Susanne Knaul: Heim ins Reich

Susanne Knaul: Heim ins Reich


Nicht wenige Auslands-Korrepondenten sind der Auffassung, es sei ihre Aufgabe, Einfluss auf die Verhältnisse zu nehmen, über die sie berichten. Besonders verbreitet ist diese Meinung unter den Nahost-Korrespondenten und da vor allem unter denjenigen, die aus Israel und den palästinensischen Gebieten berichten.

Susanne Knaul: Heim ins Reich

Von Henryk M. Broder

Nachdem die vor kurzem verstorbene Wibke Bruhns, die für den Stern aus Jerusalem berichtete, von ihrer Redaktion nach Washington versetzt wurde, schrieb sie in einem Abschiedsartikel: „Es ändert sich nichts, ich kann nichts ändern, also gehe ich.” Wäre sie in der Lage gewesen, etwas zu ändern, hätte sie das Washington-Angebot natürlich nicht angenommen und wäre in Jerusalem geblieben, um den Friedensprozeß voranzutreiben.

Nun lese ich, dass Susanne Knaul, die Nahost-Korrespondentin der taz, nach 30 Jahren in Israel ihre Koffer packt, um nach Berlin zu ziehen. Benny Weinthal kommentiert diesen Vorgang mit dem Satz: „Eine deutsche Journalistin weniger in Nahost, die Antisemitismus- und Terrorismus-Verständnis verbreitet.“ Kein Verlust für Israel also, aber doch ein Gewinn für die antisemitisch-antizionistisch versiffte Ortsgruppe der links-grünen, auf Israel fixierten Berliner Ex-Pats und ihrer biodeutschen Unterstützer.

Sag beim Abschied leise...

Und wie es so der Brauch ist, schreibt auch Susanne Knaul einen Abschiedsbrief, in dem sie erklärt, wie sie nach Israel kam, wie sie dort gelebt hat und warum sie jetzt geht. Dreißig Jahre an einem Ort sind wirklich mehr als genug, so lange würde ich es nicht einmal in Malibu aushalten, außerdem wartet in Berlin die Liebe ihres Lebens auf sie. Das reicht doch, um den Umzugswagen zu bestellen, oder?

Nicht für Susanne Knaul. Sie muss noch ein wenig drauflegen. Am Anfang hat es ihr gut gefallen, sie lebte als freiwillige Helferin in einen Kibbuz, auch, um mein Gewissen zu beruhigen, das schwer trug an den Sünden, die mein Volk an den Juden begangen hatte. Sie lernte Hebräisch in einem „Ulpan“, arbeitete für eine deutschsprachige Tageszeitung und passte sich den Lebensumständen an: Mein Arbeitstag begann um 10 Uhr morgens, was schon aus Sicherheitsgründen günstig war, denn die meisten Messerattacken der Ersten Intifada fanden sehr früh am Morgen statt. Morgenstund hat Stahl im Mund. Andere Länder, andere Sitten.

Kaum hatte sie ihr schlechtes Gewissen abgearbeitet, begann der Golfkrieg. Die Armee verteilte Gasmasken und Atropin-Spritzen. Der erste Sirenenalarm kam mitten in der Nacht und war sehr laut. Was sie dann erlebte, hätte auch Claas Relotius zu ähnlichen Gedankengängen animiert: Während die Israelis in Tel Aviv verängstigt auf das Giftgas warteten, das nie kam, tanzten die Palästinenser, so hieß es, auf ihren Häuserdächern in Ramallah und Bethlehem, um den Raketenbeschuss auf die „Zionisten“ zu feiern. Damit lieferten sie den Rechten im Land Zündstoff. „Seht mal, mit wem ihr Frieden machen wollt“, spotteten sie auf das Friedenslager.

Warten bis das Gas kommt

Subtil, nicht wahr? Die Israelis warteten auf das Giftgas, das nie kam, während die Palästinenser, so hieß es, auf ihren Häuserdächen tanzten. Solche Sätze zu schreiben, die mehr insinuieren als sie besagen, lernt man sonst nur auf der Henri-Nannen-Propaganda-Akademie. 

