Yodfat: Das Masada, das Sie nicht kennen

Yodfat: Das Masada, das Sie nicht kennen


Im Herbst des Jahres 66 n.Chr. kamen Juden in der uralten Stadt Jerusalem zusammen und rebellierten gegen das mächtige Römische Imperium.

Yodfat: Das Masada, das Sie nicht kennen

Von Joshua Beylinson, HonestReporting

Sie wussten nicht, dass sie eine Kette an Ereignissen angestoßen hatten, die zu einer der größten Katastrophen führte, die dem jüdischen Volk widerfahren ist: der Zerstörung des zweiten Tempels. Der dem Untergang geweihte Aufstand stellte auch den Beginn einer langen Zeit des Exil dar, die das jüdische Leben fast 2.000 Jahre lang prägen sollte. Vor kurzem wurde dieser Tragödie an Tischa B’Av gedacht, der oft als der traurigste Tag im jüdischen Kalender gilt.

Obwohl die Revolte gegen das imperiale Rom letztlich scheiterte, gibt es viele Ehrfurcht gebietende Episoden aus diesem zentralen Augenblick in der jüdischen Geschichte. Zum Beispiel gibt es die berühmte Geschichte von Masada, wo eine Gruppe jüdischer Rebellen der römischen Armee Widerstand leistete und dann lieber Selbstmord beging als sich zu ergeben.

Aber nur wenige Leute wissen von der Belagerung von Yodfat, das man auch als Jotapata kennt, wo Rebellen auf einer Hügelkuppe gegen zehntausende zählende römische Streitkräfte aushielten. Wenn der Aufstand in Masada endete, dann war Yodfat der Ort, wo die Rebellion begann.

Die Flagge der Rebellion wird gehisst

Die Stadt Yodfat liegt in der nordisraelischen Region Galiläa. In antiker Zeit was sie Teil des nördlichen Königreichs Israel und wurde im 8. Jahrhundert v.Chr. vom assyrischen Reich erobert. Sie wurde ein paar Jahrhunderte von Nichtjuden wieder besiedelt und im 2. Jahrhundert v.Chr. kam die Gegend unter die Kontrolle des Hasmonäer-Königreichs, einer souveränen jüdischen Monarchie, die nach der Rebellion gegen das Seleukidenreich gegründet wurde. Die Hasmonäer bevölkerten das Gebiet mit Juden und entwickelten das Territorium weiter. Bemerkenswert an der Zeit in der jüdischen Geschichte war, dass jüdische Herrscher Menschen zwangsweise zum Judentum konvertierten.

Bis zum ersten Jahrhundert n.Chr. war Yodfat eine stille und friedvolle Stadt mit rund 1.000 bis 1.500 Menschen geworden. Yodfat hatte viele Kunsthandwerker, Hirten und sogar eine eigene Olivenpresse, was bedeutete, dass diese Stadt reiche Einwohner hatte, da Olivenöl eine hoch geschätzte Handelsware war. Es ist schwierig sich vorzustellen, dass diese idyllische Stadt 67 n.Chr. mit tausenden jüdischen Flüchtlingen aus nahe gelegenen Bereichen angefüllt sein würde, die vor römischen Soldaten flohen.

Der jüdische Aufstand wurde von einer Gruppe geführt, die als Zeloten bekannt und hauptsächlich in Jerusalem ansässig war. Es waren aber auch andere Gruppen wie die Sicarii beteiligt, die in Galiläa eine massive Anhängerschaft hatten; Galiläa war die radikalste antirömische Region in Judäa. Wie ihr Name nahelegt, waren die Zeloten extrem traditionalistische Juden, die allen römischen und hellenistischen Einflüssen in Judäa Widerstand leisteten. Die Sicarii waren besonders gewalttätig und dafür berühmt Mord am hellichten Tag zu begehen, um die Römer und ihre lokalen Anhänger öffentlich einzuschüchtern.

Diese Rebellen hatten viele Beschwerden gegenüber dem Imperium, wozu exzessive Besteuerung durch römische Statthalter und Vetternwirtschaft von Nichtjuden in Judäa gegenüber Juden sowie andere Taten gehörten.

Im Jahr 39 n.Chr. erklärte Caligula sich zum Gott und befahl, dass in jeden Tempel des Imperiums gestellt werden eine Statue mit seinem Abbild soll, einschließlich des Tempels in Jerusalem. Die Juden waren die einzigen, die das ablehnten und sich nicht rührten. Caligula stand kurz davor die Juden wegen ihrer Missachtung zu massakrieren, als er plötzlich verstarb. Während ihre Aufmüpfigkeit ungestraft blieb, wandte dieses Ereignis die jüdische Stimmung gegen die Römer. Immerhin hielt die Römer nichts davon ab den Tempel zu schänden, wann immer das Imperium das wollte.

