Tanz unter Beschuss: Der Lebensrhythmus auf der israelischen Seite der Gaza-Grenze

Tanz unter Beschuss:

Der Lebensrhythmus auf der israelischen Seite der Gaza-Grenze


Eine geplante Tanzaufführung an der Grenze zum Gazastreifen erinnert mich an den Golfkrieg von 1991, als der Irak Scud-Raketen auf Israel regnen ließ und Maestro Zubin Mehta aus New York zurückeilte, um Konzerte zu dirigieren.

Der Lebensrhythmus auf der israelischen Seite der Gaza-Grenze

Von David E. Kaplan, Lay of the Land

`Ich hatte viele Verpflichtungen in New York, die mich davon hätten abhalten sollen zu kommen, aber ich konnte mir nicht vorstellen nicht hier zu sein´, sagte er damals, als er Dirigent der New Yorker Philharmoniker war. Er dirigierte ausverkaufte Konzerte, wobei er seine Gasmaske genauso eng bei sich hielt wie seinen Taktstock, `vorsichtshalber!´

„Können Sie sich vorstellen“, sagte er mir in einem Exklusiv-Interview anlässlich seines 80. Geburtstags 2016 in Tel Aviv, „dass Scuds aus dem Himmel fielen, möglicherweise mit Chemikalien, dies aber die Israels nicht davon abhielt klassische Musik zu hören?“

Das sandte eine machtvolle und rührende Botschaft nicht an Typen wie Saddam Hussein – Zeitverschwendung – sondern an die Menschen in Israel, die trotz der schrecklichen Lage ihren Mut und Liebe zur Kultur behaupteten.

Vorspulen in die Gegenwart: Dieses Charakteristikum wird von Liat Drors Tanzgruppe aus Sderot erneut zum Ausdruck gebracht, die an der Gaza-Grenze eine Aufführung gibt, um „unserer Menschlichkeit“ angesichts des Lebens unter ständigem Beschuss darzubieten. „Es ist meine Verantwortung eine Vorstellung aufzuführen, selbst unter Raketenfeuer“, sagt eine stolze und kecke Liat, künstlerische Leiterin der Sderot Adama Dance Company.

Wie also sieht das Alltagsleben „unter Beschuss“ aus?

Die leitenden Sozialarbeitsbetreuerin an der Ben Guion-Universität im Negev (BGU) Yehudit Spanglet ist eine Spezialistin für Traumaverarbeitung, die das Connections and Links Trauma Center gründete, eine mobile Einheit, die sie regelmäßig nach Sderot bringt – eine Stadt unter Beschuss.

„Ohne Frage gibt es in Sderot und Südisrael hunderte Menschen, die in einem Zustand ständigen Traumas leben. Nicht nur infolge der dort fallenden Raketen, sondern auch wegen des Knallen des Verteidigungssystems Eiserne Kuppel, das glücklicherweise die meisten einfliegenden Raketen abfängt. Die Explosionen, die im Himmel ertönen, können in den Ohren eines Menschen lange nach dem Angriff nachhallen. Viele Traumaopfer leben in Angst, selbst während ausgedehnten Waffenstillstandsperioden. Jedes Mal, wenn die Sirenen heulen und die Menschen in Deckung rennen müssen, wird der Trauma-Schaden früherer Angriffe verstärkt.“

führt einen Besuch in Sderot an, als die Stadt beschossen wurde und draußen auf einer Straße „stand eine Frau, paralysiert, starrte in den Himmel. Ihr Hals war vor Angst starr, wenn die Alarmsirenen erklangen. Bevor sie einen Bunker erreichen konnte, explodierten die Raketen der Eisernen Kuppel, wie über ihrem Kopf. Ihr Ehemann wollte sie nicht ins Krankenhaus in Aschkelon bringen, daher brachten wir sie langsam nach Hause, ihr Kopf starrte immer noch hoch in den Himmel. Als sie wieder Zuhause war, nachdem wir eine halbe Stunde mit ihr geredet hatten, lockerten sich ihre Halsmuskeln und ihr Körper entspannte sich schließlich.“

Im Kreuzfeuer gefangen

Dieser Lage unerbittlicher Gefahr für nahe der Gaza-Grenze lebenden Israelis trotzend wird eine Tanztruppe der Adama Dance Company aus Sderot einen Auftritt bieten, um zu betonen, wie es ist im Kreuzfeuer gefangen zu sein – nicht nur wegen der Raketen aus der Luft, sondern aus „Pflicht, Menschlichkeit und der Bedeutung des Selbst“.

