Hoffnungsschimmer mit Wermutstropfen: „Die erste drusische Stadt Israels“

Hoffnungsschimmer mit Wermutstropfen: „Die erste drusische Stadt Israels“


Den drusischen, muslimischen und christlichen Einwohnern verheißt die Aufwertung von Maghar zur Stadt den Ausblick auf bessere Lebensqualität. Die drusische Gemeinschaft schöpft noch ganz andere Hoffnungen.

 Hoffnungsschimmer mit Wermutstropfen: „Die erste drusische Stadt Israels“

Von Antje C. Naujoks

Innenministerin Ayelet Shaked hielt die Neuigkeit geheim, um sie auf einer Zusammenkunft mit u.a. drusischen Lokalpolitikern zu verkünden. Ihr gelang die Überraschung, doch ihre Wortwahl: „Israel hat seine erste drusische Stadt“, sorgte ebenso für Verstimmung wie die Verkündung der Ernennung auf einer Arbeitssitzung in Sajur bei Akko.

Getrübte Freude

Der Leiter der Regionalverwaltung Maghar, Fareed Ghanam, war erfreut, dass sein Ort nun Stadt ist, denn mit dieser Ernennung gehen Förderungen und erweiterte Zuständigkeiten einher, die eine Hebung des Lebensstandards in Aussicht stellen. Zugleich war Gahanam aber auch enttäuscht, da er die Neuigkeit lieber in Maghar während eines ohnehin geplanten Besuch von Shaked sowie im Rahmen in feierlicher Zeremonie verkündet hätte.

Maghar, ein 24.000 Einwohner zählender Ort zwischen Tiberias und Carmiel, ist das Zuhause einer Bevölkerung, die zu 57,4% aus Drusen, zu 21,4% aus Muslimen und zu 21,1% aus Christen besteht.

Gerade die Muslime – nicht nur in Maghar – verletzte nun Shakeds Formulierung, für die es es eine „neue arabische Stadt“ Israels ist. Shakeds Wortwahl bekräftigte das Gefühl der Zurücksetzung muslimischer Bürger des Landes.

Taktierende Innenministerin

Neben ihrem Ministeramt ist Shaked auch Abgeordnete der rechtskonservativen Partei Jamina und nimmt als solche Abstand davon, mit der Förderung arabischer Städte in Verbindung gebracht zu werden. Daher betonte sie, dass Maghar Stadt werde, weil die ordnungsgemäße Prüfung des zuständigen Komitees ergeben habe, dass alle gesetzlich festgelegten Kriterien erfüllt sind.

Als sie wenig später die Tilgung der millionenschweren Schulden der arabischen Stadt Taibe bekanntgeben musste, twitterte sie, dass Taibes Tilgungsantrag bereits 2014 gestellt und Maghars Statusveränderung schon 2015 beantragt worden sei – um so die Verantwortung für diese Entwicklungen auf die damalige Netanjahu-Regierung abzuwälzen.

Sozial schwaches Maghar

Zum zugesprochenen Stadtstatus hörte man aus Maghar positive Kommentare: „Maghar hat sich bewährt“ hieß es allgemein. Unter den Gratulanten war auch Ra’am-Parteichef Mansour Abbas, der sich besonders freute, schließlich ist Maghar sein Geburts- und Wohnort.

Zum von Shaked benutzten Attribut „drusisch“ verlor Mansour kein Wort, sondern setzte sein Ringen um Vergünstigungen für die gesamte arabische Gemeinschaft u.a. gegen Innenministerin Shaked im Vorfeld wie auch im Zuge der Abstimmung über den Staatshaushalt fort; mit großem Erfolg.

Trotz aller positiven Veränderungen sticht ins Auge, dass die Infrastruktur des Ortes, der schon in wenigen Jahren 30.000 Einwohner zählen soll, inadäquat ist, wobei es um Strom, Wasser und Straßen, aber auch um behördliche Dienstleistungen geht. Die Bildung ist bei rund 32% Einwohner unter 18 Jahren mangelhaft. Die Erschließung von privatem und gewerblichem Bauland zwecks Schaffung von Wohnraum und Beschäftigung wurde jahrelang vernachlässigt.

Das Ranking des sozioökonomischen Status von Maghar zeigt, dass der Ort unter den 50 Schlusslichtern der 255 Regionalverwaltungen Israels rangiert. Zwar ist die Mehrheit der Einwohner nicht mehr in der Landwirtschaft tätig, sondern hat Anstellungen im Handel und in der Industrie, dennoch liegen die Einkommen weit unter israelischem Landesdurchschnitt. In Maghar trifft man z. B. auf Haushalte, die auch im 21. Jahrhundert nicht ans Stromnetz angeschlossen sind.

Diese Missstände betonten vor allem Maghars Muslime. Zugleich waren sie es, die betonten: „Maghar ist eine Stadt des Friedens, die alle Religionen mit Liebe aufnimmt und in der sich auch die Einwohner der angrenzenden jüdischen Dörfer zuhause fühlen.“ Dass stimmt zwar, aber zugleich vernahm man kaum die bessergestellten Christen des Ortes, die weiterhin versuchen, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen.

Denn Maghars Christen erlebten 2005 ein schweres Trauma. Alles begann mit Gerüchten, dass christliche Jugendliche Fotos zusammenmontiert haben sollen, die drusische Mädchen nackt zeigen. Die Wogen kochten hoch, als die Gerüchteküche nachlegte und behauptete, die Fotos würden im Internet kursieren.

