BBC im moralischen Sturzflug – jüdische Mitarbeiter klagen über systemischen AntisemitismusBBC im moralischen Sturzflug – jüdische Mitarbeiter klagen über systemischen Antisemitismus
Über 200 jüdische Angestellte werfen der BBC vor, Beschwerden über antisemitische Vorfälle jahrelang ignoriert zu haben. Nach dem Rücktritt der Führungsspitze steht der britische Rundfunk nun im Zentrum eines tiefen Glaubwürdigkeitskrisen – und einer Frage: Wer trägt Verantwortung?
Die BBC, einst Synonym für journalistische Integrität, steht vor ihrem schwersten Vertrauensbruch seit Jahrzehnten. Nach den Rücktritten von Generaldirektor Tim Davie und Nachrichtenchefin Deborah Turness erschüttert nun eine neue Enthüllung das Fundament des öffentlich-rechtlichen Senders: Mehr als 200 jüdische Mitarbeiter und frühere Beschäftigte haben die Führung des Senders öffentlich beschuldigt, über Jahre hinweg systematischen Antisemitismus innerhalb des Hauses ignoriert zu haben.
In einem Schreiben an den BBC-Verwaltungsrat werfen sie der Leitung „vorsätzliche Untätigkeit“ und „institutionelles Wegsehen“ vor. Schon im Juli des vergangenen Jahres hatten dieselben Unterzeichner – darunter Produzenten, Journalisten, Dienstleister und Spender – eine unabhängige Untersuchung gefordert. Damals hieß es, das Arbeiten als Jude in der BBC sei „nicht mehr sicher“. Ihre Forderung blieb unbeantwortet. Nun, nach weiteren Enthüllungen und den Rücktritten an der Spitze, schlagen sie erneut Alarm.
„Trotz dokumentierter Beweise für antisemitische Tendenzen – besonders in der Nachrichtenredaktion – hat die BBC keine Untersuchung eingeleitet“, heißt es in ihrem neuen Schreiben. „Wir sind noch immer eine Minderheit mit einer einfachen Bitte: Gerechtigkeit. Der antisemitische Rassismus der BBC ist jetzt öffentlich sichtbar. Wer übernimmt Verantwortung?“
Die Unterzeichner – darunter der Produzent Leo Pearlman, die frühere ITV-Managerin Claudia Rosencrantz und der Ex-BBC-Direktor Danny Cohen – beschreiben in dem Schreiben ein Klima der Angst. Wer intern Kritik an der Haltung des Senders gegenüber Israel oder jüdischen Themen äußere, laufe Gefahr, isoliert oder als „zionistischer Lobbyist“ diffamiert zu werden. Ein Vertreter der Gruppe erklärte gegenüber der Daily Mail: „Man nennt uns manipulativ, man verdreht unsere Worte, und im schlimmsten Fall werden wir öffentlich diffamiert. Es ist blanker Rassismus – und die BBC schaut weg.“
Die Vorwürfe fallen in eine Phase tiefgreifender institutioneller Krise. Der Rücktritt von Tim Davie und Deborah Turness erfolgte, nachdem ein interner Bericht des früheren Redaktionsberaters Michael Prescott schwere Mängel in der Arbeitsweise der BBC offenlegte. Der Bericht war ursprünglich wegen eines manipulierten Dokumentarfilms über Donald Trump angefordert worden, in dem durch künstlich zusammengeschnittene Passagen der Eindruck entstand, der damalige US-Präsident habe am 6. Januar 2021 persönlich zur Erstürmung des Kapitols aufgerufen. Doch Prescott deckte weit mehr auf: ein strukturelles Versagen in der redaktionellen Kontrolle, parteiische Themenauswahl – und eine systematische Schieflage in der Berichterstattung über den Krieg Israels gegen die Hamas.
