Das Leben von Israels vergessenem Premierminister Mosche ScharettDas Leben von Israels vergessenem Premierminister Mosche Scharett
Der 15. Oktober ist der Geburtstag von Mosche Scharett, Israels zweitem Premierminister, der das Amt 1954/55 21 Monate lang ausübte.
Von Mark Regev, Jerusalem Post
Der 15. Oktober ist der Geburtstag von Mosche Scharett, Israels oft vergessenem zweiten Premierminister. Scharett diente 21 Monate als Premierminister, vom Januar 1954 bis zum November 1955; seine Zeit im Amt war länger als die von Ehud Barak (20 Monate), Naftali Bennett (12 Monate) und abhängig von den Wahlergebnissen im November – möglicherweise Yair Lapids Amtszeit [was inzwischen eingetreten ist – der Übersetzer]. Dennoch erinnert man sich aus einer Unzahl von Gründen heute weitgehend nicht an Scharett.
Scharetts politisches Leben
Scharett wurde unter höchst herausfordernden Umständen Premierminister. Der jüdische Staat war weniger als sechs Jahre alt und die arabische Feindschaft blieb allgegenwärtig. Palästinensische Terroristen drangen ständig aus dem von Ägypten kontrollierten Gazastreifen und der von Jordanien kontrollierten Westbank nach Israel ein – allein 1954 wurden 25 Israelis bei solchen Anschlägen ermordet.
Parallel dazu kämpfte ein wirtschaftlich verarmtes Israel damit Wellen an Immigranten aus Europa und dem Nahen Osten zu integrieren; die Bevölkerung nahm seit 1948 auf mehr als das Doppelte zu. Hunderttausende Menschen lebten in provisorischen Transitlagern, wo chronische Überfüllung und rudimentäre Zustände für Massen an sozialen und wirtschaftlichen Problemen sorgten,
David Ben-Gurion, Israels überlebensgroßer Gründungs-Premierminister, war die dominierende politische Persönlichkeit dieser frühen Jahre gewesen. Er führte den Kampf um die Unabhängigkeit und leitete den Sieg im Krieg 1948/49. Aber nach Jahren am Ruder der nationalen Führung sagte Ben-Gurion, er brauche eine Ruhepause und 1953 kündigte er an, er wolle zurücktreten. Bekanntlich entschied er sich zu seinen Pionierwurzeln zurückzukehren und ließ sich im Kibbuz Sde Boker in der weitgehend kargen Wüste Negev nieder.
Scharett war nicht Ben-Gurions erste Wahl als Nachfolger als Premierminister gewesen (diese Ehre fiel dem damaligen Finanzminister Levi Eschkol zu, der den Posten ablehnte). Aber Scharett war kein Neuling in der Politik. Seit 1953 hatte er als Kopf der politischen Abteilung der Jewish Agency gedient, wo er die zionistische Diplomatie in den Jahren bis zur Eigenstaatlichkeit steuerte.
Mit der Gründung des Staates Israel wurde Scharett zum ersten Außenminister des Landes, eine Rolle, die er bis zur Übernahme des Amts als Premierminister innehatte. (Ben-Gurion hatte zudem das Amt des Premierministers mit einem weiteren ranghohen Portfolio kombiniert – er war sowohl Premierminister als auch Verteidigungsminister.)
Obwohl Scharett alle offiziellen rechtlich alle Macht des Premierminister-Amtes inne hatte, stellte er fest, das Ben-Gurions Autorität einen Schatten auf seine gesamten Amtszeit als Premierminister warf. Ben-Gurion blieb die dominante Kraft hinter den Kulissen – in der regierenden Partei Mapai (Arbeitspartei), in der Regierung und in der Armee. Minister, Knessetabgeordnete und IDF-Kommandeure pilgerten oft nach Sde Boker, um den verehrten ehemaligen Premierminister um Rat zu fragen.
Die Affäre Lavon und eine andere Sache
Sinnbildlich für Scharetts begrenzte Autorität war die Affäre Lavon, ein Sicherheitsdebakel, das in Israel noch ein Jahrzehnt lang umstritten war.
Bevor Ben-Gurion das Amt abgab, fädelte er zwei entscheidende Ernennungen ein: Pinchas Lavn als Verteidigungsminister und Mosche Dayan als IDF-Generalstabschef. Niemand war von Scharetts Führung begeistert und während seiner Wacht war die IDF an einer verbockten Geheimoperation beteiligt, die ohne Wissen oder Genehmigung des Premierministers stattfand.
Im Sommer 1954 wies der israelische Militärgeheimdienst eine Gruppe ägyptischer Juden, die er rekrutiert hatte, an geheime Aktivitäten auszuführen, die das neue Regime der Freien Offiziere in Kairo destabilisieren sollten.
Mitglieder der jüdischen Untergrundzelle wurden losgeschickt, um in ägyptischen Kinos, englischen Bibliotheken und an amerikanischen Bildungszentren Bomben zu legen. Um zivile Tote zu vermeiden, sollten die Sprengsätze spät nachts explodieren, wenn die betroffenen Institutionen leer waren.
