Über die israelischen `Ablenkungsmanöver´

Über die israelischen `Ablenkungsmanöver´


`Die israelische Regierung vereinnahmt den Kampf gegen Antisemitismus, um von ihrer Besatzungspolitik abzulenken.´ erklärte kürzlich Ofer Waldman vom New Israel Fund im Interview mit Andreas Busche im Berliner Tagesspiegel.

Über die israelischen `Ablenkungsmanöver´

Von Ulrich W. Sahm

In deutschen Medien wird vieles, was Israel tut, als „Ablenkungsmanöver“ von der Siedlungspolitik bezeichnet. Besonders beliebt ist dabei der Begriff des „Pinkwashing“. Selbst, wenn LGBT-Aktivisten in Israel ihre Paraden durchführen und sogar die israelische Tourismus-Industrie dafür wirbt, heisst es Israel wolle damit nur die Palästinenser schlecht reden.

In der arabischen Welt und im Iran gilt Homosexualität teilweise als Verbrechen, auf dem die Todesstrafe steht. Auch in Israel gibt es Extremisten, die versuchen, durch Gewalttaten homosexuelle Menschen zu vernichten. 2016 wurde bei einer Pride-Parade in Jerusalem die 16 Jahre alte Shira Banki von einem ultraorthodoxen Juden auf offener Strasse erstochen. War da die landesweite Empörung und Verurteilung dieses grausamen Mordes etwa auch Teil eines Ablenkungsmanövers?

Auch andere Formen gesellschaftlicher Freizügigkeit und Toleranz werden im Fall von Israel verdächtigt.

Selbst, als in Israel mit grossem Aufwand und riesigen Investitionen der European Song Contest (ESC) ausgetragen wurde, hiess es, dass die Fernsehshow von den Spannungen zwischen Hamas und Israel ablenken sollte. Dabei blieb es ausgerechnet während des ESC erstaunlich ruhig. Dank der Sicherheitsmassnahmen gab es keinen Terroranschlag.

Nichts wird verheimlicht. Im Gegenteil

Ob die Siedlungspolitik gut oder schlecht ist, richtig oder falsch und ob sie dem Völkerrecht widerspricht, ist ein international diskutiertes Thema. In jedem Fall ist die Siedlungspolitik ein beständiges Element der offiziellen Politik aller Regierungen Israels seit 1967. Und sie wird mit Gewissheit nicht verheimlicht. Kaum ein Tag vergeht, an dem der israelische Premierminister nicht erklärt, dass Israel „niemals“ die Jordansenke aufgeben werde. Regelmässig veröffentlicht die Regierung Ausschreibungen für den Wohnungsbau in den Siedlungen im Westjordanland.

Hierzu nur einige aktuelle Beispiele: Auf den Golanhöhen wurde ein Dorf (Siedlung) nach US Präsident Trump benannt. Das war nicht nur ein journalistisch in aller Welt vermeldetes Ereignis. Um die Bedeutung dieses Staatsaktes zu betonen, ist der israelische Ministerpräsident angereist, zusammen mit seinem ganzen Kabinett, um dort eine feierliche Regierungssitzung abzuhalten. Von Ablenkungsmanöver kann keine Rede sein. Im Gegenteil, die Presse wurde sogar extra eingeladen.

Ein weiteres Ereignis war die feierliche Einweihung einer 2000 Jahre alten Pilgerstrasse. Sie war bei Ausgrabungen im „besetzten und von den Palästinensern beanspruchten“ Ostjerusalem gefunden worden. Wieder war die Presse eingeladen, um die Teilnahme des amerikanischen Vermittlers Jason Greenblatt und des US-Botschafters David Friedman in Bild und Ton festzuhalten und in aller Welt zu verbreiten.