Liat und ihr Partner Nir Ben Gal sagen, ihre neue Aufführung mit dem Titel „Liebe ist so stark wie der Tod“ wird vermitteln, was es bedeutet unter Raketenfeuer zu tanzen und unter den donnernden Klängen der Luftschutzsirenen und dem hämmernden Klängen der Raketen Kunst zu schaffen.

„Leben nahe des Gazastreifens“, sagt Liat, „präsentiert uns schwierige Fragen zum Wert der Kunst, wenn sie nicht in einem Museum ausgestellt ist oder in einem klimatisierten Theater in Sicherheit gewürdigt wird.“

Die neueste Arbeit der Tanzgruppe balanciert auf der Lage aus Nationalstolz und der Notwendigkeit persönlich sein Volk zu verteidigen – daher die Einbindung von Marschmusik in die Partitur – aber auch dem menschlichen Bedürfnis nach persönlicher Distanz.

„Dieses Treffen zwischen den beiden ist in meinem Alltagsleben im Studio sehr real“, offenbart Liat.  Es begann mit ihren Erfahrungen im Dienst in der IDF (Israelische Verteidigungskräfte) „und setzte sich mit der sehr schwierigen Erfahrung Eltern von Soldaten zu sein fort“.

Sie sagt, die Show geht die Fragen des echten Lebens an, „Liebe dem Krieg vorzuziehen, mit einer komplexen Realität umzugehen und andere zu akzeptieren – sei es ein Ehepartner, ein Nachbar oder jemand mit anderen politischen Meinungen“.

Sie behauptet, das Leben in Sderot hebe diese Fragen immer heraus und „hält mich in ständiger Wachsamkeit“.

Während Tanzlehrer irgendwo sonst in der Welt sich wegen Fragen sorgen könnten, dass Schüler persönliche Probleme haben oder krank sind, hat Dror Angst:

„Werden wir in der Lage sein zu proben? Werden wir diese Probe bis zu Ende machen können oder werden die Raketensirenen ertönen? Immerhin liegt es in meiner Verantwortung selbst unter Raketenbeschuss eine Show zusammenzustellen.“

Sie sagt, die Tanztruppe verwendet Aufnahmen von „Livemusik aus Auftritten der Vergangenheit“, darunter „Lachen des Publikums, das Knacken von Stühlen und die Klänge des Atmens von Anwesenden“. Für Liat „ist das eine Form der Korrespondenz, sowohl mit unserer Vergangenheit als auch mit seiner Bedeutung für das, was sich gerade jetzt in Israel, Sderot oder jedem Ort abspielt, wo die Lücken größer sind als die Chancen auf Frieden“.

Musik für unsere Ohren

Als Israel 1982 im Südlibanon im Krieg war, brachte Zubin Mehta Israels Philharmonie-Orchester  ein paar Kilometer über die Grenze in ein libanesisches Tabakfeld. „Wir bauten eine Bühne unter einem Zelt auf und spielten für eine Gruppe örtlicher Libanesen.“ Nach dem Konzert, sagte Mehta, „eilten die Konzertbesucher auf die Bühne, um die Musiker zu umarmen“.

Jahre später sagte der Maestro nachdenklich: „Ich würde es so sehr lieben diesen Anblick heute noch einmal zu sehen: Araber und Juden, die einander umarmen. Ich bin jemand, der positiv denkt. Ich weiß, dieser Tag wird kommen.“

 

Übersetzt von Heplev - Foto: Good Vibes. Zubin Mehta dirigiert 1977 ein Konzert der Eröffnungsfeier des „Guten Zauns“ an der israelisch-libanesischen Grenze.


Autor: Heplev
Bild Quelle: David Rubinger


Sonntag, 03 November 2019