Das, was folgte, nannte die Polizei ein Pogrom der drusischen an der christlichen Bevölkerung des Ortes: Die Kirche von Maghar wurde geschändet, Geschäfte und Wohnhäuser von Christen verwüstet. Viele der melkitischen Katholiken Maghars suchten das Weite.

Als später – wie im Polizeibericht festgehalten – herauskam, dass die Gerüchte auf Lügen beruhten, die ein einziger drusischer Jugendlicher verbreitet hatte, war der Schaden schon angerichtet. Auch wenn man heute wieder miteinander auskommt, so erinnern die zurückgeblieben Narben doch daran, wie schnell sich eine vermeintliche Idylle ins Gegenteil verkehren kann.

Israels Drusen: Integriert abseitsstehend

Drusen hörten die Worte „erste drusische Stadt“ Israels gerne. Mit oder 143.000 im Land lebenden Drusen, was 1,6% der Bevölkerung ausmacht, ist die Gemeinschaft eine kleinere Minderheit als die arabische Christen. Mit Ausnahme der 20.000 Drusen auf den Golanhöhen blickt diese Gemeinschaft auf eine besondere Geschichte zurück, in die auch Maghar eingebunden ist.

Friedhöfe sind für an Seelenwanderung glaubende Drusen zwar ohne Bedeutung, und doch trifft man in den drusischen Zentren Usifiye, Hurfeish und Beit Jann auf solche Begräbnisstätten. Es sind Militärfriedhöfe, auf denen 432 für Israel gefallene Drusen beigesetzt sind; mehr als ihrem Bevölkerungsanteil entspricht.

Darunter ist auch der aus Maghar stammende Feldwebel Hael Sathawi, der im Sommer 2017 zusammen mit einem weiteren drusischen Grenzpolizisten, Sohn eines Ex-Knesset-Angeordneten, auf dem Jerusalemer Tempelberg erschossen wurde. Für Drusen der ultimative Ausdruck ihrer Loyalität gegenüber Israel.

Die Drusen blicken nach ihrer Abspaltung vom Islam im 11. Jahrhundert auf eine lange Verfolgungsgeschichte in der arabischen Welt zurück. Sie versuchten, ihr Überleben u.a. durch Abkapselung einhergehend mit Loyalität gegenüber den jeweiligen Herrschern zu sichern.

Die Drusen des britischen Mandatsgebietes wahrten im Arabischen Aufstand 1936-1939 zunächst Neutralität, bauten nachfolgend aber gute Beziehungen zur wachsenden jüdischen Bevölkerung auf. Ein Ausdruck dessen ist ein 1956 verabschiedetes Gesetz, das Drusen als einzige Nichtjuden Israels zum Dienst an der Waffe verpflichtet; erlassen wohlgemerkt ein Jahrzehnt vor Ende der Militärverwaltung, der die Araber des Landes unterstanden.

In Israel identifiziert man Drusen heute auf das Engste mit dem Dienst in den Reihen der Sicherheitsorgane: mehr als 80% der drusischen Männer dienen in Armee, bei Polizei und Grenzpolizei; viele verpflichten sich auf lange Zeit. Viele Drusen erhofften sich davon die Chance auf soziale Mobilität im jüdischen Israel.

Während sich diese Hoffnung als zu hochgestochen erwies, blieben die Drusen zugleich für die arabischen Israelis, denen sie sich selbst zumeist nicht zugehörig fühlen, die „Blutsbrüder“ des jüdischen Staates. Drusen fühlen sich als Knesset-Abgeordnete, Richter und Träger des Israel-Preises integriert und doch in vielen Bereichen zusammen mit den Arabern des Landes ausgegrenzt.

Maghar als drusischer Hoffnungsträger

Auch in Maghar gibt es drusische Soldaten und Polizisten im aktiven Dienst oder im Ruhestand. Auch sie wollen für ihre Kinder auf ihrem Privatland bauen, während Baugenehmigungen in arabischen Ortschaften ohne Stadtstatus kaum zu erlangen sind, sodass – bislang auch in Maghar – selbst Staatsdiener zu Kriminellen werden, sollten sie auch nur ein Zimmerchen anbauen.

Das dies nun anders wird, ist lediglich eine von etlichen Verbesserungen, die sich Maghars Drusen vom neu erlangten Stadtstatus ihres Heimatorts erhoffen.

Die Hoffnung geht jedoch weit über Maghars in Aussicht stehende Entwicklungen hinaus. Drusen empfanden das 2018 verabschiedete Nationalstaatsgesetz, das den jüdischen Charakter Israels betont, als tiefe Verletzung. Die Neuigkeiten um Maghar sind so gut wie das erste Zeichen, das Drusen erneut Hoffnung an ein pluralistisches Israel schöpfen lässt.

Dass sie zudem von den präzedenzlosen Förderungen profitieren werden, die eine Partei durchsetzt, die der Islamischen Bewegung entspringt und an deren Spitze ein Muslim aus Maghar steht, scheint eine der üblichen Absurditäten der israelischen Geellschaft zu sein, deren manchmal bis aufs Blut zerstrittene Bevölkerungsgruppen dennoch in einem Boot sitzt.

Das veranschaulicht wenig mehr als ein Rückblick auf den Libanon-Krieg 2006, als Hisbollah-Raketen, die dem jüdischen Staat schaden sollten, u.a. das Leben von Zivilisten aus Maghar forderten.

 

Erstveröffentlicht bei MENA Watch


Autor: MENA Watch
Bild Quelle: (he:user:אלמוג), Public domain, via Wikimedia Commons


Donnerstag, 18 November 2021

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