Die Protestbewegung fällt beim „Angemessenheits“-Test durch

Die Protestbewegung fällt beim „Angemessenheits“-Test durch


Wenn das Land wegen der Justizreform vor zwei Monaten derart bestürzt war, warum sind die aktuellen Proteste so drastisch kleiner?

Die Protestbewegung fällt beim „Angemessenheits“-Test durch

Von Alex Traiman, Israel haYom

Am Montagabend verabschiedete Israels Regierungskoalition in erster Lesung ein Gesetz, das die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs Gesetze zu kippen oder Handeln der Staatsgewalt auf Basis der nicht definierten Kriterien der „Angemessenheit“ einschränken würde.

Wie erwartet rief die Anti-Reform-Bewegung zu einem landesweiten „Tag der Störungen“ in Gegnerschaft zum Vorankommen des Gesetzes auf. Protestler blockierten wichtige Autobahnen sowie das Internationale Terminal des Flughafens Ben-Gurion.

Das Voranbringen des Gesetzes und die folgenden Proteste sind die jüngsten in einem monatelangen Showdown über die Zusammensetzung und die Macht des israelischen Obersten Gerichtshofs – der stärksten der Regierungsinstitutionen des Landes.

Schrumpfende Veilchen

Besonders bemerkenswert ist, dass die jüngsten Anti-Reform-Proteste nur ein Bruchteil der früheren waren. Linke Medienorgane – die wichtigen israelischen Medien – die früher mit maximalistischen Schätzungen zur Größe der früheren Proteste angaben, die in die Zehngausende oder Hunderttausende gingen, erklärten jetzt nur, dass auf den Straßen „Massenproteste“ stattgefunden hatten. Während der Proteste letzte Woche, bei denen in paar hundert Menschen Tel Avivs Ayalon-Autobahn mit einem Lagerfeuer blockierte, behaupteten die Medien, die Proteste hätten Szenen gebracht, die denen im März ähnelten. Statt auf Weitwinkel-Luftbildern stützen sich die Medien zunehmend auf Nahaufnahmen von Demonstranten.

Wenn das Land wegen der Justizreform vor zwei Monaten derart bestürzt war, warum sind die aktuellen Proteste so drastisch kleiner?

Dafür gibt es zwei Hauptgründe: Erstens sieht der von der Regierung diese Woche vorgelegte Reform-Gesetzesentwurf nicht mehr so aus wie der vor Monaten vorgelegt. Zweitens sind die aktuellen Proteste alles andere als spontan und die wahre Natur der Starrköpfe in der Protestbewegung und ihre Organisatoren sind deutlich erkennbar geworden.

Eine einzigartige Reform

Die Angemessenheit des Gesetzesentwurfs stellt nur eine einzelne Komponente eines bedeutend breiteren Justiz-Reformpakets dar, das die Regierung Anfang diesen Jahres vorgeschlagen hat.

Das komplette von Premierminister Benjamin Netanyahus Koalition vor mehreren Monaten vorgeschlagenen Reformpakets umfasst zahlreiche Elemente, darunter Änderungen beim Richterauswahlkomitee, Einschränkung des Ausmaßes der Fälle, die überhaupt „justiziabel“ sind, Durchsetzung eines Prinzips der Vertretung von Klägern, Einschränkung der Rechtszuständigkeit des Generalstaatsanwalts und ministerieller Berater und eine umstrittene Klausel, die es der Knesset ermöglicht Entscheidungen des Obersten Gerichtshof zu überstimmen.

Für viele Israelis war betrachtet einen gewissen Grad an Justizreform zwar als notwendig, aber das Konzept einer Knesset, die den Obersten Gerichtshof überstimmt, war eine Giftpille. Darüber hinaus machte die Regierung einen schlechten Job dabei, einer verwirrten Öffentlichkeit jede Reform, die sie umsetzen wollte, zu erklären. Es folgten Massenproteste, die in einem Generalstreik der Gewerkschaft gipfelten, der zeitweise die Flüge vom Flughafen Ben-Gurion lahmlegten, außerdem andere kritische Infrastruktur, darunter Banken und Krankenhäuser.

