Hamas will auch Westbank beherrschen

Hamas will auch Westbank beherrschen


Um der Hamas den Wind aus den Segeln zu nehmen, übernimmt die Fatah zunehmend die Rhetorik der islamistischen Bewegung, die bewaffnete Angriffe auf Israelis propagiert.

Hamas will auch Westbank beherrschen

Yaakov Lappin

Nach dem jüngsten palästinensischen Terroranschlag, bei dem ein aus der Westbank-Stadt Qalqilya stammender Mann mit einer Arbeitserlaubnis für Israel eine 84-jährige Frau in Holon ermordete, ist die Besorgnis über die zunehmende Gewalt aus dem Westjordanland groß. So sind nach Ansicht von Grisha Yakubovich, Oberst a. D. und Experte für israelisch-palästinensische Beziehungen und leitender Mitarbeiter des MirYam-Instituts, sind die zunehmenden Anschläge Teil eines sich abzeichnenden größeren Trends.

Diese Entwicklung sei dadurch gekennzeichnet, dass die Rhetorik der Hamas in der Westbank immer dominanter wird, was zu einem ständigen Kampf um die Herzen und Köpfe der Palästinenser führe, der auf der Botschaft beruht, dass Gewalt, nicht aber Verhandlungen und Diplomatie Ergebnissen erziele. »Die Hamas hat in sich letzter Zeit sehr ruhig verhalten, man hören kaum etwas von ihr«, warnte Yakubovich: »Auf der palästinensischen Straße wird dieses Schweigen als Vorbereitung der Hamas auf eine erneute Übernahme des Gazastreifens im Jahr 2007 gedeutet, diesmal in der Westbank.«

Überprüfungsprozess sehr präzise

Mit Blick auf den Terroranschlag von letztem Dienstag hob der ehemalige Leiter der Zivilabteilung des Verteidigungsministeriums für die Koordinierung von Regierungsaktivitäten in den Gebieten (COGAT) hervor, es sei nur ein kleiner Teil der rund 140.000 Palästinenser, die legal in Israel und den Siedlungen arbeiten dürfen, der Terroranschläge begangen hat. »Es ist leider unmöglich, hundertprozentige Garantien zu geben. Aber insgesamt ist unser Überprüfungsprozess sehr genau. Dies gilt insbesondere, wenn man bedenkt, dass ein Teil der Palästinenser sehr motiviert ist, terroristische Handlungen zu begehen.«

Im Hinblick auf die allgemeine strategische Lage stellte Yakubovich fest, die Hamas habe beschlossen, ihren Einfluss über die Grenzen der von ihr beherrschten Enklave im Gazastreifen hinaus auszudehnen. »Ihr Ziel ist es, die wichtigste Führungsmacht der Palästinenser zu werden, und sie steuert geschickt auf dieses Ziel zu«, sagte er. Zu diesem Geschick gehöre, dass das Hamas-Narrativ, wonach nur radikaler Terror die palästinensischen Interessen im Umgang mit Israel voranbringe, unter den Palästinensern zum Leitmotiv wird.

»Im Jahr 2001 erkannte die Hamas, dass das Abfeuern von Mörsergranaten aus dem Gazastreifen eine strategische Wirkung erzielt. Im Jahr 2005, als Israel den Gazastreifen räumte, verstand die Hamas das dahingehend, dass sie ihren Gegner zu einseitigen Entscheidungen zwingen könne. Jetzt schwenkt sie die ›Fahne des Widerstands‹ als Teil ihrer politischen Kampagne«, so Yakubovich. Das Ziel der Hamas sei es, den Palästinensern einzureden, dass alles, was die Palästinensische Autonomiebehörde (PA)durch diplomatische Kontakte mit Israel oder den Oslo-Prozess zu erreichen behauptet, nur mit Gewalt durchgesetzt werden könne, fügte der Experte hinzu.

Hamas bereitet sich vor

Während sich die Spannungen innerhalb der PA aufgrund eines sich verschärfenden Nachfolgekampfes zunehmen (ihr Vorsitzende Mahmoud Abbas ist 86 Jahre alt) und die Autonomiebehörde die Kontrolle über nördliche Städte wie Dschenin und Nablus verliert, bereitet sich die Hamas darauf vor, die Situation für einen Machtwechsel und, so Yakubovich, für einen damit möglicherweise verbundenen palästinensischen Bürgerkrieg zu nutzen.

»Die Gewaltausbrüche zwischen den Terrorgruppen in Gaza und Israel sind vor dem Hintergrund des von der Hamas propagierten Konzepts zu sehen, die ›Fahne des Widerstands‹ hochzuhalten. Dies ist ein Prozess von Trail and Error, aus dem die opportunistische Hamas gestärkt hervorgeht«, sagte er. Die Hamas versuche, der palästinensischen Bevölkerung den Glauben einzuflößen, dass es keine Hoffnung auf Diplomatie oder einen Friedensprozess gebe: »Israel ist der Gegner, und der einzige Weg, das nationale Ziel zu erreichen, ist der Einsatz von Gewalt, lautet die Botschaft der Hamas. Aus dieser Position heraus nutzen sie jeden Vorfall zu ihrem Vorteil.«

Der ehemalige IDF-Offizier, der jahrelang die israelische Politik in der palästinensischen Arena mitgestaltet hat, meint, die Hamas sei stets die einzige Partei gewesen, die Entwicklungen geschickt zu ihrem Vorteil ausgenutzt habe. So nutzte sie beispielsweise die Absage der palästinensischen Wahlen durch Mahmud Abbas dazu, vom 6. bis zum 21. Mai 2021 einen Raketenkrieg gegen Israel zu führen, in dem sie sich als authentischer »Verteidiger Jerusalems« krönen konnte.