Die israelische Opposition findet in Europa statt

Ein Blick ins Archiv zeigt, dass „Ablenkungsmanöver“ keine ganz neue Erfindung sind, sondern seit Jahrzehnten eine besonders beliebte Volte der israelischen Opposition. Robi Nathanson, israelischer Politikwissenschaftler, behauptete 2004 im Deutschlandfunk, dass der von Ariel Scharon angekündigte israelische Rückzug aus dem Gazastreifen lediglich dazu diene, von Korruptionsvorwürfen gegen den Ministerpräsidenten abzulenken. Es war fast exakt dasselbe, was man heute über Netanjahu zu lesen bekommt. Wörtlich sagte der Politikwissenschaftler, „dass Scharon unter enormen Druck ist wegen der Korruptionsaffäre, die ausgelöst wurde über die Finanzierung seiner Wahl. Von daher muss er die Aufmerksamkeit in der israelischen Öffentlichkeit unbedingt auf andere Gebiete versetzen.“

Diese Aussage bezeugt nicht nur, dass sogar „israelische“ Politikwissenschaftler gehörig irren können. Schlimmer noch ist, dass deutsche Sender immer wieder derartige Verschwörungstheorien verbreiten.

In den Redaktionen werden bekanntlich mit Vorliebe jüdische oder gar israelische „Kronzeugen“ befragt. Und wenn jene Kritik an der Regierung oder an dem gerade amtierenden israelischen Ministerpräsidenten äussern, dann müsse es doch stimmen. Henryk M. Broder konstatierte dazu: „Die sogenannte „Israelkritik“ kommt besonders authentisch daher, wenn sie von Israelis praktiziert wird, frei nach dem Satz von Alexander Roda-Roda: „Aus dem Antisemitismus könnte schon was werden, wenn sich nur die Juden seiner annehmen würden.“

Typisch ist auch eine Anmerkung des in Deutschland so populären israelischen Historikers Moshe Zimmermann. Der befürchtet, dass die Regierung Netanjahu das Feindbild Iran weiter nutzen werde, um von ihrer eigenen Planlosigkeit im Palästinenser-Konflikt abzulenken. Zimmermann nimmt die Einstellung Israels zum Iran als zutiefst pessimistisch wahr – und als Ablenkung vom Palästinenser-Konflikt. Er geht nicht darauf ein, dass der Iran ganz Israel auslöschen will, mitsamt den Siedlungen.

Der jüngste Spruch stammt vom Vorsitzenden des iranischen Parlamentsausschusses für Nuklearfragen Mojtaba Zonnour: die islamische Republik habe eine verheerende Macht „Sollten die USA uns angreifen, würde Israel nur noch eine halbe Stunde zum Leben bleiben.” Dann wäre laut Zimmermann vielleicht die „Ablenkung“ vom Palästinenser-Konflikt gelöst. Dann könnte er aber auch nicht mehr nach Israel heimkehren.

In dem eingangs zitierten Interview des Tagesspiegel unterliegt freilich auch der Autor, Andreas Busche, einer sehr eigenwilligen Sicht der Realität, wenn er behauptet: „Jüdisches Leben bedeutet in Israel, wo einerseits die Mauer zum Westjordanland und andererseits Terroranschläge zum Alltag gehören, etwas anderes als in Deutschland.“ Das klingt einerseits, als hätte es von dem Bau der Mauer ab 2003 kein „jüdisches Leben“ in Israel gegeben und andererseits, als gäbe es in Deutschland solche Mauern nicht. Tatsache ist, dass Juden sich in Israel auch wegen der Mauer sicher fühlen können, ein unbeschwertes Leben führen zu können, ohne sich verstecken oder verkleiden zu müssen. Angriffe auf Menschen, die als Juden erkennbar sind gehören dagegen in Deutschland mittlerweile zum Alltag. Die Mauern, Poller und Streifenwagen vor jüdischen Einrichtungen in Deutschland haben den gleichen Grund, wie die Mauern nach Gaza: Sie schützen jüdisches Leben.

 

Erstveröffentlich bei Audiatur Online - Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. / Foto: Die Hayarkon Street in Tel Aviv an einem Yom Kippur.


Autor: Ulrich W. Sahm
Bild Quelle: Photo by Yoav Aziz on Unsplash.


Donnerstag, 04 Juli 2019