 

Netanyahu hatte keine andere Wahl, als das Reformpaket aus dem Gesetzgebungsprozess zurückzuziehen.

Verlogene Verhandlungen

Netanyahu stimmte auf Bitten von Präsident Isaac Herzog zu Verhandlungen mit der Opposition zu führen, um einen breiten Konsens für ein moderateres Reformpaket zu erzielen. Seitdem hat er wiederholt zu Kompromiss aufgerufen und zusammen mit anderen Befürwortern der Justizreform offen geäußert, dass die umstrittene Aufhebungsklausel komplett von der Tagesordnung genommen werden könne.

Die Verhandlungen begannen, wobei Medien berichteten, dass die Koalition bereit sei viele ihrer vorgeschlagenen Reformen zugunsten eines Kompromisses aufzugeben und Oppositionsführer bereit seien anzuerkennen, dass Reformen erforderlich sind.

Das Konzept einer Justizreform ist der Opposition nicht fremd. Viele Oppositionsführer, darunter Yair Lapid, Benny Gantz, Gideon Sa’ar und Avigdor Liberman, haben alle früher schon dazu aufgerufen die überzogene Macht des Gerichts an die Zügel zu nehmen. Herzog glaubte, dass ein Kompromiss erzielt werden könnte, über den die Koalition einen sinnvoller Grad an Justizreform erhalten würde, während die Opposition einige der umstritteneren Aspekte verhindern könnte.

 

Inzwischen ist deutlich geworden, dass die Oppositionsführer keinerlei Interesse an irgendeiner Art von Konsens oder Kompromiss haben. Die Opposition ist versessen darauf Netanyahus stabile Rechts-Regierung zu stürzen und hat wenig Interesse daran Netanyahu auch nur den kleinsten politischen Sieg zu geben. Die Opposition ist auch nicht weiter daran interessiert ein Gericht zu schwächen, das die Macht hat Politik zu kippen, mit der es nicht einverstanden ist.

Somit war es die Opposition, die die Verhandlungen genau an dem Tag abbrach, an dem ihr eigener Kandidat ins Richter-Auswahlkomitee gewählt wurde. Ohne Verhandlungen beschloss Netanyahu eine einzelne Komponente voranzubringen – die die Befähigung des Gerichts aufgrund von „Angemessenheit“ zu urteilen einschränkt.

Diese Komponente wurde genau deshalb ausgewählt, weil ihre Verabschiedung einer Mehrheit der Israelis sinnvoll erscheint. Daher ist die überwältigende Mehrheit der Israelis, die im März protestierten, seitdem Zuhause geblieben.

Die teuerste Kampagne in der Geschichte Israels

Und doch sind die Getreuen, während die Mehrheit der Protestler heute zuhause bleiben, Woche um Woche in der bereits teuersten politischen Kampagne der Geschichte Israels auf die Straße gegangen. Jede Woche kommen Protestler ausgerüstet mit israelischen Flaggen, großen gedruckten Schildern, T-Shirts und Kostümen. Die Namen der Protestbewegung und die Botschaften ändern sich von Woche zu Woche.

 

Die aktuellen Proteste sind eindeutig eine Fortsetzung derselben Anti-Netanyahu-Proteste, die während der fünf letzten Wahlzyklen im Verlauf der letzten vier Jahre organisiert wurden. Protestführer recyceln ständig die Behauptung Netanyahu führe das Land in einen Bürgerkrieg – nicht könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein – während sie wütend nach massenhaftem Ungehorsam rufen und versuchten die Polizei dazu zu bringen Gewalt anzuwenden, um illegale Demonstrationen aufzulösen. Statt die Nation zu beschützen, ist Israels überlastete Polizei gezwungen Woche um Woche um Woche Proteste zu bewältigen.

