Irlands sicherheits­politische Selbsttäuschung: Wie ein wohlhabender EU-Staat zur größten Schwachstelle Europas wurde

Irlands sicherheits­politische Selbsttäuschung: Wie ein wohlhabender EU-Staat zur größten Schwachstelle Europas wurde


Russische Spionageschiffe, Cyberangriffe und ein Staat, der sich weigert, in Verteidigung zu investieren. Irland gilt heute als strategische Achillesferse Europas, ein Land ohne Schutzsysteme, das auf den guten Willen seiner Nachbarn vertraut und dabei zentrale Infrastruktur des Westens gefährdet.

Irlands sicherheits­politische Selbsttäuschung: Wie ein wohlhabender EU-Staat zur größten Schwachstelle Europas wurde

Seit einigen Jahren wächst die Erkenntnis, dass Irland zwar zu den reichsten Volkswirtschaften Europas gehört, sicherheitspolitisch jedoch nahezu schutzlos dasteht. Die Republik beherbergt einen Großteil der globalen digitalen Infrastruktur und liegt direkt über einem Netz transatlantischer Unterseekabel, die elementar für Finanzmärkte, Kommunikation und staatliche Systeme sind. Dennoch verfügt das Land kaum über militärische oder nachrichtendienstliche Strukturen, die diesem strategischen Gewicht auch nur annähernd gerecht werden.

Die Gefahr ist keine Theorie. Schon vor rund zehn Jahren tauchten russische Schiffe wiederholt über den Kabeltrassen vor der irischen Küste auf. Marineoffiziere des Landes sprachen damals von einem Gefühl wie zu Beginn eines neuen Kalten Kriegs. In der vergangenen Woche erschien erneut die russische Yantar, ein Schiff, das von westlichen Diensten seit langem als Plattform zur Sabotage und zum Abhören unterseeischer Infrastrukturen eingestuft wird. In der Nähe Schottlands richtete die Besatzung sogar Laserzielmarkierungen auf britische Flugzeuge, die sich dem Schiff näherten.

Für die USA, Großbritannien und die EU ist die Lage eindeutig. Würden diese Kabel beschädigt, könnten Handelssysteme ins Wanken geraten, Datenströme ausfallen und kritische Infrastruktur lahmgelegt werden. Doch Irland hat kaum Mittel, eine solche Bedrohung überhaupt zu erkennen, geschweige denn darauf zu reagieren.

Die irische Neutralität ist tief in der nationalen Identität verankert. Sie erklärt die bis heute fehlende Bereitschaft, Verteidigung ernsthaft auszubauen. Die Marine existiert erst seit 1946. Von acht Schiffen sind aktuell nur vier einsatzfähig. Es gibt weder ausgebaute Radar- noch Sonarsysteme, keine Überwachung des Meeresbodens und nicht einmal einen ausgereiften Inlandsnachrichtendienst. Drei hochrangige Offiziere aus europäischen Marinen erklärten gegenüber dem Financial Times Umfeld, die NATO könne nicht einmal klassifizierte Warnungen an Dublin weitergeben, da Irland schlicht die technischen Systeme fehle, um sie sicher zu empfangen.

Damit entsteht ein sicherheitspolitischer Abgrund. Experten beurteilen Irlands Fähigkeit, die Unterseekabel zu schützen, als nahezu nicht existent. Die geografische Lage macht das Land zu einem idealen Angriffspunkt gegen europäische Infrastruktur, ohne dass ein solcher Angriff einen NATO Bündnisfall auslösen würde.

Dennoch hält die irische Öffentlichkeit am Neutralitätsmodell fest. Die neu gewählte Präsidentin Catherine Connolly lehnt jeden militärischen Ausbau kompromisslos ab. Zwei Drittel der Bevölkerung unterstützen diese Linie. Eine Mitgliedschaft in der NATO wird ebenfalls mehrheitlich abgelehnt. Damit entsteht ein paradoxes Bild. Irland profitiert enorm von seiner Rolle in der EU und vom Milliardenvolumen internationaler Tech Konzerne. Gleichzeitig muss Großbritannien den irischen Luftraum schützen. Und Dublin ist außerstande, russische Spionageschiffe vor seinen Küsten abzuschrecken.

Die Geduld der Partnerstaaten sinkt. In Brüssel und Washington wird Irland immer offener vorgeworfen, sicherheitspolitische Verantwortung bewusst zu vermeiden. Die frühere EU Kommissarin Margrethe Vestager äußerte öffentlich, Irland dürfe keine Schwachstelle für ganz Europa darstellen. Die Kritik verstärkt sich vor allem vor dem Hintergrund, dass Irland enorme Haushaltsüberschüsse erzielt, sein Verteidigungsetat aber mit nur einem Viertelprozent des BIP zu den niedrigsten in der EU gehört.

Hinzu kommen konkrete Vorfälle. Der große Cyberangriff auf die irische Gesundheitsbehörde im Jahr 2021 zeigte, wie verwundbar das Land ist. 2022 führte ein russisches Militärmanöver vor der Küste beinahe zu einer gefährlichen Eskalation, die erst durch irische Fischer gestoppt wurde, die sich weigerten, das Gebiet zu räumen. Ende vergangenen Jahres umkreiste die Yantar stundenlang mehrere zentrale Kabelstränge im Irischen Meer. Diese Woche tauchte sie erneut in der Region auf. Großbritannien warnte bereits, militärische Optionen vorzubereiten.

Dublin versucht inzwischen gegenzusteuern, jedoch spät und langsam. Die Regierung kaufte ein Sonarsystem, das erst 2027 einsatzfähig sein wird, ein neues Radarsystem, ebenfalls erst in der Zukunft verfügbar, und zwei maritime Aufklärungsflugzeuge von Airbus, denen jedoch alle militärischen Fähigkeiten entfernt wurden, um die Neutralität nicht anzutasten. Irland sucht Partnerschaften, beteiligt sich an NATO Simulationen und bemüht sich um vorübergehende Kooperationen wie eine mögliche Integration in die militärische Northern European Task Force.

Doch die Probleme reichen tiefer. Es mangelt an Personal, an sicherheitspolitischer Kultur und sogar an grundlegenden Strukturen für Sicherheitsüberprüfungen. Ohne diese Voraussetzungen bleibt Irland kaum in der Lage, die Verantwortung zu übernehmen, die sein strategischer Standort erzwingt.

Im kommenden Jahr übernimmt Irland die rotierende EU Ratspräsidentschaft. Selten war deutlicher sichtbar, wie groß die Diskrepanz zwischen der politischen Bedeutung des Landes und seiner Fähigkeit ist, sich selbst zu schützen. Irland ist heute der Ort in Europa, an dem man westliche Infrastruktur treffen kann, ohne eine NATO Reaktion auszulösen. Es ist ein Einfallstor für Störungen, deren Folgen weit über die irischen Grenzen hinausreichen.

Der frühere Minister Ossian Smyth, zuständig für die Schutzsysteme der Unterseekabel, formulierte es trocken und klar. Man habe sich lange eingeredet, dass alle Freunde seien. Doch jetzt gebe es vieles zu schützen und niemand könne sich darauf verlassen, dass andere das für Irland erledigen. Genau dieses Erwachen kommt spät und wirkt angesichts der Bedrohungslage erschreckend zaghaft.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Houses of the Oireachtas - https://www.flickr.com/photos/54097310@N08/53642734793/, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=147234539


Donnerstag, 27 November 2025

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