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Griechenlands Schulbücher loben jüdisches Leben, verschweigen aber Antisemitismus

Griechenlands Schulbücher loben jüdisches Leben, verschweigen aber Antisemitismus


Ein neuer Bericht zeigt: Griechische Schulbücher vermitteln erstaunlich viel Wissen über Judentum und Holocaust. Doch ausgerechnet der Begriff, der Europa seit Jahrhunderten prägt und bis heute Juden bedroht, fehlt vollständig: Antisemitismus.

Griechenlands Schulbücher loben jüdisches Leben, verschweigen aber Antisemitismus

Der neue Bericht von IMPACT-se wirft ein Schlaglicht auf das griechische Bildungssystem und seine Darstellung jüdischer Geschichte. Viele Befunde sind erfreulich, einige sind brisant, und ein zentraler Punkt offenbart eine gravierende Leerstelle. Griechenlands Schulbücher beschreiben jüdisches Leben mit Respekt, behandeln den Holocaust mit Klarheit und historischer Ernsthaftigkeit, doch sie blenden den Begriff Antisemitismus komplett aus. In einer Zeit, in der Juden europaweit wieder offen angegriffen werden, wirkt diese Lücke wie ein Risiko, das man nicht übersehen darf.

Der Bericht bewertet griechische Schulbücher anhand der UNESCO-Standards für Frieden und Toleranz. Er untersucht Materialien der Grund- und weiterführenden Schulen und stellt fest, dass Griechenland jüdisches Leben erstaunlich detailliert vermittelt. Religiöse Feste, Bräuche, Synagogen, Schabbat, der Bezug zu Jerusalem, jüdische Traditionen im Jahreslauf all das wird kindgerecht und respektvoll vorgestellt. Besonders ein Lehrbuch der neunten Klasse wird explizit gelobt: Es zeigt Pessach, Schawuot, Sukkot, Purim und Chanukka mit anschaulichen Erklärungen und Bildern. Für ein europäisches Schulbuch ist das bemerkenswert und weit über dem Durchschnitt.

Auch die Darstellung der Schoa fällt differenziert aus. Lehrbücher sprechen über Deportationen, Auschwitz, das System der Vernichtung, die Endlösung, Gaskammern, die Einzigartigkeit des Holocausts und die Ermordung der griechischen Juden. Viele Texte arbeiten mit Quellen, historischen Fotografien und den Stimmen von Überlebenden, darunter Auszüge aus dem Tagebuch der Anne Frank. Ein weiteres Lehrbuch erwähnt die Rettung der gesamten jüdischen Gemeinde der Insel Zakynthos ein Kapitel, das in Europa selten unterrichtet wird und auf respektvolle Weise an griechische Zivilcourage erinnert.

Doch genau an dieser Stelle beginnt die Leerstelle. Während religiöse Inhalte gut vermittelt werden, bleiben zentrale Aspekte jüdischer Geschichte im Land erstaunlich blass. Die Jahrtausende alte Präsenz jüdischer Gemeinden in Griechenland, die Bedeutung Thessalonikis als einstige Metropole jüdischen Lebens, die Zerstörung dieser Welt durch die Deutschen vieles davon wird nur oberflächlich berührt. Dass ausgerechnet der Begriff Antisemitismus in keinem einzigen Lehrbuch vorkommt, ist mehr als eine redaktionelle Lücke. Es ist ein blinder Fleck mit Folgen.

Denn Europa erlebt derzeit einen dramatischen Anstieg antisemitischer Gewalt. Angriffe auf jüdische Einrichtungen, Beschimpfungen, Verschwörungserzählungen und offene Feindseligkeit sind in vielen Städten wieder sichtbarer geworden. Wer junge Menschen aufklären will, muss diesen Begriff erklären, historisch verorten und seine Mechanismen benennen. Ohne dieses Verständnis entsteht kein Schutz. Ohne dieses Verständnis bleibt das Lernen über das Judentum eine kulturelle Insel, isoliert von der Realität der Gefährdung jüdischen Lebens.

Ein weiteres Thema, das die Studie kritisch vermerkt, betrifft die Darstellung Israels. Sie ist minimal, bruchstückhaft und an entscheidenden Stellen unvollständig. Die Entstehung des jüdischen Staates wird nicht erwähnt. Auch die Emigration griechischer Juden nach 1945, ein prägendes historisches Ereignis für tausende Familien, taucht nicht auf. Das Ergebnis ist ein narratives Loch: Judentum wird ausführlich erklärt, der Holocaust ebenfalls – aber die nationale Wiedergeburt, die für die meisten jüdischen Familien weltweit zentrale Bedeutung hat, fehlt. Gerade in einem europäischen Kontext ist diese Auslassung folgenschwer.

Ein positives Signal setzt Griechenland dennoch. Ein problematischer Abschnitt, der Israel zuvor kollektiv anklagte und mit emotional manipulierenden Formulierungen arbeitete, wurde vollständig gestrichen. Der Text hatte Israel dafür verantwortlich gemacht, Kindern in den palästinensischen Gebieten das Leben zu zerstören, und „Intifada“ als legitimen Widerstand beschrieben. Dass diese Passage verschwunden ist, zeigt ein Bewusstsein für die Gefahr antisemitischer Narrative in Schulbüchern und die Bereitschaft, gegenzusteuern.

IMPACT-se Geschäftsführer Marcus Sheff lobte diese Entscheidung ausdrücklich. Sie zeige, dass griechische Behörden die Bedeutung einer verantwortungsvollen Pädagogik erkannt haben. Gleichzeitig betonte er die Dringlichkeit, den Begriff Antisemitismus endlich in die Lehrpläne aufzunehmen, damit Schülerinnen und Schüler verstehen, wie Judenhass entsteht, wie er sich verändert und warum er sich so hartnäckig hält.

Die Analyse macht deutlich: Griechenland ist auf einem guten Weg, wenn es um die Vermittlung jüdischer Kultur und um eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Holocaust geht. Doch solange das Wort Antisemitismus nicht vorkommt, bleibt eine entscheidende Dimension unbenannt. Und ohne diese Dimension lässt sich die Geschichte der Juden in Europa nicht verstehen  weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart.


Autor: Redaktion
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Samstag, 06 Dezember 2025

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