Protestanten und Israel – die Diskussion um das Kairos-Dokument

Protestanten und Israel – die Diskussion um das Kairos-Dokument


Protestanten und Israel – die Diskussion um das Kairos-Dokument

Dr. Manfred Gerstenfeld interviewt Hans Jansen

Die protestantische Welt ist bezüglich Israels stark geteilt. Einerseits gibt es hier viel Unterstützung des Hasses gegen Israel, andererseits gibt es viele Unterstützer Israels, insbesondere unter Evangelikalen und orthodoxen Protestanten.

Ein wichtiges Ereignis, bei dem man beide erleben konnte, war die Debatte zu einem Text, der als Kairos-Dokument bekannt wurde. Es wurde 2009 von palästinensischen Christen veröffentlicht. Der offizielle Titel lautet „Stunde der Wahrheit: Ein Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und Palästinenserinnen“.

rof. Hans Jansen ist Autor eines wichtigen und regelmäßig neu aufgelegten Werks in Niederländisch mit dem Titel „Christliche Theologie nach Auschwitz“.1 Der Untertitel seines ersten Bandes lautet „Die Geschichte von 2000 Jahren kirchlichem Antisemitismus“. Der zweite Band – in zwei Büchern – trägt den Untertitel „Die Wurzeln des Antisemitismus im Neuen Testament“. Der niederländische Protestant Jansen lehrte Geschichte an der Flämischen Freien Universität in Brüssel (1990 – 2000); seit 2002 lehrt er am Simon Wiesenthal-Institut derselben Stadt.

Das zentrale Argument des Kairos-Dokuments lautet, dass allein Israel für die Probleme der Region verantwortlich ist. Das Dokument fordert, die israelische Besatzungspolitik als „Sünde“ anzusehen. Das Hauptziel des Dokuments ist die Forderung eines internationalen Wirtschaftsboykotts gegen Israel.

Später wurde bekannt, dass das Kairos-Dokument in verschiedenen Ländern als Erklärung der prominentesten palästinensisch-christlichen Führer wie den Griechisch-Orthodoxen, den Römisch-Katholischen, den Lutheranern, den Anglikanern und den Baptisten beworben wurde. Das war völlig falsch – nicht ein einziger Leiter dieser Kirchen unterzeichnete es.

Das Dokument wurde nur von einem einzigen Kirchenleiter unterschrieben: Monib Younan, dem Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land. Diese Kirche hat in den Gebieten unter der Autorität des Bischofs ein paar Hundert Mitglieder und wurde 1959 von deutschen lutherischen Missionaren gegründet. Ihre Mitgliederzahl ist im Vergleich zu den 400.000 in diesen Gebieten lebenden Christen unbedeutend. Später zog Younan seine Unterschrift zurück.

Ein weiterer Initiator des Dokuments ist Yusef Dahan, örtlicher Repräsentant des Ökumenischen Rats der Kirchen (Weltkirchenrat). Alle anderen Unterzeichner sind örtliche Pastoren, Laien oder religiöse Funktionäre, die nur sich selbst repräsentieren. Einer von ihnen ist der römisch-katholische Patriarch von Jerusalem a.D. Michel Sabbah. Sein Nachfolger, der jetzige Patriarch, unterschrieb nicht. Ein weiterer Unterzeichner ist der griechisch-orthodoxe Funktionär Atallah Hanah, der sich mit dem Patriarchen seiner Kirche überworfen hat.

In vielen Ländern haben die Medien die Bedeutung der Unterzeichner in hohem Maße übertrieben. Sie haben außerdem die Bedeutung der wichtigen Opposition gegen das Dokument heruntergespielt.

Ich habe besonders die Debatte in den Niederlanden verfolgt. Das Kairos-Dokument wurde von verschiedenen wichtigen christlichen Organisationen kritisiert. Ein paar Tage nachdem es den Leitern der niederländischen Kirchen im Dezember 2009 vorgestellt wurde, griffen zwölf prominente Theologen das Dokument heftig an. Die niederländischen Medien vermittelten jedoch den falschen Eindruck, dass die Kirchen dadurch, dass sie das Dokument entgegen nahmen, seinem Inhalt zustimmten. Das war unwahr, denn wie kann man einem Dokument von 70 Seiten zustimmen, das man nicht einmal gelesen hat? Es entgegenzunehmen bedeutete lediglich, dass man bereit war dem zuzuhören, was hilfsbedürftige Christen zu sagen hatten. Bereits beim Treffen zur Entgegennahme gab es Kritik vom Sekretär der bei weitem größten protestantischen Gemeinschaft, den Protestantischen Kirchen der Niederlande.

Die Kritik der Theologen, die trotz ihres Ansehens wenig Berichterstattung seitens der Presse erfuhr, war sehr breit angelegt. Sie nannten das Dokument „Die Stunde der Irreführung“ und schrieben, das Kairos-Dokument erwähne die Verheißungen nicht, die Gott Israel als Volk in der hebräischen Bibel gegeben hatte. Dem Dokument fehle völlig die biblische Vision Israels als Volk. Sie kritisierten die Unterzeichner heftig, weil diese die Bibel benutzten, um ihre politisch präferierten Ziele und Visionen zu legitimieren. Die Theologen sagten, dass dieses Herangehen die Religion in eine „Menschenideologie“ verwandelt. Sie merkten weiterhin an: „Das Kairos-Dokument von so genannten Neuen Historikern des Nahen Ostens inspiriert, die seit mehreren Jahren die Geschichte der Ereigniss von 1948 zugunsten der Palästinenser umschreiben. Diese Theologen bezeichneten das Dokument als „schamlose Brutalität“.

Jansen merkt an: Weiterhin gründet das Kairos-Dokument auf der so genannten „Ersetzungstheologie“, die lehrte, dass Gottes Verheißung an die Juden auf die Christen übergegangen ist. Diese Theologie hat zu wiederholter Verfolgung der Juden im Verlauf der Jahrhunderte geführt. Es gibt immer noch viele Kirchen, besonders im Nahen Osten, die diese üble Theologie unterstützen.

Jansen schließt: Aus einer historischen Perspektive ist es wichtig, dass die Kairos-Debatte beweist, dass heute von Christen propagierter Judenhass auch eine christliche Opposition hat. Wer immer die lange Geschichte dieses Hasses studiert, stellt fest, dass starke Reaktionen dagegen in christlichen Kreisen selten waren. Aus dieser Sicht ist die Lage heute viel ermutigender.

 

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Mitglied des Aufsichtsrats des Jerusalem Center of Public Affairs, dessen Vorsitzender er 12 Jahre lang war.

 

Heplev

 

Anmerkung:

  • Hans Jansen: Christelijke theologie na Auschwitz: Theologische en kerkelijke wortels van het antisemitisme. Band 1, 6. Auflage, Amsterdam (Blaak) 1999 (in Niederländisch)

 

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Autor: fischerde
Bild Quelle:


Mittwoch, 19 Dezember 2012

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