Und im August 2022 wurde der dreitägige Zusammenstoß Israels mit dem palästinensischen Islamischen Dschihad in Gaza von der Hamas genutzt, um sich als die einzige bewaffnete Gruppierung darzustellen, die in der Lage sei, es ernsthaft mit Israel aufzunehmen, so Yakubovich. »Die Hamas nutzte sogar die israelischen Medien zu ihrem Vorteil, die immer wieder erklärten, Israel wolle nicht, dass die Hamas [an den Kämpfen 2022] teilnimmt. Was ist die Schlussfolgerung daraus? Dass nur die Hamas in der Lage sei, Israel zu bekämpfen – genau die Botschaft, die die Hamas verbreiten willl.«

In Gaza hat die Hamas den Waffenstillstand eingehalten, um ihren militärischen Flügel aufzubauen und der Zivilgesellschaft eine gewisse wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. »Das Ausmaß der Entschlossenheit der Hamas, die ›Ruhe‹ aufrechtzuerhalten, wurde mir klar, als ich die Grenze zum Gazastreifen besuchte und Panzer und andere Fahrzeuge der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) in der Nähe eines Hamas-Postens arbeiten sah. Die Hamas hat nichts gegen sie unternommen«, beschreibt Yakubovich.

Hamas-Fatah-Krieg?

Im Westjordanland bereitet sich die Hamas unterdessen darauf vor, einen möglichen palästinensischen Bürgerkrieg für sich auszunutzen. In Nablus und Dschenin beherrschen mittlerweile bewaffnete Palästinenser, die keiner Organisation angehören, die Straßen. Viele Palästinenser betrachten sie nicht als ideologisch motivierte Dschihadisten, sondern als »Drogenhändler, die das Chaos fördern, um zu verhindern, dass die Palästinensische Autonomiebehörde gegen ihre Aktivitäten vorgeht«, so Yakubovich.

Jahrelang ermöglichte es Israel arabischen Israelis, das nördliche Westjordanland zu besuchen, um die dortige Wirtschaftslage anzukurbeln, doch damit wurde auch ein Schlupfloch für kriminelle Elemente auf der israelischen Seite der Grenze geschaffen, die in die Westbank vordringen wollen. »Einerseits sagte Israel, dass es die Wirtschaft dort ankurbeln wolle, um die Softpower zu fördern. Auf der anderen Seite wurden kriminelle Elemente nicht aufgehalten.«

In den südlichen Gebieten dagegen, in Städten wie Hebron, »ist der Einfluss des Clans und der Familie viel wichtiger. Gemeinsam mit einer robusten wirtschaftlichen Situation trägt dies zur Stabilität bei«, so Yakubovich. »Das Gefälle zwischen Judäa [im Süden] und Samaria [im Norden] ist von entscheidender Bedeutung.« Schließlich, so Yakubovich, finde auch die nie beendete, sondern ständig fortgeführte Aufwiegelung, die die PA »seit Jahren in Moscheen und Schulen betreibt«, ihren Ausdruck in Gewaltausbrüchen. »Nehmen Sie zum Beispiel die Palästinenser, die kürzlich bei Zusammenstößen mit der IDF getötet wurden. Sie sind meist zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, haben also gerade das palästinensische Bildungssystem verlassen.«

Beredtes Schweigen

Die Fatah habe erkannt, dass Abbas’ Tage gezählt sind, und bereite sich auf den Tag X vor. Sie hat ihre Straßenpräsenz verstärkt, sodass die – auch als Tanzim bekannten – Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden in voller Stärke präsent sind. »Die PA hat ein Poster veröffentlicht, auf dem alle ihre ›Märtyrer‹ abgebildet sind, die gegen Israel gekämpft haben. Was braucht es noch, um zu verstehen, was hier geschieht? Die PA sagt: ›Liebe Palästinenser, auch wir leisten Widerstand.‹ Währenddessen sagen die Palästinenser auf der Straße: ›Was können wir von Abbas erwarten? Er braucht eine israelische Genehmigung, um in sein eigenes Büro zu kommen.‹«

Laut Yakubovich hat Abbas zwar inzwischen eingesehen, dass er sich zu sehr auf das Narrativ der Gewalt eingelassen hat, womit er aber viel zu spät kommt. Nicht nur seien die Straßen der Westbank mit illegalen Schusswaffen überschwemmt: Nachdem Abbas eine zu tödlichen Zusammenstößen führende Verhaftungsaktion in Nablus gestartet hatte, um Hamas-Mitglieder festzunehmen, »befindet er sich in ernsten Schwierigkeiten«. Für die Zukunft skizzierte Yakubovich zwei Hauptszenarien:

  • Entweder gelingt es Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde, die Gewalt in den kommenden Wochen und Monaten relativ niedrig zu halten.
  • Oder die Situation gerät außer Kontrolle und die bewaffneten Gruppen der Fatah verüben eine wachsende Zahl von Anschlägen.

Dann sei zu erwarten, dass auch die Hamas ihre Angriffe ausweiten wird, um sicherzustellen, dass sie von der Bevölkerung als die führende palästinensische Bewegung angesehen wird. »Die Hamas bereitet sich vor, und deshalb schweigt sie derzeit«, sagte Yakubovich. »Ihr Schweigen spricht Bände.«


Dieser Artikel wurde zuerst hier veröffentlicht.

Autor: Mena-Watch
Bild Quelle: Archiv


Mittwoch, 28 September 2022

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