Es erwies sich, dass die Juden recht hatten und die Römer schließlich begannen den Tempel zu schänden. Römische Soldaten entblößten sich und verbrannten sogar eine Thora-Rolle im heiligsten Ort des jüdischen Volks. Das Fass wurde endgültig zum Überlaufen gebracht, als der Statthalter Gessius Florus 66 n.Chr. große Summen Silber aus dem Tempel raubte. Das erboste die Juden bis zu dem Punkt, dass sie die römische Garnison in Jerusalem zerstörten und eine Armee Soldaten vernichtete, die aus dem benachbarten Syrien gekommen waren um die Rebellion niederzuschlagen.

Dieser Sieg, kombiniert mit dem massigen jüdischen Ekel über das römische Imperium, ermutigte tausende Juden in ganz Judäa zu den Waffen zu greifen.

Das letzte Gefecht der Rebellen

Sobald der Aufstand einmal im Gang war, suchten die Führer in Jerusalem einen jungen Mann aus, der der Militärgouverneur der entscheidenden Region Galiläa sein sollte. Er stammte aus einer prominenten und vornehmen Familie aus Judäa, wurde von den Menschen geliebt und hatte zudem eine römische Elite-Ausbildung erhalten, was bedeutete, dass er den Feind genau kannte. Sein Name war Joseph ben Matityahu. Sobald Joseph zum Gouverneur ernannt war, machte er sich sofort an die Arbeit und baute Festungswerke in vielen Orten überall in Galiläa, auch in Yodfat.

Derweil antworteten die Römer schnell auf den jüdischen Aufstand. Sie schickten Vespasian und seinen Sohn Titus, zwei legendäre Kommandanten, die später beide Kaiser werden sollten und 60.000 schwer bewaffnete Berufslegionäre gegen die Rebellen führten.

Die römischen Soldaten fegten durch die Städte Galiläas und bis 67 n.Chr. waren tausende nach Yodfat geflüchtet, um dort ihr letztes Gefecht zu führen. Da es auf einem Hügel lag, der ein Tal überblickte und dort nur von einer steilen Seite eingedrungen werden konnte, befand sich Yodfat in einer für die Rebellen ausgezeichneten strategischen Lage.

Was einst eine idyllische kleine Stadt gewesen war, war jetzt ein gedrängt volles Kriegsgebiet voller Rebellen, Flüchtlinge, ihren Frauen und Kindern. Die Juden wussten, dass sie sich auf einer Selbstmord-Mission befanden: Ihre Sicht von Yodfat ermöglichte es ihnen die Massen an römischen Legionären zu sehen, die sich gesammelt hatten, um die Rebellion niederzuschlagen. Dennoch gaben sich die Juden nicht geschlagen.

Während Vespasian glaube, er könne die Juden zur Aufgabe zwingen, indem er einfach darauf wartete, dass ihnen das Wasser ausging, hatte Joseph vorausgeplant. Der Rebellenführer hatte Zisternen gebaut, die es den Einwohnern erlaubte Regenwasser zu sammeln und zu trinken. Diese bemerkenswerte Vorsorge diente dazu die Römer zu demoralisieren, die schließlich erkannten, dass die Juden in der Lage sein würden weit länger durchzuhalten als Vespasian erwartet hatte.

Vespasian trat Joseph mit dem Bau einer Belagerungsrampe entgegen, um über die Mauern zu klettern, die die jüdischen Verteidiger gebaut hatten. Joseph reagierte mit dem Befehl an seine Männer, ihre Abwehr höher zu bauen und kochendes Öl und gekochten Bockshornklee von den Mauern zu gießen. Diese Taktiken bremsten den römischen Angriff ab. An einem Punkt verwendete Vespasian sogar einen Rammbock, konnte die Mauern aber nicht durchbrechen.

Allerdings wandte sich wandte sich das Blatt bald gegen die Juden. Ein Deserteur, der aus Yodfat entkommen war, informierte die Römer über den erschöpften und geschwächten Zustand der jüdischen Verteidiger. Die Römer handelten aufgrund dieser Informationen schnell und überquerten die Mauer – die Wachen wurden leise getötet – und schlichten nachts in die Stadt. Die Rebellen wurden überrascht, wehrten sich aber tapfer – aber umsonst. Jüdische Männer wurden abgeschlachtet und in Massengräber geworfen, während die Frauen und Kinder versklavt wurden. Yodfat wurde letztlich am ersten Tag des hebräischen Monats Tammuz im Jahr 67 n.Chr. überrannt.

