Europa taumelt: Drei Regierungen unter Druck – und keine Antworten auf die wachsende InstabilitätEuropa taumelt: Drei Regierungen unter Druck – und keine Antworten auf die wachsende Instabilität
In London, Kiew und Paris geraten zentrale Machtzentren ins Wanken. Während Großbritanniens Premier Autorität verliert, kämpft Macron mit dem Zerfall seiner Reformagenda – und in der Ukraine frisst sich eine Korruptionsaffäre bis ins Herz der Regierung.
Europa erlebt eine Woche, in der gleich drei politische Systeme auf die Probe gestellt werden. Es ist kein Zufall, dass diese Krisen parallel auftreten: Sie offenbaren die brüchige Verfassung europäischer Regierungen, die zwischen wirtschaftlicher Unsicherheit, sozialer Erschöpfung und geopolitischem Druck kaum noch belastbar wirken. In London bröckelt die Autorität des Premierministers, in Kiew trifft ein Korruptionsskandal das Land mitten im Krieg, und in Paris erlebt Emmanuel Macron einen parlamentarischen Rückschlag, der seine politische Handschrift infrage stellt.
Für Israel, das in diesen Hauptstädten zentrale Partner sieht, sind solche Entwicklungen mehr als nur innenpolitische Details. Sie entscheiden darüber, wie geschlossen – oder wie unberechenbar – Europa künftig auf internationale Herausforderungen reagieren kann.
London: Ein Premier am Rand des eigenen Machtverlusts
In Großbritannien steht Keir Starmer vor einer Situation, die für einen Premierminister erst nach anderthalb Jahren im Amt ungewöhnlich drastisch ist. Die Umfragewerte fallen seit Monaten, aus seiner Partei mehren sich offene Klagen über eine „abgekoppelte“ Führung, und selbst enge Verbündete versuchen, Distanz zu demonstrieren. Der „Dauerstress“ der britischen Innenpolitik hat sich zu einer strukturellen Krise verdichtet: Der Premier verliert die Kontrolle über die eigene Erzählung.
Auslöser der jüngsten Eskalation war ein anonymer Hintergrundbriefing, in dem Berater Starmers versicherten, er werde „bis zum letzten Moment um sein Amt kämpfen“. Damit wurde der Eindruck erweckt, er rechne selbst mit einem Sturzversuch. Diese Kommunikation traf auf eine Partei, die seit Wochen über Führungsstil, gebrochene Versprechen und unklare Prioritäten klagt. Dass zugleich der britische Botschafter in Washington wegen Verbindungen zum Epstein-Milieu abgelöst wurde und andere Kabinettsmitglieder unter Druck geraten, verstärkt die Wahrnehmung des Kontrollverlusts.
Rebellieren möchte dennoch kaum jemand offen – nicht aus Loyalität, sondern aus Kalkül. Um Starmer überhaupt herauszufordern, müssten 20 Prozent der Labour-Abgeordneten eine interne Wahl erzwingen. Dieser Schritt wäre historisch, riskant und möglicherweise selbstmörderisch für die Partei. Die Frage lautet daher weniger, ob Starmer geschwächt ist, sondern wie lange er die Illusion vollständiger Autorität noch aufrechterhalten kann. Spätestens das Haushaltsvotum Ende November wird zeigen, ob er den Kurs halten kann oder weiter ins politische Treibsand rutscht.
Kiew: Ein Korruptionsskandal zur Unzeit
Wenige Länder können sich in Kriegszeiten innenpolitische Beben leisten – die Ukraine gehört am allerwenigsten dazu. Doch genau dort hat die Enthüllung über mutmaßliche Schmiergeldzahlungen und Geldwäsche im Umfeld des Energieministeriums eine Wunde offengelegt, die weit über einzelne Akteure hinausgeht. Während Russland im Herbst und Winter die Stromversorgung gezielt angreift, sollen Regierungsmitglieder und Manager der staatlichen Atomenergiegesellschaft „Energoatom“ von Schutzprojekten für Energieknotenpunkte systematisch profitiert haben.
Dieser Skandal trifft Präsident Selenskyj in einer Phase, in der er nicht nur militärisch, sondern auch politisch um Unterstützung ringt. Westliche Regierungen verlangen seit Jahren überzeugende Fortschritte im Kampf gegen Korruption. Die Enthüllung einer Affäre in dreistelliger Millionenhöhe wirkt da wie ein Rückschritt – und sie wird in europäischen Hauptstädten mit Argusaugen verfolgt. Der Druck, glaubwürdige Transparenz herzustellen, wächst daher im In- und Ausland zugleich.
Selenskyj weiß, dass Untätigkeit keine Option ist: Er verurteilte das Vorgehen als „inakzeptabel während eines Krieges“, doch seine Reaktion muss mehr sein als Empörung. Die Glaubwürdigkeit der Regierung steht auf dem Spiel, und im Hintergrund wächst das Unbehagen über eine politische Kultur, in der alte Probleme trotz gravierender Bedrohung nicht verschwinden.
Paris: Macrons Prestigeprojekt verliert seine letzte Grundlage
Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erlebt eine der schwersten Niederlagen seiner Amtszeit. Seine Reform des Rentensystems, die bereits 2023 zu Massendemonstrationen geführt hatte, wurde im Parlament auf Eis gelegt – und das nicht für Monate, sondern bis nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit. Dass ein zentrales Projekt des Staatschefs damit faktisch beerdigt ist, unterstreicht, wie schwach seine Regierung im parlamentarischen Alltag geworden ist.
Die Abstimmung offenbart nicht nur ein Machtproblem, sondern ein Legitimationsproblem. Macrons Partei verfügt über keine stabile Mehrheit, Koalitionen sind brüchig, und selbst moderate Bündnispartner verweigern ihm zunehmend die Gefolgschaft. Wenn der Präsident vor dem Ende seiner Amtszeit kaum noch Reformen durchsetzen kann, verliert Frankreich – und mit ihm Europa – einen politischen Impulsgeber, der über Jahre hinweg Debatten geprägt hat.
Für Paris bedeutet dies eine Phase der Ungewissheit. Für Europa bedeutet es einen weiteren Machtpol, der mit sich selbst beschäftigt ist, während außenpolitische Stabilität dringend benötigt wird.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By The White House - https://www.flickr.com/photos/202101414@N05/54730976032/, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=173085422
Freitag, 14 November 2025