In seinem Bericht spricht Prescott von „systemischer Verzerrung“ und „fehlender Bereitschaft zur Selbstkorrektur“. Besonders scharf kritisiert er die BBC Arabic, deren Berichterstattung über die Kämpfe in Gaza von politischen Vorurteilen durchzogen sei. Er wies auf Fälle hin, in denen Terroristen der Hamas nicht als solche bezeichnet, sondern als „bewaffnete Männer“ oder „Widerstandskämpfer“ tituliert wurden – während Opfer israelischer Angriffe in emotionalen Reportagen dargestellt wurden.
Diese Einseitigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch mehrere Skandale der letzten Jahre. So strahlte die BBC 2023 ein Musikprogramm aus, in dem die Band „Bob Vylan“ live „Death to IDF“ rief, ohne dass die Sendung unterbrochen wurde. In einem Kinderfilm über Gaza trat der Sohn eines Hamas-Funktionärs als vermeintlich „unabhängiger“ Interviewpartner auf. Ein BBC-Kommentator sagte in einer Sendung wörtlich, Juden würden „wegen ihres Aussehens leiden“ – eine Aussage, die intern keinerlei Konsequenzen hatte.
Hinzu kommt der Umgang mit israelischen Opfern: Die Geschichte des Überlebenden Yuval Rafael vom 7. Oktober wurde von den BBC-Nachrichten vollständig ignoriert, während Berichte über Iran als „ausgleichend“ gefeiert wurden.
Die konservative Oppositionsführerin Cami Bandook sprach im Daily Mail von einem „beschämenden Führungsversagen“. Die Tatsache, dass mehr als 200 jüdische Mitarbeiter und Spender über 18 Monate hinweg ignoriert worden seien, sei „nicht nur Nachlässigkeit, sondern moralische Bankrotterklärung“. Bandook forderte eine unabhängige Sonderkommission: „Ein öffentlich-rechtlicher Sender darf weder Extremisten decken noch Israel durch Halbwahrheiten verleumden. Die BBC hat ihre journalistischen Werte verraten – jetzt braucht es Verantwortung, und zwar von ganz oben.“
Währenddessen wächst auch der öffentliche Druck. In London wurde der Haupteingang der BBC-Zentrale über Nacht mit roter Farbe besprüht – Symbol für die Wut über eine Institution, die für viele Briten jahrzehntelang moralischer Maßstab war. Pro-israelische Demonstranten versammelten sich vor den Studios, hielten Schilder mit Aufschriften wie „Truth matters“ und „Stop BBC bias“ in die Höhe.
Für die jüdischen Mitarbeiter des Senders bleibt die Hoffnung auf Gerechtigkeit. Viele von ihnen berichten von subtiler Ausgrenzung, spöttischen Bemerkungen oder der Angst, offen ihre Identität zu zeigen. Der Satz „Ich bin Jude“ ist im Haus, das sich selbst als globaler Maßstab für Pressefreiheit versteht, zu einer riskanten Aussage geworden.
Die BBC hat bislang keine formelle Reaktion auf den Brief veröffentlicht. Ein Sprecher ließ lediglich verlauten, man „nehme die Vorwürfe ernst“ und sei „stets bemüht, Integrität und Ausgewogenheit zu wahren“. Worte, die in den Augen der Betroffenen nur noch wie eine Routineformel klingen.
Denn was auf dem Spiel steht, ist mehr als das Image einer Medieninstitution. Es ist die Glaubwürdigkeit des britischen Journalismus selbst – und die Frage, ob Antisemitismus, wenn er sich hinter intellektueller Rhetorik und journalistischem Vokabular verbirgt, nicht umso gefährlicher ist.
Die BBC steht an einem Wendepunkt. Entweder sie untersucht sich selbst ehrlich – oder sie bleibt ein Beispiel dafür, wie moralische Überheblichkeit eine Institution von innen zerstören kann.
Autor: Redaktion
Bild Quelle:
Montag, 10 November 2025