Empfindlich gegen Wahrheit – Europas neue Intoleranz zeigt sich an Eva Illouz

Empfindlich gegen Wahrheit – Europas neue Intoleranz zeigt sich an Eva Illouz


Die Erasmus-Universität Rotterdam hat die Soziologin Eva Illouz ausgeladen – nicht wegen ihrer Thesen, sondern wegen ihres Arbeitsplatzes in Jerusalem. Ein symbolischer Akt der moralischen Selbstgerechtigkeit, der zeigt, wie Antisemitismus heute spricht: im Namen der Sensibilität.

Empfindlich gegen Wahrheit – Europas neue Intoleranz zeigt sich an Eva Illouz

Was als Einladung zu einem wissenschaftlichen Vortrag begann, endet in einem Eklat, der viel über den Zustand europäischer Universitäten verrät. Eva Illouz, eine der bedeutendsten Soziologinnen der Gegenwart, sollte am 21. November an der Erasmus-Universität Rotterdam sprechen – über „Romantische Liebe und Kapitalismus“. Ein Thema, das zum Markenzeichen ihrer Arbeit geworden ist, analytisch, sozialkritisch, brillant. Doch das sogenannte „Erasmus Love Lab“, ein Zentrum, das sich der Erforschung zwischenmenschlicher Beziehungen verschrieben hat, empfand plötzlich „Unbehagen“.

Das Unbehagen galt nicht dem Thema, nicht der Wissenschaftlerin – sondern ihrer Identität. Illouz ist Professorin an der Hebräischen Universität Jerusalem, und allein diese Tatsache genügte, um sie wieder auszuladen. Begründet wurde der Schritt mit „Sensibilität“ angesichts des Gaza-Krieges.

Seit dem Sommer boykottiert die Erasmus-Universität offiziell mehrere israelische Hochschulen. Im Juni setzte die Leitung die Kooperation mit drei Universitäten – darunter der Hebräischen Universität Jerusalem – „bis auf Weiteres“ aus. Begründung: Man wolle vermeiden, „indirekt an Menschenrechtsverletzungen beteiligt“ zu sein. In Wahrheit ist dieser Beschluss nichts anderes als eine institutionalisierte Form von Schuldverschiebung: Statt Verantwortung für moralische Differenzierung zu übernehmen, erklärt man Israel zum Tabu.

Illouz reagierte mit einer Mischung aus Ironie und Bitterkeit. In einer E-Mail an die Organisatoren erinnerte sie daran, dass sie auch an einer europäischen Hochschule tätig und französische Staatsbürgerin sei. Doch die Antwort aus Rotterdam ließ keinen Zweifel: Ihre Verbindung zur Universität in Jerusalem sei „sehr sensibel“. Das „Love Lab Team“ habe sich daraufhin „demokratisch“ entschieden, sie wieder auszuladen.

Illouz antwortete sarkastisch: „Wie erfreulich, dass eine wirklich antisemitische Entscheidung demokratisch getroffen wurde. Viele werden sich dadurch sicher noch viel rechtschaffener fühlen.“

Mit diesem Satz entlarvte sie das Phänomen, das derzeit an vielen europäischen Hochschulen um sich greift: Antisemitismus in moralischer Verpackung. Nicht der Hass, sondern die Empfindlichkeit ist zur Waffe geworden. Wer Israel beruflich, intellektuell oder biografisch verbunden ist, wird heute nicht wegen seiner Positionen abgelehnt – sondern weil seine bloße Existenz politisch gedeutet wird.

Der Fall ist umso erschütternder, weil Illouz selbst keine Verfechterin rechter israelischer Politik ist. Sie gilt als linke Intellektuelle, hat 2021 eine Petition unterstützt, die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen mögliche Kriegsverbrechen Israels befürwortete. Gerade sie, die sich stets kritisch mit ihrer eigenen Gesellschaft auseinandersetzt, wird nun zur Zielscheibe jener, die sich selbst als moralisch überlegen betrachten.

In ihrem jüngsten Buch „Der 8. Oktober“, das beim Suhrkamp Verlag erschien, beschreibt Illouz die Kälte, mit der westliche Intellektuelle auf das Massaker der Hamas reagierten. Sie diagnostiziert eine ideologische Blindheit – einen Verlust der Empathie gegenüber israelischen Opfern, die in Teilen der akademischen Welt inzwischen als „politisch unkorrekt“ gilt. Dass nun ausgerechnet diese Autorin von einem „Love Lab“ ausgeladen wird, ist bittere Ironie: Eine Institution, die Liebe erforschen will, verweigert sie dort, wo sie am dringendsten gebraucht wird – in der Begegnung mit dem anderen.

Der Boykott von Eva Illouz ist kein Einzelfall. Er ist Ausdruck eines neuen moralischen Klimas, in dem Empörung zur Währung und Selbstbestätigung zur Religion geworden sind. Wenn „demokratische Mehrheitsentscheidungen“ über den Ausschluss jüdischer Wissenschaftler bestimmen, dann hat Europa nichts gelernt. Dann wird Antisemitismus nicht bekämpft, sondern modernisiert – akademisch, subtil, mit sauberem Gewissen.

Illouz hat dieses Gewissen durchschaut. Ihre Worte sind nicht nur eine Reaktion auf eine persönliche Kränkung, sondern ein Spiegel für eine Gesellschaft, die glaubt, man könne moralisch rein sein, indem man andere ausschließt. Rotterdam wollte Sensibilität zeigen – und offenbarte dabei, wie gefühllos Europa geworden ist.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von צחי לרנר, Attribution, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4787658


Mittwoch, 29 Oktober 2025

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