Joseph und 40 seiner besten Kämpfer versteckten sich in einer nahegelegenen Höhle, als die Römer Yodfat überrannten. Die Männer wussten, dass die Römer sie irgendwann finden würden, also beschlossen sie Massenselbstmord zu begehen. Weil aber Selbstopferung gegen jüdisches Recht war, zogen sie Strohhalme und bekämpften sich gegenseitig bis zum Tod. Die Rebellen mit den kürzesten Halmen sollten sich zuerst bekämpfen; der Prozess ging weiter, bis die zwei Männer mit den längsten Halmen einander töteten. Aber Joseph unternahm Schritte, die sicherstellten, dass er den längsten Halm hatte. Als all seine Männer einander getötet hatten, überzeugte er den letzten Mann sein Schwert niederzulegen und sich den Römern zu ergeben. Vespasian akzeptierte ihre Kapitulation und Joseph wurde schließlich von den Römern versklavt.

Yodfat wurde von den Römern geschleift und seitdem öde liegen gelassen. Es wird geschätzt, dass zehntausende Männer, Frauen und Kinder in ganz Galiläa von den Römern nach der Rebellion von Yodfat versklavt wurden.

Obwohl sie einer weit professionelleren Streitmacht zahlenmäßig unterlegen waren, leisteten die Rebellen Vespasian und seiner Armee 47 Tage lang Widerstand. Das ist eine erstaunliche Tat, bedenkt man, dass Yodfat ursprünglich nicht wie Masada als Festung gebaut wurde und während der Belagerung sogar zum größten Teil von Flüchtlingen bevölkert war.

Belege für die Rebellion in Yodfat

Die Geschichte von Yodfat fesselt, aber gibt es Belege, die ihre Richtigkeit bestätigen? Hierzu lohnt es sich festzuhalten, dass Joseph keinesfalls aus der Geschichte verschwand, nachdem er versklavt wurde. Er war ein hoch gebildeter Historiker und Gelehrter, der sich für die Römer als extrem nützlich erwies. Er stieg auf und wurde ein Anhänger der Familie Flavius. Joseph sollte weithin als Josephus Flavius bekannt werden. Obwohl er nie konvertierte und bis zu seinem Tod ein selbsterklärter, stolzer Jude blieb, glaubte Josephus Flavius, dass die jüdische Lebensweise mit dem Hellenismus in Einklang gebracht werden könne.

Als offizieller Chronist der Familie Flavius schrieb Josephus viele umfangreiche Bände, deren Bedeutendster Die Kriege der Juden war, der die Geschichte des jüdischen Aufstands erzählte, darunter die Belagerung von Yodfat. Er schrieb auch Die Altertümer der Juden, die die komplette Geschichte des jüdischen Volks beschreibt. Diese Bücher führten einem breiten römischen Publikum die Geschichte der Juden aus. Recht bemerkenswert ist, dass diese Schriften immer noch gedruckt werden. Während die Arbeiten des Josephus einseitig zugunsten der Römer sind, sind sie immer noch eine wertvolle Informationsquelle zu dieser kritischen Zeit in der jüdischen Geschichte.

Neben Josephus dokumentierten auch die Römer ihre Eroberung von Yodfat. Darüber hinaus gibt es umfangreiche archäologische Funde in der antiken Stadt, die vieles von dem bestätigen, was Josephus schrieb. Und da die Stadt nach ihrer Zerstörung nie wieder besiedelt wurde, sind die archäologischen Funde zahlreich und intakt geblieben. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte sind in Yodfat hunderte Tonscherben und Steine ausgegraben worden, die in antike Zeiten zurückdatiert werden. Zusätzlich wurden die von Josephus gebauten Zisternen freigelegt, dazu zahlreiche Mikwen, Steinhäuser, eine Olivenpresse, ein großes Wandbild und ein Massengrab mit den während der Belagerung getöteten Rebellen.

Nach dem Aufstand

Nachdem Yodfat geschleift war, wurde die störende Provinz Galiläa endlich befriedet. Die Römer setzten ihre Eroberung Judäas fort und stellten schließlich Jerusalem unter Belagerung. Nachdem sie in die Stadt gelangten, zerstörte Titus den Tempel und besiegte die Rebellen, weitere tausende Juden wurden versklavt.

Als Titus Kaiser wurde, wurde in Rom ein Siegesbogen zum Gedenken an seinen und seines Vaters Vespasian Sieg über die Rebellen in Judäa gebaut. Er sollte Roms Herrschaft über Judäa, Titus‘ Sieg und Göttlichkeit sowie die Überlegenheit der römischen Kultur feiern.

Der Bogen steht heute noch, aber das römische Imperium ist lange weg. Während die Römer ein unauslöschliches Zeichen in Europa, dem Mittelmeer und dem Nahen Osten hinterließen, sind ihre polytheistische Religion, Kultur, Institutionen und ihr Imperium nicht mehr vorhanden, während es das jüdische Volk immer noch gibt.

 

Übersetzt von Heplev


Autor: Hepliv
Bild Quelle: Bukvoed, CC BY 3.0 , via Wikimedia Commons


Dienstag, 09 November 2021

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