Iran nach dem Krieg: Angst, Wut und das Verschwinden der VergangenheitIran nach dem Krieg: Angst, Wut und das Verschwinden der Vergangenheit
Zwei Monate nach dem Ende des Krieges mit Israel herrscht in Iran eine Atmosphäre der Unsicherheit, des Misstrauens und der latenten Panik. Die militärischen Angriffe, die das Land während des Konflikts schwer erschütterten, haben nicht nur Infrastruktur und Verteidigungssysteme zerstört, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Sicherheit nachhaltig erschüttert.
Korrespondenten der New York Times erhielten exklusive Einblicke in das Leben der Menschen in Teheran in den Tagen nach dem Krieg. Die Berichte zeichnen ein Bild von Alltag zwischen Angst und Normalität: Während die Straßen und Cafés der Hauptstadt wieder belebt sind, nagt im Unterbewusstsein der Bürger die Erinnerung an Zerstörung und Tod. Viele Iraker verstehen, dass die Luftabwehrsysteme des Landes zusammengebrochen sind. Der Himmel über ihren Köpfen ist offen, die Bedrohung durch weitere Angriffe bleibt spürbar.
Die Angst geht durch alle Schichten der Gesellschaft
In den sozialen Medien Irans mehren sich die Stimmen, die eine Neubewertung der Außenpolitik fordern. Gleichzeitig gibt es nach wie vor Loyalität zum Regime, doch diese ist durch die Erschütterungen der letzten Monate geprägt von wachsender Besorgnis über die Zukunft des Landes. Für die Menschen ist klar: Der Preis des Krieges zahlen sie selbst, nicht die politischen Entscheidungsträger.
Die wirtschaftlichen Folgen verschärfen die Krise. Zerstörte Infrastruktur, internationale Sanktionen und Vertrauensverlust im Ausland haben die ohnehin fragile Wirtschaft noch weiter destabilisiert. Überall in Teheran sind die Spuren des Krieges sichtbar: zerbombte Gebäude, Straßen mit Trauerplakaten und überlebensgroße Bilder von getöteten Generälen, Wissenschaftlern und Zivilisten erinnern an die jüngsten Verluste.
Vom Trauma zur Manipulation: Die Stadt unter Beobachtung
Parallel zur wirtschaftlichen und psychologischen Belastung sorgt die Führung für weitere Einschüchterung. Seit Juni wurden mehrere Personen hingerichtet, die angeblich dem Ausland oder Israel gedient hätten. Junge Menschen in Teheran reagieren unterschiedlich: Einige suchen Flucht, Ruhe und Frieden, andere rufen offen nach Vergeltung. Graffiti auf zerstörten Betonwänden spiegeln die Wut und den Wunsch nach Krieg wider: „Ihr habt angefangen, wir werden beenden.“
Die Vernichtung der Erinnerung
Besonders schockierend ist der Umgang mit dem historischen Erbe. Auf Satellitenbildern ist zu erkennen, dass die iranischen Behörden auf dem Gelände eines Massengrabes von Regimegegnern, bekannt als „Parzelle 41“, bereits mit der Errichtung eines Parkplatzes begonnen haben. Hier ruhen geschätzt 5.000 bis 7.000 Menschen, darunter viele, die vom Regime als „religiöse Abtrünnige“ betrachtet wurden. Grabsteine wurden entfernt, Bäume bewusst getrocknet, und die gesamte Fläche wird unter Asphalt begraben.
Sahin Nasiri, Historiker an der Universität Amsterdam, beschreibt den Schritt als „gezielte Zerstörung des kollektiven Gedächtnisses“. Familienangehörige der Opfer wissen oft bis heute nicht, wo ihre Liebsten begraben sind. Die Beseitigung der Parzelle 41 erschwert jede Möglichkeit, Gerechtigkeit herzustellen oder die Wahrheit über das Schicksal der Opfer aufzudecken.
Die Kombination aus Angst, wirtschaftlicher Not, politischer Repression und der bewussten Auslöschung der Vergangenheit zeigt ein Land, das innerlich zersplittert ist. Trotz offizieller Feierlichkeiten zum Kriegsende bleibt die Unsicherheit allgegenwärtig: Niemand in Teheran glaubt, dass der Frieden von Dauer ist. Die Zeichen sind unmissverständlich – der Krieg hat Spuren hinterlassen, die tiefer gehen als zerstörte Gebäude oder ausgebrannte Straßen.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Babak Farrokhi from Tehran, IRAN - Here comes Tehran, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12024471
Sonntag, 07 September 2025