen Kirche aufführen zu wollen. Unter seinen Anhängern kursierte das Wort „Entweihung“ – als sei die Erinnerung an jüdische Musik ein Angriff auf das Christentum selbst.

Die Drohungen waren so massiv, dass die Kinderstiftung von Września, die das Projekt organisiert hatte, alle Veranstaltungen absagen musste – Konzerte, Lesungen, Schulprojekte. „Alle Institutionen, die mit uns zusammenarbeiten, wurden mit einer Welle des Hasses überschüttet“, erklärte Stiftungspräsidentin Liliana Pylak. Betroffen seien der Bürgermeister, die Musikschule, die Kirche und sogar der Primas der katholischen Kirche Polens.

Auf der Website der Stiftung heißt es nüchtern: „Wir sagen die geplanten Veranstaltungen über das Leben von Louis Lewandowski mit großer Trauer ab. Diese Entscheidung wurde zum Schutz aller Beteiligten getroffen.“

Ein Angriff auf das gemeinsame Erbe

Für Kantor Abramowicz, der seit Jahren Konzerte in Polen gibt, war der Vorfall ein Schock. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte er der Jüdischen Allgemeinen. „Dieses Projekt stand für Zusammenarbeit zwischen Religionen, für Offenheit – und jetzt ist es zerstört.“ Er hoffe auf eine klare Reaktion der polnischen Regierung und darauf, dass die Veranstaltung zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden könne.

Dass ein Konzert zur Ehre eines jüdischen Komponisten in einer katholischen Kirche überhaupt zum Ziel solcher Wut werden konnte, zeigt, wie tief antijüdische Ressentiments in Teilen der polnischen Gesellschaft noch immer verankert sind – oft getarnt als Verteidigung religiöser Reinheit oder nationaler Ehre. Dabei war es gerade Lewandowski, der im 19. Jahrhundert Brücken schlug: Zwischen jüdischer Liturgie und europäischer Musikkultur, zwischen Synagoge und Konzertsaal.

Der katholische Journalist Tomasz Terlikowski reagierte mit ungewöhnlich klaren Worten:
„Wer die Ehre der Kirche gegen jüdische Musik verteidigen will, wirft Jesus, Maria und Josef aus ihr hinaus“, schrieb er. „Rassistischer, neopaganistischer Antisemitismus zeugt von Unwissenheit und Glaubensmangel – er hat mit dem Christentum nichts zu tun.“

Ein Spiegel Europas

Der Fall von Września ist kein isoliertes Ereignis. Er steht in einer Reihe zunehmender antisemitischer Vorfälle in Europa – von Angriffen auf Synagogen bis zu politisch motivierten Hetzkampagnen. Er zeigt, wie schnell selbst Kultur und Religion zum Schlachtfeld werden, wenn Hass das Wort übernimmt.

Es ist bezeichnend, dass der Angriff nicht aus der Anonymität kam, sondern von einem Mitglied des Europäischen Parlaments. Das Schweigen vieler polnischer Behörden zu diesem Fall ist ebenso erschütternd wie die Tatsache, dass am Ende nicht die Hetzer, sondern die Musiker weichen mussten.

Dass die Absage „zum Schutz aller Beteiligten“ erfolgte, ist eine bittere Wahrheit: Die Gefahr geht nicht mehr von der Erinnerung aus, sondern von denen, die sie zerstören wollen.

Września wollte zeigen, dass jüdisches Erbe Teil der polnischen Geschichte ist. Stattdessen wurde die Stadt zum Symbol dafür, wie brüchig dieses Erbe bleibt.
Wenn in einem EU-Mitgliedsstaat Drohungen gegen jüdische Künstler ausreichen, um ein Konzert abzusagen, dann ist das nicht nur ein polnisches Problem – es ist ein europäisches Versagen.

„Die christliche Kultur befiehlt uns, gute Werte zu schaffen, nicht zu zerstören“, schrieb die Kinderstiftung in ihrem Abschiedsstatement. Diese einfache Wahrheit scheint heute revolutionär zu sein.

Musik, die einst Brücken bauen sollte, wurde durch Lärm des Hasses übertönt. Doch sie wird wieder erklingen – vielleicht nicht in Września, aber an einem Ort, wo Mut und Menschlichkeit noch lauter sind als Angst.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Piotr1952 / fotopolska.eu, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22430021


Montag, 27 Oktober 2025

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