Die Idee dahinter war, dass für die Anschläge lokale Kommunisten, Nationalisten und die Muslimbruderschaft verantwortlich gemacht werden sollten, was ein Klima der Unsicherheit schaffen würde, was vermutlich die Briten dazu führen würde ihren geplanten Abzug vom Suezkanal zu überdenken.
Die Operation verursachte keine Opfer, außer bei den Mitgliedern der Zelle selbst: Zwei begingen Selbstmord, nachdem sie gefasst wurden; und zwei wurden von der ägyptischen Obrigkeit vor Gericht gestellt, verurteilt und hingerichtet.
In Israel brach ein gewaltiger Streit darüber aus, wer die fehlgeschlagene Operation genehmigt hatte. Der Leiter des Militärgeheimdienstes, Oberst Binyamin Gibli, behauptete, der Befehl sei direkt von Lavon gekommen. Im Gegensatz dazu behauptete der Verteidigungsminister, Giblis Vorwurf sei eine Erfindung, die die Militärführung von der Verantwortung für das Debakel reinwaschen sollte.
Obwohl er wiederholt seine Unschuld erklärte, musste Lavon zurücktreten, woraufhin Ben-Gurion im Februar 1955 ins Verteidigungsministerium zurückkehrte, wenn auch nicht ins Amt des Premierministers. Das schuf eine bizarre politische Lage, in der Israels Premierminister in einer zweitrangigen Rolle unter einem Premierminister diente, dessen Autorität er ständig aushöhlte.
Als Ben-Gurion im November 1955 wieder Premierminister wurde, behielt er Scharett als Außenminister, entließ ihn aber fünf Monate später. Die Beziehungen zwischen den beiden Männern war immer angespannter geworden, ihre politischen Differenzen durch zunehmende persönlichen Animositäten verschärft.
Anstelle von Scharett wählte Ben-Gurion Golda Meir als seine neue Außenministerin. Sie war ihm gegenüber politisch loyal und teilte seinen aktivistischen, Sicherheit an erste Stelle setzenden Ansatz. Scharett hätte Ben-Gurions Entscheidung vom Oktober 1956 wohl kaum unterstützt sich Großbritannien und Frankreich bei dem Angriff auf Ägypten anzuschießen, wie Meir es damals tat.
Scharetts gemäßigte Ansichten
Viele zeitgenössische israelische Tauben haben im Nachhinein Scharetts gemäßigte Ansichten begrüßt. In den Jahren vor der Eigenstaatlichkeit war Scharet, obwohl loyales Mitglied der Mapai-Führung, trotzdem oft der Mäßigung Chaim, Weizmanns zugeneigt als den kämpferischen Einstellungen, für die Scharetts Parteichef Ben-Gurion eintrat.
In den 1950-er Jahren lebten Ben-Gurion und Dayan bei Diskussionen zur IDF-Politik der Vergeltungsaktionen nach arabischen Anschlägen im Kabinett Pläne für kraftvolle Reaktionen vor, nur um erleben, dass Scharett die Mehrheit hinter einem zurückhaltenderen Ansatz versammelte.
Das machte Scharett bei den Falken verhasst. Sicherheitsaktivisten betrachteten die Demonstration des militärischen Könnens Israels als Formel zur Stärkung der Abschreckung, die, so hofften sie, Israels Grenzen Ruhe bringen würde.
Es war nicht so, dass Scharett glaubte Frieden mit den Arabern stehe vor der Tür; stattdessen sprach er sich gegen er Militäroperationen aus, die seiner Ansicht nach nur die Spannungen schürten, während sie parallel Israels Ansehen in der internationalen Gemeinschaft untergrüben.
Am Ende revanchierte sich Scharett bei Ben-Gurion für seinen Rausschmiss 1956. Ben-Gurion war 1963 zum zweiten Mal von seinem Posten als Premierminister zurückgetreten, wandte sich aber gegen seinen zweiten Nachfolger, Eschkol. Die Konferenz der regierenden Mapai-Partei trat im Februar 1965 zusammen, um Ben-Gurions Forderung zu diskutieren Israel dritten Premierminister abzusetzen.
Scharett wurde, krank und vom Tod durch Krebs gezeichnet, in einem Rollstuhl in den Saal gebracht und führte eine schneidende Attacke gegen seinen Erzfeind. Für die versammelten Delegierten der Partei stahlen Scharetts Anmerkungen die Show, was eine Mehrheit der Stimmen gegen Ben-Gurion sicherstellte, der sich durch die Niederlage gezwungen sah die Mapai zu verlassen und eine Konkurrenzpartei zu gründen.
Dieser Artikel wurde zuerst hier veröffentlicht.
Autor: Heplev
Bild Quelle: Fritz Cohen, Public domain, via Wikimedia Commons
Montag, 14 November 2022