Nach dem Golfkrieg kamen zwar Gespräche zwischen Israelis und Plästinensern in Gang, für Susanne Knaul freilich war das keine gute Zeit. Trotz der großartigen Absichtserklärungen auf beiden Seiten passierte dann lange nichts, was für mich finanziell fatal war. Ich wurde pro veröffentlichte Zeile honoriert und musste zusehen, wie sich meine mageren Ersparnisse rasch ihrem Ende näherten.

Mit der Ermordung von Yitzhak Rabin durch einen jüdischen Extremisten verschärfte sich der Ton in Israel, aber für Susanne Knaul ging es bergauf. Die taz gab ihr einen Vertrag. Zusätzlich zu den Einnahmen als freie Journalistin war ich mit der taz-Pauschale finanziell sicher genug, endlich meinen Kinderwunsch zu verwirklichen. In Deutschland hätte ich als Alleinstehende keine Chance gehabt, Spendersamen zu bekommen. In Israel hatte ich freie Auswahl: Es gab Samen aus allen Herkunftsländern der jüdischen Immigranten. Dem Kampf der LGBT-Gemeinde und Israels progressiver Rechtslage verdanke ich meinen Sohn. Es war also nicht alles schlecht in Israel. Die Möglichkeit, freie Auswahl zwischen Samen aus allen Herkunftsländern der jüdischen Immigranten zu haben, gehörte zu den Positiva, obwohl man auch darin eine Spur von Rassismus entdecken könnte.

Ungut dagegen war der Mangel an Mieterschutz und dass der Euro im Vergleich zum Schekel an Wert verlor, was die Lebenshaltungskosten verteuerte. Hinzu kam die politische Entwicklung, die nicht ganz so verlief, wie Susanne Knaul es sich vorgestellt hatte: 71 Jahre alt ist Israel in diesem Jahr geworden. 30 davon habe ich miterlebt. Das Land, das mich als Teenager so in den Bann zog, existiert heute nicht mehr. Die Besatzung hat die israelische Bevölkerung verrohen lassen. Was ich einst als ruppig empfand, ist heute offene Aggressivität. Netanjahu führt dieses wunderbare Land systematisch in den Abgrund. Er macht mir den Abschied leichter.

Weniger schlechtes Gewissen, mehr Mieterschutz

Erstaunlich, dass sich ein Land im Laufe von 30 Jahren ändert, aggressiver wird, während die Länder drumherum immer friedlicher und ziviler werden. Frau Knaul dagegen hat sich während der 30 Jahre, die sie in Israel gelebt hat, kaum verändert. Aus einer naiven jungen Frau, die in einen Kibbuz zog, um mein Gewissen zu beruhigen, das schwer trug an den Sünden, die mein Volk an den Juden begangen hatte, ist eine Enttäuschte geworden, die ihr schlechtes Gewissen abgearbeitet hat und nun in ein Land heimkehrt, in dem der Mieterschutz gerade optimiert wurde.

Ihre Karriere als Israel-Korrespondentin der taz rundet sie mit einer dicken, fetten Lüge ab. Ihr Sohn Tom, in Israel Dank einer Samenspende geboren, könnte, selbst wenn er wollte, nicht im Judenstaat studieren oder arbeiten, weil er der Sohn einer Schickse, einer nichtjüdischen Frau ist. Und obwohl er besser Hebräisch als Deutsch spricht, gilt er, wenn er nach Israel reist, als Tourist. 

Eine Sauerei sondergleichen, die eventuell damit zu tun haben könnte, dass bei der Einreise nach Israel nicht die Sprachkenntnisse überprüft werden, sondern die Staatsangehörigkeit. In jedem Fall ein weiterer Beleg dafür, wie rassistisch der Judenstaat ist.

 

Erstveröffebtlicht bei der Achse des Guten - Zweitveröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.


Autor: Henryk M. Broder:
Bild Quelle: Screenshot


Montag, 21 Oktober 2019