An diesem Punkt sind die Proteste mehr als eine öffentliche Plage geworden. Israelis aus allen politischen Lagern sind der wiederholten Straßensperrungen an wichtigen Autobahnen und in überfüllten Städten müde geworden. Die Israelis, die Wert auf Reisen ins Ausland legen und Touristen, die versuchen den jüdischen Staat zu besuchen sind, lehnen den wiederholten Sturm des Ben-Gurion-Flughafens durch Demonstranten vehement ab.

Die Protestler drangsalieren jetzt wiederholt Minister der Regierung und andere recht Führungspolitiker, protestieren vor ihren Häusern, bedrohen ihre Ehepartner und Kinder und stören sonst ruhige Wohngebiete.

Noch schlimmer sind die organisierten Drohungen durch linke Reservisten geworden, Luftwaffenpiloten und Soldaten für Cyberscurity, die erklären, sie werden den Dienst verweigern, sollte die Justizreform vorangebracht werden. Bis heute sind rechte und linke Soldaten immer erschienen, um Befehle auszuführen, ob sie mit der Regierung einverstanden waren oder nicht. Die Politisierung des Militärs – insbesondere wenn es nicht einmal einen Einwand zu den von den Soldaten erhaltenen Befehlen gibt – ist eine rote Linie, die fast kein Israel zu tolerieren bereit ist, besonders wenn die Sicherheitslage in und um das Land herum sich weiter verschlechtert.

Externer Druck

In der Erkenntnis, dass sie die innenpolitische Debatte und ihr Einfluss über eine vorwiegend rechte Wählerschaft verlieren, greift die Opposition nach jedem möglichen externen Hebel, um auf Netanyahus Regierung Druck auszuüben. Diese Woche beschuldigte Diaspora-Minister Amichai Chikli die Organisatoren der Proteste – den in Ungnade gefallenen ehemaligen Premierminister Ehud Barak und Yair Lapid – öffentlich der Konspiration mit dem Weißen Haus, um Netanyahus Koalitionspartner zu verunglimpfen und die Regierung unter Druck zu setzen die Justizreform von der Tagesordnung zu nehmen.

 

Die Opposition hat ähnliche Lobbyarbeit für Kritik an der israelischen Regierung bei Leitern der Diaspora-Juden gemacht und sogar Israelis zu Protesten gegen Regierungsminister bei der diesjährigen New Yorker Israel Day-Parade eingeflogen. Die Opposition hat Unternehmer bearbeitet ihre Investitionen aus Israel abzuziehen, während die pro-israelische Gemeinschaft bestrebt ist BDS-Initiativen israelfeindlicher Akteure zu bekämpfen.

Was kommt als nächstes?

Nachdem jetzt die erste Lesung des „Angemessenheits“-Gesetzes verabschiedet wurde, sind die zwei letzten Lesungen terminiert worden. Der Ball liegt derzeit in den Händen der Opposition, die entscheiden muss, ob sie bereit ist Verhandlungen wieder aufzunehmen und ob solche Verhandlungen ernsthaft geführt werden. Sollte der Entwurf zum Gesetz werden, bleiben Fragen, ob das Gericht es aufhebt, was eine Verfassungskrise in einem Staat ohne Verfassung schaffen würde.

Und würde das Gericht das „Angemessenheits“-Gesetz selbst mit dem Prinzip der Angemessenheit kippen?

Derweil warnen die Demonstranten weiter vor dem, was sie die „Tyrannei der Mehrheit“ nennen, die auch man als Wählerschaft kennt und eindeutig für die Politik gestimmt hat, die ihre Regierung voranzubringen versucht. Seit Jahren hat Israel unter der Tyrannei einer Minderheit gelitten, die ihre Bereitschaft bewiesen hat alles zu tun, um Netanyahu uns seine loyalen rechten Verbündeten aus dem Amt zu treiben – gegenwärtig unter der Verkleidung ihrer Opposition zur Justizreform.


Dieser Artikel wurde zuerst hier veröffentlicht.

Autor: Heplev
Bild Quelle: Avi Ohayon / GPO Israel, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons


Montag, 17 Juli 2023

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