Thilo und die Gene. Oder: Was kiffen die alle?

Thilo und die Gene. Oder: Was kiffen die alle?


Vor zwei Tagen wurde Thilo Sarrazin wegen „parteischädigenden Verhaltens“ aus der SPD ausgeschlossen. In wenigen Tagen sind es zehn Jahre her, dass sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ erschienen ist, eine Vorhersage, die sich inzwischen weitgehend erfüllt hat.

Thilo und die Gene. Oder: Was kiffen die alle?

Aus gegebenem Anlass bringen wir einen Text wieder zur Aufführung, der Anfang September 2010 erschienen ist. Im SPIEGEL! Waren das noch Zeiten!

Deutsche Pferde haben ein Drei-Gang-Getriebe. Sie gehen, traben und galoppieren. Isländische Pferde haben einen Gang mehr. Er heißt „Tölt“. Pferd und Reiter gleiten dahin, als würden die Hufe den Boden kaum berühren. Das sieht nicht nur sehr elegant aus; man kann auch, auf dem Pferd sitzend, einen Kaffee trinken, ohne dass er aus der Tasse schwappt.

Vor allem Besucher aus dem Ausland sind beeindruckt. Wie geht das? Kommen die Island-Pferde mit einem „Tölt-Gen“ auf die Welt? Ist „tölten“ angeboren oder anerzogen? Natur oder Dressur?

Die Isländer selbst achten darauf, dass ihre Pferde „rein“ bleiben und keinen Umgang mit anderen Pferden haben. Hat ein isländisches Pferd an einem Reitturnier im Ausland teilgenommen, darf es nicht wieder in die Heimat zurück. Umgekehrt dürfte nicht einmal die Spanische Hofreitschule mit ihren Lipizzanern nach Island kommen.

Auch sonst legen die Isländer auf Abstammung und Herkunft großen Wert. Fast jeder der 300 000 Insulaner kann seine Ahnenkette bis zu den ersten Siedlern zurückverfolgen, die um 970 mit Erik dem Roten aus Norwegen kamen. Und so ist beinahe jeder mit jedem irgendwie verwandt. Nicht nur wegen der geografischen Lage bilden die Isländer eine ethnisch ziemlich homogene Einheit.

Das hat soziale Nachteile wie Vetternwirtschaft, aber auch Vorteile, zum Beispiel bei der gezielten Bekämpfung von Krankheiten. Das Erbgut der Isländer ist fast vollständig erfasst, durch die Firma Decode Genetics, die dank der Tatsache, dass es in Island keinen Datenschutz gibt, die Krankheitsgeschichten der Isländer auswerten konnte; mit Hilfe von Saga-Forschern und Genealogen, die Stammbäume aufgestellt haben, war es möglich, jeden Verwandten und Nachkommen von Erik dem Roten zu identifizieren.

Die Frage, ob es ein spezielles „Isländer-Gen“ gibt, würde jeder Isländer mit einem Ja beantworten. Er würde sie weder als rassistisch noch als unwissenschaftlich abqualifizieren.

Eher als ein Kompliment für eine Wesensart, zum Beispiel dafür, wie Isländer mit Natur- und anderen Katastrophen umgehen. Man krempelt die Ärmel hoch, räumt den Schutt zur Seite und fängt wieder von vorn an. So haben es schon die Wikinger gemacht, so machen es die Isländer noch immer. Man kann es auch Kultur, Mentalität oder Überlieferung nennen.

Besonders stolz sind die Isländer darauf, dass sie niemals Analphabetismus kannten. Selbst die einfachsten Bauern konnten lesen, Männer und Frauen; sie beteten schon in ihrer Landesprache, als die Katholiken noch ihre Messen auf Latein feierten. Das wiederum erklärt die literarische Produktivität der Isländer heute. Nirgendwo in Europa werden pro Kopf der Bevölkerung mehr Bücher verlegt, gekauft und gelesen. Erzählungen und Romane sind, gleich nach dem Kabeljau, der zweitwichtigste Exportartikel des Landes.

Den Mangel an Analphabeten haben die Isländer mit zwei weiteren europäischen Völkern gemeinsam: den Armeniern und den Juden. Die Armenier haben ihre Kirche im Jahr 301 gegründet, als im vorchristlichen Rom noch heidnische Feste gefeiert wurden. Die Juden verstehen sich als das Volk des Buches. Beide Völker haben eine kulturelle Tradition, die von Generation zu Generation „vererbt“ wird, ein „gelobtes Land“, dem sie auf eine mystische Weise verbunden sind, und reichlich Erfahrung im Überleben von Pogromen.

Alles zusammen kann man „Identität“ nennen. Man kann aber auch „Gen“ dazu sagen. Und wenn Armenier, Isländer und Juden ähnliche „Gene“ haben, dann ist das keine rassistische Feststellung, sondern nur ein Hinweis darauf, dass ähnliche Lebensumstände im Lauf der Zeit zu ähnlichen Ausprägungen führen.

Malte Lehming hat vor ein paar Tagen im Berliner „Tagesspiegel“ an den kleinen Parteitag der Grünen im April dieses Jahres in Köln erinnert, auf dem Cem Özdemir die Abgren-zung der Grünen von der FDP damit begründet hatte, die „genetischen Unterschiede“ zwischen den beiden Parteien seien zu groß. In einem Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“ hatte der Grünen-Chef zuvor erklärt: „Der Atomausstieg ist für uns unverhandelbar. Das ist quasi genetisch bedingt.“


Autor: Henryk M. Broder
Bild Quelle: AchGut


Sonntag, 02 August 2020

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